Sigmar Gabriel hat den Verteidigungsminister in der Debatte aufgefordert, die Reform zu verschieben, weil sie schlecht vorbereitet ist und unter unnötigen Zeitdruck gestellt wurde. Mit der Definition der Aufgaben der Bundeswehr, der Festlegung der dafür nötigen Ausrüstung und Personalgewinnung sowie der damit verbundenen Kosten solle Guttenberg erst einmal die Voraussetzungen für die Reform schaffen. Es sei ein Fehler, auch mit Blick auf die Sicherheit des Landes und der Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr zum "Sparschwein" der Haushaltskonsolidierung zu machen. Guttenberg sei im “Blindflug” unterwegs und zeige erneut hinter der “glitzernden Fassade der ‘größten Reform aller Zeiten’ nur den Willen der Ankündigung". Außerdem forderte Gabriel von der Kanzlerin, Guttenberg das Fehlverhalten im Zusammenhang mit seiner Doktorarbeit nicht durchgehen zu lassen.
 

Rede des SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel MdB
 

Die Bundeswehr als demokratische Erfolgsgeschichte

Die Bundeswehr sei, so Sigmar Gabriel, eine große demokratische Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik: “Sie ist kein Staat im Staate, sondern in der Mitte der Gesellschaft und in der Demokratie verankert.” Und sie sei auch eine europäische Erfolgsgeschichte. Die Bundeswehr hätte sich als Armee des Friedens immer mit der Völkerverständigung und dem Völkerrecht verbunden gefühlt. Dies hänge mit der Wehrpflicht zusammen, denn der Nachwuchs kam immer aus der gesamten Gesellschaft. Die SPD hatte 2007 auf Grund der Schwierigkeiten mit der Wehrgerechtigkeit, die Beendigung der Wehrpflicht vorgeschlagen. Dies sei in der Großen Koalition von der Union abgelehnt worden.

Bundeswehrreform darf Erfolgsgeschichte nicht beenden

Egal, ob die Wehrpflicht auf Dauer oder nur auf Zeit beendet werde, die Rahmenbedingungen müssten sich ändern. Aber die Erfolgsgeschichte dürfe nicht beendet werden. Dazu müsse der Dienst in der Bundeswehr attraktiver gemacht werden, damit auch weiterhin der Nachwuchs aus allen Schichten gewonnen werden könne. Es dürften nicht nur die zur Bundeswehr kommen, die es woanders nicht geschafft hätten. Damit es nicht zu einer Negativauslese komme, müsse die Bundeswehr eine Qualifizierungsarmee werden.
Die Änderung des Wehrrechts dürfe nicht dazu führen, dass Soldaten leichtfertiger in gefährliche Auslandseinsätze geschickt würden. Sie dürften nicht schlechter ausgebildet oder ausgestattet werden.

Die Bundeswehr als Sparschwein zu missbrauchen ist gefährlich

Doch der Beginn der Bundeswehrreform zeige, dass sich Bundesregierung und Verteidigungsminister von der Bundeswehr abwenden. Die Aufgaben der Bundeswehr müssten die  Messlatte der Reform, der Ausstattung und der Bezahlung der Bundeswehr sein. Doch der Verteidigungsminister habe im Oktober bei der Vorstellung der Reform bei der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg betont, das “der höchste Paratmeter der Bundeswehrreform” die Haushaltskonsolidierung sei. Auch die Kanzlerin hätte sich entsprechend geäußert. Die Bundeswehr zum "Sparschwein" der Haushaltspolitik zu machen sei nicht nur ein politischer Fehler. Das könnte auch für die Soldaten ziemlich gefährlich werden. Für die SPD sei die Sicherheit des Landes und der Soldatinnen und Soldaten der wichtigste strategische Parameter.

Verteidigungsminister hat Reform falsch angefangen

Bundesregierung und Verteidigungsminister verwechselten die Reihenfolge. “Sie entscheiden zuerst über drastische Einsparungen und wundern sich dann, dass die Bundeswehr ihre Aufgaben nicht erfüllen kann”, sagte Gabriel. So hätte der Verteidigungsminister erst vollmundig behauptet mit der Reform als Sparaktion mehr als acht Milliarden für den Haushalt erbringen zu können. Inzwischen hätte Guttenberg zugeben müssen, dass die Reform Geld kosten wird.

Erst die Aufgaben festlegen und dann den Finanzbedarf ermitteln

Deshalb komme es darauf an, zunächst die Aufgaben festzulegen, die die Bundeswehr erfüllen muss. Danach müsse der Verteidigungsminister definieren, welche Ausbildung und Ausstattung dafür gebraucht werde. Außerdem müsse geklärt werden, wie die Bundeswehr ohne Wehrpflicht das Personal für diese Aufgaben bekommt. Am Ende müsse berechnet werden, wie groß der Finanzbedarf für die Bewältigung der Aufgaben und für die Nachwuchsgewinnung ist. Ohne eine deutlich bessere Bezahlung, Angebote für Ausbildung und Studium nach der Zeit bei der Bundeswehr werde der Verteidigungsminister keinen Nachwuchs für die Bundeswehr gewinnen. Ihm fehle das Konzept zum Ausbau der Freiwilligendienste.

Guttenberg organisiert Chaos

Mittlerweile hätte der Heereseinspekteur der Bundeswehr darüber informiert, dass zum 1. April nur ein Fünftel der benötigten Rekruten zur Verfügung stehen. Er hätte eingeräumt, 2012 nicht mehr genügend Soldaten für die Auslandseinsätze zu haben. Das heiße, die Bundeswehr sei nur bedingt abwehr- und einsatzbereit. “Das sind die tatsächlichen Resultate der angeblich fachlich so guten Arbeit des Verteidigungsministers,” stellte Gabriel fest. Auf 160.000 Briefe der Kreiswehrersatzämter hätten nur 7.000 Frauen und Männer Interesse an einem freiwilligen Wehrdienst bekundet. Das seien nur vier Prozent. Die schlechte Resonanz resultiere nicht daher, dass die Bundeswehr ein schlechter Arbeitgeber sei, sondern weil Guttenberg nicht beantworten könne, wie der freiwillige Dienst aussehe. “Sie haben das Chaos organisiert, wenn Sie so weitermachen,” warf Gabriel dem Verteidigungsminiser vor.

Konzept für Standorte - Fehlanzeige

Zudem komme es im Rahmen der Bundeswehrreform zu Schließungen von Standorten. Doch die Debatte darüber dürfe nicht der Maßstab zur Ausrichtung der Reform werden. Der Verteidigungsminister müsse ein Konversionsprogramm für die Bürgermeister und Landräte auflegen, um die Auswirkungen der Standortschließungen abzumildern. Auch dies koste Geld und sei in der Konzeption nicht zu finden.

Verteidigungsminister liefert hohles Gesetz ohne Realitätsbezug

Das Maßnahmenpaket von Guttenberg bestünde nur aus Floskeln und wolkigen Worten. Es fände sich z.B. nichts dazu, wie die Attraktivität der Bundeswehr erhöht werden solle. Positive Vorschläge wie die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf seien unter den Finanzierungsvorbehalt des Finanzministers gestellt. Das zeige, Guttenberg betreibe Camouflage, denn er hat als Verteidigungsminister seinen Job nicht gemacht. Deshalb liege ein hohles Gesetz ohne Realitätsbezug vor. Der Verteidigungsminister könne keine Antwort zur künftigen Struktur der Bundeswehr und ihren Standorten geben. Er habe weder ein Konzept zur Nachwuchsgewinnung noch eines zur Finanzierung. Obwohl die Bundeswehrreform bereits zum 1. April 2011 starten soll, bleibe Guttenberg die Antworten schuldig.

Typisch Guttenberg: schnell, schneidig, schick und ohne Substanz

Dabei hätte das Weise-Gutachten schnelle Entscheidungen gefordert. Gabriel frage sich, was Guttenberg nach Vorlage des Gutachtens in den vergangenen fünf Monaten getan habe. In fünf Wochen soll der Nachwuchs der Bundeswehr allein aus Freiwilligen gewonnen werden und diese Eile habe sich der Verteidigungsminister selber auferlegt. Denn das Kabinett hatte beschlossen, den Wehrdienst zum 1. Juli 2011 umzustellen. “Sie sagen: Nein schon zum 1. April soll das passieren. Immer nach dem alten Motto:schnell, schneidig, schick. Es geht nicht um ein Wettrennen Herr Verteidigungsminister. Es geht um die Soldatinnen und Soldaten. Es geht um Leistungsstärke und Funktionsfähigkeit der Armee,” machte Gabriel deutlich.

SPD fordert: Reform verschieben und erstmal die Voraussetzungen schaffen

“Wir können Sie nur auffordern, verschieben Sie die Reform solange, bis Sie wissen wohin Sie wollen und wie Sie das machen wollen,” forderte der SPD-Vorsitzende. Guttenberg müsse erst die Voraussetzungen für die Reform schaffen, dann handeln und nicht umgekehrt. “Wenn Sie weiter im Blindflug unterwegs sind, ist die Reform schon gescheitert, bevor sie begonnen hat,” so Gabriel. Das größte Kapital bei diesem Vorhaben sei das Vertrauen der Menschen,  der Soldatinnen und Soldaten in die politische Führung. Doch dieses Vertrauen verspiele Guttenberg. “Hinter der glitzernden Fassade aus großen Worten und Begriffen von der ‘größten Reform aller Zeiten’ findet sich beim Verteidigungsminister nur der bedingte Wille zur Ankündigung,” sagte Gabriel. Doch es sei ja nicht das erste Mal, “dass wir merken, dass bei Ihnen Schein und Sein” ziemlich unterschiedlich ist.

Kanzlerin soll unwürdiges Schauspiel Guttenbergs beenden

In Bezug auf die Verfehlungen Guttenbergs bei der Verfassung seiner Doktorarbeit und dessen Verbleib im Amt sagte Gabriel, die Kanzlerin dürfe Bundeswehr und Öffentlichkeit dieses “unwürdige Schauspiel” nicht länger zumuten. Der Verteidigungsminister setze sich über Recht und Gesetz. Dabei offenbare Guttenberg eine Haltung, die in der Ständegesellschaft wurzele, aber keinen Platz in einem demokratischen Land habe. Die Bundestagsabgeordneten habe der Verteidigungsminister bei seiner Befragung und in der Aktuellen Stunde einen Tag zuvor “für dumm verkaufen” wollen. “Für jeden Abgeordneten ist es eine Zumutung, dass wir uns auf dieses moralische und intellektuelle Niveau herab begeben müssen», sagte Gabriel. Merkel dürfe ihrem Minister ein solches Fehlverhalten nicht durchgehen lassen.