So wichtig gemeinsame Lösungen in der Flüchtlingspolitik sind, die Flüchtlingsdebatte darf nicht Fortschritte in anderen Bereichen ausbremsen. Vor allem darf die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion nicht um weitere Jahre aufgeschoben werden.

Nur mit den richtigen Prioritäten und mit pragmatischen Lösungen kann es gelingen, den Rechten und neuen Nationalisten in Europa Wind aus den Segeln zu nehmen. In den kommenden Wochen und Monaten müssen die Demokraten Europas umso mehr ihre Kompromiss- und Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Wenn erst im kommenden Jahr der Brexit und der Europawahlkampf die europäische Agenda bestimmen, könnte es für größere Fortschritte zu spät sein.

Natürlich wird dies alles andere als einfach. Schon jetzt sitzen Rechte und Nationalisten mit an den Brüsseler Verhandlungstischen. Dass es nicht leicht wird, darf aber nicht dazu führen, dass es sich die Demokraten in Europa zu leicht machen und gewissermaßen in vorauseilender Resignation die drängenden Aufgaben erst gar nicht anpacken. Dann hätten Salvini, Strache, Orban und Co. von vorneherein gewonnen. Das Gegenteil ist notwendig: Ein europäischer Kraftakt der Vernünftigen und Verantwortungsbewussten, um so viele Fortschritte wie möglich zu erreichen – noch vor der Europawahl.

Erstens muss die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion endlich konkret vorankommen. Die deutsch-französischen Beschlüsse von Meseberg sind dafür eine gute Grundlage. Deutschland und Frankreich müssen jetzt aber auch weiter an einem Strang ziehen und zusammen mit der EU-Kommission zweifelnde Staaten mit ins Boot holen. Vor allem braucht die Eurozone ein Investitionsbudget, das besser koordinierte Zukunftsinvestitionen ermöglicht und in Krisen stabilisierend wirken kann. Grundzüge dafür müssen bis Ende dieses Jahres stehen.

Zweitens muss es gelingen, Fortschritte für mehr Gerechtigkeit in Europa auf den Weg zu bringen. Die zuletzt ins Leben gerufene Europäische Säule sozialer Rechte muss mit Leben gefüllt werden. Dazu gehört auch ein Rechtsrahmen für Mindestlöhne in möglichst allen EU-Staaten. Zudem gilt es bis Jahresende die Weichen für eine europäische Digitalsteuer zu stellen. Große Digitalkonzerne wie Google, Apple, Facebook oder Amazon dürfen sich nicht länger der Besteuerung weitgehend entziehen können. Diese Gerechtigkeitslücke gehört geschlossen.

Drittens ist es höchste Zeit, die Blockaden in der Flüchtlingspolitik zu durchbrechen. So bitter es ist, dass sich einige Staaten unverändert einer solidarischen Flüchtlingspolitik Europas verweigern: Statt Dauerstreit sind jetzt flexible Lösungen gefragt. Zumindest eine Gruppe verantwortungsbewusster Staaten sollte vorangehen und bei der Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen sowie der Rückführung von Migranten ohne Bleibeperspektive konstruktiv zusammenarbeiten. Um die Herkunftsstaaten zur Kooperation zu bewegen, sollten zugleich mehr Möglichkeiten der legalen Einwanderung geschaffen werden, etwa über Arbeitsvisa oder Stipendien. Eine reine Abschottungspolitik wird Europas Werten und Verantwortung jedenfalls nicht gerecht.

In diesen und weiteren Fragen sind Fortschritte möglich, wenn die Demokraten in Europa jetzt ihre Kräfte bündeln. Auf längere Sicht geht es um viel: Um nicht weniger als den Erhalt unserer Demokratie und die Selbstbehauptung Europas in einer unsicherer werdenden Welt. Ein schwaches „Spar-Europa“ wird weder ausreichen, um sich gegen Trump und Co. in der Welt zu behaupten, noch um die Rechten und Nationalisten in Europa in Schach zu halten. Dazu brauchen wir ein starkes und geeintes Europa – mehr denn je!