SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat anlässlich des 50. Jahrestages des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens die Forderung bekräftigt, die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen. „Während die Eltern damit zu kämpfen hatten, in unserem Land nicht verwurzelt zu sein, ringen die Kinder damit, ihre Wurzeln in zwei Kulturen zu haben,“ sagte Steinmeier beim Deutsch-Türkischen Unternehmerforum. „Wer Integration ernst nimmt, muss den Menschen helfen, diesen Konflikt zu überwinden.“ Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat die SPD bereits in den Bundestag eingebracht. Ein Vorschlag der Länder liegt ebenfalls vor. Wir dokumentieren die Rede im Wortlaut.
Sehr geehrte Frau Boyner,
Sehr geehrter Herr Babacan,
Sehr geehrter Herr Keitel,
sehr geehrter Herr Oettinger,
meine Damen und Herren,
unsere Blicke richten sich in diesen Tagen in den Osten der Türkei, wo ein verheerendes Erdbeben in der vergangenen Woche viele Menschenleben gefordert und schreckliche Zerstörung angerichtet hat.
Wir trauern mit unseren türkischen Freunden um die Opfer. Wir wünschen den vielen Verletzten baldige Genesung.
Und wir versichern Ihnen, sehr geehrter Herr Minister, lieber Ali Babacan, die Hilfe und Unterstützung, die Sie brauchen und die Sie wünschen.
Nehmen Sie dies nicht als Höflichkeit oder protokollarische Pflicht! Solidarität in der Not, das ist Ausdruck unserer engen Verbundenheit und Freundschaft, die sich gerade in solchen Zeiten bewähren muss.
Meine Damen und Herren,
die Geschichte der Beziehungen unserer beiden Staaten ist reich und sie ist lang. Mein Eindruck ist: Daran erinnern wir zu wenig. Um so wichtiger sind Gelegenheiten wie diese. Denn ganz ohne Zweifel ist die Unterzeichnung des Anwerbeabkommens vor 50 Jahren ein unübersehbarer Markstein in der jüngeren Geschichte der deutsch-türkischen Partnerschaft. Was zunächst ganz sicher nüchterne ökonomische Gründe gehabt hat, hat einer neuen und engen Verflechtung unserer beiden Länder den Weg geebnet. Tausende, Zehntausende, Hunderttausende haben sich auf den Weg gemacht, um fernab ihrer Heimat vorübergehend oder dauerhaft eine neue Zukunft zu suchen. „Vom Morgenland ins Abendland“ hieß es damals in deutschen Zeitungsartikeln. Das war nicht völlig falsch! Aber wir wollen nicht vergessen, dass erst kurz zuvor eine historische Phase gegeben hat, in der Migration eine andere Richtung nahm.
Während des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte war die Türkei Zufluchtsort für viele Deutsche, die Schutz vor Verfolgung durch die Nazis gesucht haben. Namen wie der spätere Berliner Bürgermeister Ernst Reuter, der Komponist Paul Hindemith oder der Architekt Bruno Taut, stehen für die Gruppe bedeutender deutscher Geistesgrößen, die ihre Heimat fliehen mussten und in der Türkei Zuflucht gefunden haben. Hunderte von jüdischen und nicht-jüdischen Wissenschaftlern – Ärzte, Chemiker, Mathematiker, Ökonomen – waren darunter. Viele von ihnen sind für immer geblieben.
Sie waren willkommen in der Türkei, als in Deutschland die Synagogen brannten und die Brutalität der NS-Herrschaft zum Exodus der Intelligenz an Hochschulen und Universitäten führte. Sie haben dank großzügigen Asyls überlebt. Aber nicht nur das: Viele von ihnen haben dabei geholfen, eine Freundschaft zu begründen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter vertieft hat.
Lieber Ali Babacan, wir beide sind durch Zufall Zeuge geworden, wie tief die Menschen von diesen Jahren geprägt sind. Vor fünf Jahren war ich mit einer Gruppe von Kulturschaffenden, Journalisten und Wirtschaftsvertretern in Istanbul, um ein Netzwerk für deutsch-türkischen Kulturaustausch zu gründen. Abdullah Gül, heutiger Präsident der Türkei, war dabei, auch Ali Babacan! Und als es ans Reden ging, hielt Prof. Weyrich, damals Forschungsvorstand von Siemens, seine Rede in perfektem Türkisch. Warum: weil er mit seinem Vater, der Mathematiker war, im türkischen Exil aufgewachsen war. Biographien wie diese, oder die von Edzard Reuter, der die Exil-Jahre mit seinem Vater in guter undwacher Erinnerung hat, solche Biographien stehen bis heute für den deutsch-türkischen Brückenschlag.
Ich mache diesen kurzen historischen Einschub, weil ich mich selbst immer wieder gefragt habe, ob es eigentlich Zufall war, dass der Blick der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staates vor 50 Jahren sich so nachdrücklich auf die Türkei richtete. Und wir dürfen vermuten: Zufall war es nicht! Man kannte sich und war verbunden über eine gemeinsame Geschichte, die aus Sicht der Türkei enger mit Deutschland als mit jedem anderen west-europäischen Staat verband!
Das deutsche Wirtschaftswunder drohte damals zum Opfer des eigenen Erfolges zu werden. Der deutschen Wirtschaft drohten die Arbeitskräfte auszugehen. Das Anwerbeabkommen mit der Türkei war eine Antwort darauf. Fast 700.000 Menschen kamen in den folgenden zehn Jahren aus der Türkei nach Deutschland.
Weit weg von zu Haus, ohne die Sprache der neuen Heimat zu verstehen, haben sie da angepackt, wo die Arbeit am schwersten war. Haben die Kohle aus der Erde geholt, als Stahlkocher Hitze und Dreck widerstanden, auf dem Bau geschuftet. Und Autos haben sie zusammengeschraubt. 12.000 Türken arbeiteten in den 70er Jahren schon bei Ford in Köln. Und die Lebensumstände waren für die meisten alles andere als freundlich! Manche hat das Heimweh, die Trennung von der Familie schier zerrissen. Nicht überall in Deutschland war ihre Ankunft freudig begrüßt. Und weil jede Mark, die nicht zum Überleben notwendig war, in die türkische Heimat, an die Familie geschickt wurde, war das Leben der türkischen Arbeiter doppelt kärglich. All das wissen wir. Aber uns sollte zusätzlich bewusst sein, ohne den Fleiß und den Ehrgeiz derjenigen, die von weit her gekommen sind, hätte die wirtschaftliche Aufholjagd in Deutschland ein jähes Ende gefunden.
Das deutsche Wirtschaftswunder, ein wirtschaftliches Wachstum von beispielloser Stabilität, die Steigerung des Wohlstands für breite Schichten in Deutschland – und das nur zwei Jahrzehnte nach Ende der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs – das war und ist auch getragen von hunderttausenden türkischen Migranten. Unser Erfolg ist auch ihr Erfolg! Und es ist Zeit, dafür ganz herzlich Dank zu sagen!
Meine Damen und Herren,
trotzdem bleibt die Frage: haben wir gewusst, was Arbeitsmigration in dieser Größenordnung bedeutet. Was sei in der Gesellschaft verändert, aus der sie emigrieren. Was sie in der Gesellschaft verändert, die sei aufnimmt. Sicher nicht! Wir in Deutschland haben geglaubt, mit einem Provisorium, einer Übergangslösung zu leben. Der Sprachgebrauch war verräterisch: Der Gastarbeiter war nach damaligem Verständnis eben Gast, blieb fremd und nicht vollberechtigter Teil unserer Gesellschaft. Es war Max Frisch, der uns mit Blick auf Ungerechtigkeiten und Gedankenlosigkeit zugerufen hat: „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen!“ Er und viele andere mahnten an, endlich Zuwanderung als dauerhafte zu akzeptieren und ernsthaft Integration anzugehen. So richtig und notwendig das war: Auch die türkischen Arbeitsemigranten lebten jahrelang in gleichem Provisorium. Der Rückkehrwunsch stand fest. Aber der Zeitpunkt verschob sich, erst für Monate, dann für Jahre! Und als die erste Generation Kinder in Deutschland geboren war, dann die 2., da wurde die Bande zu unserem Land, der neuen Heimat immer dichter. „Wir haben vergessen, zurückzugehen“ heißt ein wunderbarer Dokumentarfilm von Fatih Akin.
Meine Damen und Herren,
was anfangs Provisorium und Übergangslösung schien, hat sich über die Jahre zu einem festen Bestandteil unserer Kultur und Gesellschaft entwickelt. Unzählige Familien türkischer Herkunft haben hier in Deutschland Wurzeln geschlagen, haben zum Teil seit drei Generationen ihren Lebensmittelpunkt hier. Viele haben die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen.
Über drei Millionen Menschen türkischer Herkunft leben heute in Deutschland. Es ist geradezu absurd, dass mancherorts in Deutschland immer noch darüber diskutiert wird, ob wir ein Einwanderungsland sind oder nicht.
Diese Form der Realitätsverweigerung hat viel damit zu tun, dass Integration nicht immer und nicht überall so gelingt, wie es sein sollte.
Ich brauche hier in diesem Raum niemanden davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, dass wir nachholen, was nicht gelungen ist. Und davon gibt es eindeutig zu viel! Wir sind dies nicht nur denen schuldig, die zugewandert sind oder als Kinder von Zugewanderten hier geboren sind. Wir sind es uns auch selbst schuldig. Denn wer zulässt, dass zu viele gerade junge Menschen dieses Bevölkerungsteils zu wenige Chancen haben, wer in Kauf nimmt, dass sie sich von der Gemeinschaft abwenden, weil sie ihnen nichts zu bieten hat, der setzt den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft aufs Spiel!
Und etwas ganz entscheidendes kommt hinzu, was zunehmend unser gemeinsames Problem - das derjenigen deren Ur-Großväter in der Lüneburger Heide und derjenigen, deren Ur-Großväter in Anatolien geboren wurden – werden wird: Im vergangenen Jahrzehnt war Arbeitslosigkeit das größte Problem unserer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Das zentrale Thema des kommenden Jahrzehnts wird der Mangel an Fachkräften sein, der seine Schatten schon jetzt vorauswirft.
Statt steile Thesen über die genetisch bedingte Integrationsunwilligkeit zu vertreten, sollten wir froh sein, dass wir viele junge Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund haben. Immer wieder zeigen uns erstaunliche Karrieren in den Medien, in der Kultur, in der Wirtschaft, welche Potentiale darin stecken. Bei allen Schwierigkeiten: da schlummert ein Schatz. Ich bin sicher: wir müssen uns noch intensiver darum bemühen, diesen Schatz zu heben!
Die Generation der jungen Migranten, die in der Regel bereits in Deutschland geboren wurden, kennen die frühen Erfahrungen ihrer Eltern und Großeltern meist nur aus Erzählungen.
Das Gefühl der Fremdheit und Einsamkeit in einem fernen, kalten Land, der Kampf mit dieser sperrigen Sprache und ihrer gnadenlosen Grammatik, die Sehnsucht nach dem Zuhause und der Familie in der Türkei – diese harte Konfrontation mit der Realität der Fremde blieb den hier geborenen Türkinnen und Türken erspart.
Diese frühen Erlebnisse und Erfahrungen – oft tragisch sind heute Teil des kollektiven Gedächtnisses der türkischen Familien in Deutschland – und sie sind durch Bücher und nicht zuletzt durch Filme wie „40m2 Deutschland“ (Tefile Baser) oder „Gegen die Wand“ (Fatih Akin) auch zum Teil deutscher Gegenwartskultur geworden.
Aber auch da verändert sich etwas! Der Film von Yasemin und Nesrin Samdereli „Almanya – Willkommen in Deutschland“ ändert die Blickrichtung! „Almanya“ beschreibt auf kluge und feinsinnige, oft humorvolle Weise wie die jungen Migranten in Deutschland vor anderen, jedoch nicht minder schwierigen Lebenserfahrungen stehen wie ihre Eltern.
Während die Eltern aber damit zu kämpfen hatten, in unserem Land nicht verwurzelt zu sein, ringen die Kinder und Enkelkinder damit, ihre Wurzeln in zwei Kulturen zu haben – in Deutschland und der Türkei. Dieser Konflikt, das Gefühl nirgendwo so ganz zu Hause zu sein, in Deutschland als Türke, in der Türkei als Deutscher wahrgenommen zu werden, begegnet einem in vielen Gesprächen.
Wer Integration Ernst nimmt, der muss hier beginnen. Der muss den jungen Menschen helfen, diesen inneren Konflikt zu überwinden. Ich befürchte: Wir aber tun das Gegenteil – indem wir jungen Menschen im Alter von 18 Jahren durch unser Staatsangehörigkeits-recht die Entscheidung für eine Seite abzwingen. Entweder Deutscher oder Türke. Beides geht nicht. Wirklich nicht?
Die jetzige sogenannte Optionslösung war ein Versuch, ein Angebot; aber ein Angebot das ausgeschlagen wird! Wenn wir ernsthaft mehr junge Menschen mit türkischem Migrationshintergrund einbürgern wollen, werden wir meiner ganz persönlichen Überzeugung nach über die doppelte Staatsangehörigkeit neu nachdenken müssen. Und ich hoffe sehr, dass inzwischen soviel Vernunft und Rationalität in die Integrationsdebatte eingekehrt ist, dass die Diskussion darum nicht sofort wieder mit Tabus belegt wird.
Meine Damen und Herren,
neues Denken wird uns einfacher fallen – davon bin ich überzeugt – wenn wir an der Vertiefung der Beziehungen unserer beiden Länder mit großem Ehrgeiz weiter arbeiten. Natürlich in wirtschaftlicher Hinsicht, dazu ist viel gesagt worden. Natürlich in politischer Hinsicht, daran sind viele hier im Raum beteiligt. Ali Babacan und ich haben uns daneben immer auch bemüht, den kulturellen Austausch zwischen unseren Ländern zu intensivieren, um das Fundament unserer Freundschaft weiter zu festigen.
Wir haben die vertraglichen Grundlagen für eine türkisch-deutsche Universität gelegt, die gerade in Istanbul entsteht. Wir haben viele Projekte im Rahmen der Ernst-Reuter-Initiative durchgeführt. Und wir haben den Aufbau der Künstlerakademie Tarabya auf den Weg gebracht, die gerade vor wenigen Tagen eröffnet worden ist.
Und eben weil mir dies alles immer Herzensangelegenheit war, war es wohl auch kein Zufall, dass mich meine erste Reise in neuer Funktion als Oppositionsführer vor zwei Jahren nach Istanbul geführt hat.
Ich hatte damals das Vergnügen und die Ehre, den von TÜSIAD vergebenen Preis für Europäische Verständigung entgegennehmen zu dürfen. Ich erinnere mich: In meiner Dankesrede habe ich nicht nur die enorme wirtschaftliche Dynamik des Landes hervorgehoben; auch nicht nur die Modernisierungs- und Veränderungsbereitschaft gelobt; nein ich habe die Erwartung geäußert, dass die Türkei mit wachsender Wirtschaftskraft auch mehr Verantwortung in er internationalen Politik übernimmt. Niemand konnte damals ahnen, auch ich nicht, dass diese Verantwortung nur zwei Jahre später in höchstem Maße gefragt sein würde:
Zwei Jahre ist das her. Seither haben sich dramatische Veränderungen vollzogen. An der Kraft und Dynamik der türkischen Wirtschaft hat sich wenig geändert. Die Europäische Union leidet erheblich unter den Folgen der Wirtschafts-, Finanz- und Währungskrise. Die Türkei zeigt sich davon völlig unbeeindruckt und erzielt weiterhin Wachstumsraten von zuletzt über 8 Prozent, die uns vor Neid erblassen lassen. Im ersten Quartal 2011 waren es 11 % und im Jahresdurchschnitt werden über 7% erwartet; davon kann selbst Deutschland dieser Tage nur träumen. Die Türkei kann Europas Ringen um die Rettung seiner Banken gelassen beobachten, denn man hat diese Hausaufgaben bereits vor rund zehn Jahren gemacht und profitiert nun von einem stabilen Bankensektor. Das Ganze bei 41 % des Stands öffentlicher Verschuldung im Verhältnis zum GDP; das erreicht zur Zeit kein Mitgliedstaat der EU!
Ich habe deshalb nie verstanden, warum einige in Deutschland so vehement gegen eine EU-Mitgliedschaft mit der Türkei waren.
Wie wichtig die Türkei für die Europäische Union ist, das erweist sich doch gerade in diesen Tagen einmal mehr – angesichts der der grundlegenden Veränderungen in Teilen der arabischen Welt, deren Zeugen wir sind und die die strategischen Gewichte der Region grundlegend verschieben.
Wir alle haben uns die Augen gerieben in den letzten Wochen und Monaten: In einzelnen Ländern sind scheinbar eherne Machtstrukturen innerhalb von Wochen oder gar Tagen implodiert. In der Maghreb-Region fassten Menschen ihren ganzen Mut und stritten gegen Bevormundung und Unterdrückung.
Die Säulen der alten Ordnung sind zerstört. Die Säulen einer neuen Macht, die Säulen der Demokratie aber sind noch nicht errichtet. Was daraus folgt, ist offen. Sicher ist nur: für viele Menschen in der Region, die Orientierung auf dem Weg zu einer neuen Ordnung suchen, ist die Türkei Muster und Vorbild, als lebendes Beispiel für ein funktionierendes Miteinander von Islam und Demokratie. Von den Gewinnern der Wahl in Tunesien hörten wir es in der vergangenen Woche ausdrücklich!
Es ist eine enorme Verantwortung, die auf den Schultern der türkischen Führung ruht. Kaum eine andere Stimme findet in den Staaten im Umbruch derzeit soviel Gehör, wie die der Türkei. Kaum eine andere Stimme hat ein solches Potential, den Gang der Ereignisse in der Region zu beeinflussen und ihnen Richtung zu geben.
Und das wird notwendig sein. Denn: Von der Euphorie der Straße aus den ersten Wochen ist wenig geblieben. Wir erleben jetzt, wie schwierig es für die Verantwortlichen in Tunesien und Ägypten wird, die Hoffnungen und Erwartungen der Massen zu erfüllen.
Die Wahlen in Tunesien geben Anlass zur Hoffnung, dass der Wandel geordnet von statten gehen kann. Welche Gestalt das neue Tunesien haben wird, ist nach dem Ergebnis der Wahlen aber noch nicht erkennbar. Und wie es in Ägypten, vor allem aber auch in Libyen, in Syrien, dem Jemen weitergehen wird, weiß heute noch niemand.
Es gibt keinen historischen Automatismus in Richtung Freiheit, Demokratie und Stabilität.
Niemand weiß aus der eigenen dunklen Geschichte besser als wir Deutschen: Demokratie braucht Demokraten. Und Demokratie braucht Erfolg!
Wenn die Menschen die Erfahrung machen, dass politische Veränderung, der Kampf um Freiheit und Demokratie, zu mehr Armut und Unsicherheit führt, dann werden sie empfänglich für Stimmen, die aus der Enttäuschung politischen Profit zu schlagen versuchen.
Vor etwa zwei Wochen habe ich vor einem deutsch-arabischen Unternehmerforum gesprochen und gesagt: Ganz gleich, ob Sie die Veränderungen in Nordafrika mit Wohlwollen sehen oder nicht: Es gibt keinen Weg zurück! Das Interesse – auch der arabischen Welt – muss sein, dass die neue Ordnung im Maghreb friedlich, stabil und ohne fundamentalistische Rückwärtsorientierung entsteht. Wenn Europa für einen Moment den Blick in den eigenen Spiegel ablöst und die Dauerbeschäftigung mit sich selbst unterbricht – dann müsste man auch bei uns erkennen, dass es viele übereinstimmende Interessen mit Blick auf die Region gibt, die Nachbar von uns beiden ist.
Mich freut, dass BDI und TÜSIAD darüber nachdenken, in welchen Feldern wir gemeinsam tätig werden können und Wachstumspotentiale in der Maghreb-Region heben können. Was wir gemeinsam tun können, um politisch aber eben auch wirtschaftlich zum Erfolg der arabischen Erneuerung beitragen können.
Wir haben als nächste Nachbarn einer Region im Umbruch, ein gemeinsames Interesse daran, dass auf den unerwarteten Frühling kein ungemütlicher Herbst folgt. Ein türkisch-deutsches „Joint Venture“ als Partner für die demokratische Erneuerung im südlichen Mittelmeerraum ist ein mehr als lohnenswertes Zukunftsprojekt für unsere beiden Länder.
50 Jahre deutsch-türkisches Anwerbeabkommen sind Anlass für den Blick zurück; auch für Dank an diejenigen, die gekommen sind. Für unsere Länder aber vor allem aber Anlass für den gemeinsamen Blick nach vorn! Es gibt viel zu tun!
Herzlichen DANK.