Dr. Sascha Raabe (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Ruck, lieber Herr Klein, Sie versuchen hier, den kümmerlichen Aufwuchs dieses Haushaltes
(Helga Daub [FDP]: Aufwuchs! Aufwuchs!)
mit einem vermeintlichen Entwurf aus dem letzten Jahr zu vergleichen, der nie in das Parlament – dann können wir das Parlament auch auflösen – eingebracht worden ist. Man kann aber nur das vergleichen, was vergleichbar ist. Das war ein überrollter Haushalt, der vor der Bundestagswahl nicht mehr in das Parlament eingebracht wurde.
Fakt ist, dass wir in den letzten beiden Jahren einen Aufwuchs von über 14 Prozent hatten. Jetzt kommen Sie mit nur knapp 4 Prozent daher und wollen kaschieren, dass der Entwicklungsminister und die Kanzlerin ein Versprechen bzw. eine Zusage an die ärmsten Menschen dieser Welt nicht eingehalten haben. Das werden wir nicht durchgehen lassen. Dieser Haushalt ist und bleibt eine Schande für Deutschlands Ansehen in der Welt und ein Schlag ins Gesicht der Ärmsten der Armen.
(Beifall bei der SPD – Harald Leibrecht [FDP]: Sie sprechen hier von Steuergeldern!)
Ich kritisiere jetzt bewusst die Kanzlerin. Von Ihnen, Herr Entwicklungsminister – das habe ich schon bei der Einbringung des Haushalts gesagt –, bin ich nicht enttäuscht; denn von Ihnen habe ich nichts anderes erwartet. Sie wollten das Ministerium abschaffen. Sie haben noch vor einem Jahr gesagt, Entwicklungshilfe für Afrika sei verpulvertes Steuergeld, dafür solle man lieber deutsche Lehrer einstellen. Von Ihnen habe ich garnicht erwartet, dass Sie für einen großen Etat kämpfen. Aber dass sich die Bundeskanzlerin, die sich bei jedem Kirchentag und bei jedem internationalen Auftritt mit Künstlern wie Bono immer wieder hat feiern lassen und gesagt hat, sie stehe zu dem Ziel der ODA-Quote von 0,51 Prozent im Jahre 2010, jetzt klammheimlich aus der Verantwortung davongestohlen hat, ist unerhört. Sie hat schon in Kopenhagen in Bezug auf den Klimaschutz Ankündigungen gemacht, die sie nicht hält, und jetzt geschieht das Gleiche bei der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist Kontinuität in der Lüge. Wenn Pinocchio eine Schwester hätte, dann würde sie Angela heißen.
(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)
Wenn wir wollen, dass die Entwicklungsländer uns beim Klimaschutz und bei internationalen Verhandlungen vertrauen, dann müssen wir ihnen die Mittel zur Verfügung stellen, die wir ihnen zum Teil schon seit den 70er-Jahren versprochen haben. Nichts davon ist zu sehen. Was 2015 angesichts dessen, dass der Entwicklungsminister die Finanztransaktionsteuer ablehnt,
(Harald Leibrecht [FDP]: Sehr vernünftig!)
geschehen soll, ist mir schleierhaft.
Herr Minister Niebel, jetzt komme ich zu Ihnen. Wir waren letzte Woche gemeinsam auf Dienstreise in Vietnam und Kambodscha. Vielleicht sagen Sie im Anschluss in Ihrer Rede auch noch etwas dazu. Ich will aber schon einmal den ersten Teil des Reiseberichts liefern. Der Fairness halber ist zu sagen: Die Länder und die Programmpunkte waren gut ausgewählt. Wir haben uns vom zivilen Friedensdienst über die Förderung der ländlichen Entwicklung, eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und die Gesundheit bis hin zu den Frauenrechten vieles angeschaut; das alles war in Ordnung. Auch die Gespräche mit den politischen Entscheidungsträgern von Regierung und Parlament waren gut. Sie haben in Ihren einleitenden Sätzen durchaus die richtigen Worte gewählt. Sie haben immer darauf hingewiesen, dass gute Regierungsführung in den Partnerländern wichtig ist, und das unterstütze ich. Die Themen Menschenrechte, Demokratie, Rechtstaatlichkeit und der Kampf gegen die Korruption haben wir zu Recht gemeinsam angesprochen; denn die Mittel aus der Entwicklungszusammenarbeit sollen bei den Ärmsten ankommen und nicht in den Taschen der Regierenden und Eliten landen.
Sie haben ausgeführt, dass Sie das in Kambodscha noch prominenter als in Vietnam angesprochen haben, weil sich Kambodscha als Demokratie versteht. Sie begründen das damit, dass Kambodscha einen höheren Anspruch als Vietnam habe, das sowieso nur ein Einparteiensystem habe und in dem keine freien Wahlen stattfinden würden. Man kann dieser Logik folgen. Wenn man ihr aber folgt, dann muss man auch berücksichtigen, dass es in Kambodscha nach dem Terror der Roten Khmer und der Besetzung durch Vietnam erst seit 1993 freie Wahlen gibt. Es ist eine sehr junge Demokratie, die sich erst in der 4. Legislaturperiode befindet. Wir haben zu Recht trotzdem gemahnt und den Finger gehoben. Allerdings frage ich mich, was passiert, wenn unsere Gesprächspartner, die wir zu einem Gegenbesuch eingeladen haben, nach Deutschland kommen und zu Recht die Erwartungshaltung haben, dass ein demokratischer Staat wie die Bundesrepublik Deutschland, die seit 1949 besteht und sich in der 17. Legislaturperiode befindet, eine lupenreine Demokratie mit guter Regierungsführung sein müsste. Herr Niebel, Sie werden mir zustimmen, dass in Deutschland, in einem etablierten, jahrzehntelang währenden demokratischen Staat und einer reichen Nation, die sich einen öffentlichen Dienst etc. leisten kann, ein höherer Maßstab als in Kambodscha angelegt werden muss. Wenn das aber so ist, wie soll ich dann meinem kambodschanischen Parlamentskollegen erklären, warum unser Entwicklungsminister Niebel in seinem Ministerium fast alle wichtigen Leitungsfunktionen mit Parteifreunden besetzt hat und sogar extra eine neue Abteilung zur Versorgung von FDP-Parteifunktionären geschaffen hat?
(Helga Daub [FDP]: Das kennen wir schon! – Holger Haibach [CDU/CSU]: Die SPD hat das nie gemacht! – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Bei Ihnen hat es das nie gegeben!)
Was soll ich meinem kambodschanischen Parlamentskollegen erklären, wenn er mich fragt, welche Einflüsse in Deutschland von außen auf die Gesetzgebung möglich sind und wie sich die Parteien finanzieren?
(Harald Leibrecht [FDP]: Da lachen ja die Hühner!)
(B) Wie soll ich ihm erklären, dass die Regierungspartei FDP 1,1 Millionen Euro von der Hotellobby gespendet bekommen hat – die höchste Spende ihrer Geschichte – und CDU und CSU zusammen 800 000 Euro bekommen haben und sie danach ein Gesetz auf den Weg gebracht haben, mit dem den Hotellobbyisten über 1 Milliarde Euro geschenkt wurde? Ich kann es nicht erklären.
(Harald Leibrecht [FDP]: Das müssen Sie auch nicht!)
Ich kann dies vor allen Dingen nicht mit guter Regierungsführung erklären. In jedem anderen Land der Welt würde man ein solches Vorgehen in die Nähe von Korruption rücken.
Wenn mich mein kambodschanischer Kollege fragt, was man denn in Deutschland tun muss, um als Unternehmer einem Ministerpräsidenten ein wichtiges Anliegen vorzutragen, dann kann ich ihm sagen: Du hast zwei Möglichkeiten. Du kannst entweder beim Büro des Ministers um einen Termin bitten. Vielleicht hast du Glück und kannst einen Staatssekretär sprechen. Wenn du ganz viel Glück hast, kannst du nach vielen Monaten auch den Ministerpräsidenten sprechen. Oder du zahlst 6 000 Euro an die Parteikasse der CDU, dann bekommst du spätestens beim nächsten Parteitag ganz sicher die Möglichkeit zu einem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten.
(Helga Daub [FDP]: Sprechen Sie zum Haus-halt! – Volkmar Klein [CDU/CSU]: Zum Thema Entwicklungshilfe haben Sie nichts zu sagen?)
Ich möchte nicht missverstanden werden: Natürlich sind die Zustände in Kambodscha mit denen in Deutschland nicht vergleichbar.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Raabe.
Dr. Sascha Raabe (SPD):
Aber wir müssen einen höheren Maßstab an uns anlegen. Wenn wir gegenüber unseren Partnerländern glaubwürdig sein wollen und dort eine gute Regierungsführung einfordern, –
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Raabe!
Dr. Sascha Raabe (SPD):
– dann müssen wir vor unserer eigenen Haustür kehren.
(Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Mein letzter Satz konkret zum Haushalt. Wir befinden über den Personalplan und die Finanzierung der Stellen im Ministerium.
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ein Raabe macht noch keine Demokratie! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Raabe, wenn Sie noch innerhalb Ihrer Redezeit gewesen wären, dann hätte ich Sie gefragt, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen wollen. Sie sind aber so weit außerhalb Ihrer Redezeit, dass ich das nicht mehr fragen kann. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.
Dr. Sascha Raabe (SPD):
Ich komme zum Ende. – Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich würde gerne den Mitteln für den Personaletat des Ministeriums zustimmen, weil es dort viele gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt. Aber was die unzähligen Versorgungsposten für Parteifreunde auf Leitungsebene angeht, sage ich: Wir machen da nicht mit. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Schon allein deshalb werden wir dem Haushalt nicht zustimmen. In diesem Sinne können Sie auf unsere Ablehnung zählen.
Ich würde mir wünschen, Herr Minister, dass wir in Deutschland dafür sorgen, dass gute Voraussetzungen bezüglich unserer Glaubwürdigkeit herrschen, bevor wir das nächste Mal zusammen ins Ausland reisen. Wir in Deutschland müssen mit gutem Beispiel vorangehen und für eine saubere Trennung von Partei- und Regierungsämtern sorgen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)