Swen Schulz (Spandau) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einer langen Zeit der Ankündigungen und des Wartens haben wir nun endlich den Entwurf für ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz, wie es die Koalition nennt, vorliegen. Mit großer Rhetorik hat Ministerin Schavan den Kabinettsbeschluss gefeiert. Auch in den Reden, die wir hier gehört haben, wird der Entwurf als wegweisende Initiative dargestellt.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Richtig erkannt!)

Wenn man sich den tatsächlichen Inhalt anschaut, ist man doch eher ernüchtert, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Richtig lesen, Herr Schulz!)

Ich will das hier nicht kleinreden. Es sind sicher gute Ansätze erkennbar. Wir sind in der Großen Koalition schon einige Schritte gemeinsam gegangen. Frau Schavan, Sie haben das auch gesagt.
Ich will aber einige Aspekte ansprechen, die uns von der SPD wichtig sind. Uns unterscheidet von Ihnen die Grundphilosophie. Gemeinsam wollen wir den außeruniversitären Einrichtungen mehr Handlungsfreiheit ermöglichen, damit sie nicht durch Bürokratie und Vorschriften unnötig gebremst werden. Ein Beispiel ist die Möglichkeit, Spitzenwissenschaftler auch außerordentlich gut zu bezahlen. Das ist so weit in Ordnung. Doch wir sagen auch, dass die Freiheit nicht so weit gehen darf, dass Nachwuchswissenschaftler schlecht behandelt werden dürfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das steht doch im Gesetz!)

Ihr Freiheitsbegriff, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, steht gewissermaßen nur auf einem Bein. Wir wissen aber, dass zur Freiheit auch Verantwortung gehört.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie also den Einrichtungen die Freiheit geben, besonders hohe Gehälter an Spitzenleute zahlen zu können, dann müssen Sie auch dafür sorgen, dass der wissenschaftliche Nachwuchs Perspektiven erhält. Wir haben mehrfach hier im Plenum und im Ausschuss über dieses Thema gesprochen. Wir brauchen den wissenschaftlichen Nachwuchs. Ohne ihn gibt es ja auch keine Spitzenwissenschaftler.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wollen erreichen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach ihrer Qualifikationsphase nicht gezwungen werden, in die Wirtschaft oder ins Ausland zu gehen, um eine berufliche Perspektive zu erhalten, um Familie und Beruf vereinbaren zu können, um Stabilität zu bekommen, sondern wir wollen, dass auch die öffentlich finanzierten Einrichtungen immer gute Arbeitgeber sind. Wir fordern die Erhöhung des Anteils unbefristet beschäftigten Personals, Zielvereinbarungen mit den Forschungseinrichtungen und die Aufhebung der Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Das sind nur einige Stichpunkte aus der Reihe von sehr konkreten Vorschlägen unseres Antrags aus dem letzten Jahr. Nachdem wir einen Antrag vorgelegt haben, Grüne und Linke ebenso, nach vielen Studien, Berichten und Anhörungen haben vor kurzem endlich auch die Koalitionsfraktionen einen Antrag zu diesem Thema eingebracht.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Einen sehr guten Antrag!)

Doch der, lieber Kollege, ist in seiner Harmlosigkeit kaum zu überbieten.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie haben ihn wieder nicht richtig gelesen!)

Der Antrag erklärt wortreich, dass Sie letztlich gar nichts Konkretes machen wollen. Es werden zwar einige richtige Stichworte aufgegriffen, doch es folgt keine klare politische Maßgabe und Handlung.

(Patrick Meinhardt [FDP]: Dann haben Sie den falschen Text gelesen!)

– Ich beweise Ihnen das, Kollege Meinhardt.
Gleich der erste Punkt im Forderungsteil Ihres Antrags ist exemplarisch. Die Bundesregierung wird aufgefordert, „darauf hinzuwirken, dass die Vertragsdauer für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in der Regel an die Laufzeit der Projekte gekoppelt ist“. Was heißt das genau: Die Bundesregierung soll „darauf hinwirken“? Es ist doch klar, dass hier der Gesetzgeber selbst gefragt ist. Die rechtlichen Bestimmungen müssen so geändert werden, dass niemand auf irgendetwas hinwirkt, sondern dass die Verträge entsprechend gestaltet werden müssen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

In dem heute zu beratenden Gesetz – oder meinetwegen auch begleitend – haben Sie die Chance, tatsächlich etwas zu machen, anstatt nur zu reden. Aber wenn man in das Gesetz schaut: Fehlanzeige.
Ganz ähnlich verhält es sich mit einem weiteren wichtigen Thema, bei dem wir es leider nicht bei der Freiheit der Institute belassen können: der Gleichstellung der Frauen.Diese Koalition hat noch keine ernsthafte Initiative gestartet, um Frauen in Wissenschaft und Forschung zu fördern.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Darum hat die Opposition einen gemeinsamen Antrag mit Vorschlägen eingebracht, wie etwa der Anteil der Frauen an den Professuren gesteigert werden kann. Dieser Anteil beträgt derzeit lediglich 13,6 Prozent. Es braucht endlich verbindliche Instrumente wie etwa Quoten,

(Zurufe von der FDP: Oh nein!)

aber die Koalition gefällt sich in dem Schwadronieren über Freiheit.
Nächster Punkt, nächste Leerstelle: Was ist eigentlich mit den Hochschulen? Sie formulieren hier ein Gesetz, das für außeruniversitäre Einrichtungen an einigen Stellen hilfreich sein mag. Aber welche Perspektive bieten Sie den Hochschulen?

(Patrick Meinhardt [FDP]: Das ist Ländersache!)

– Ich komme gleich noch dazu.
Wir haben gemeinsam den Hochschulpakt aufs Gleis gesetzt. Dieser Pakt ist eine Erfolgsgeschichte. Und gerade weil er so erfolgreich ist, muss er ausgebaut werden. Doch Sie vonseiten der Regierungskoalition zögern und zaudern.
Gestern, Frau Schavan, gab es dann die Mogelpackung, so mit dem Trick „Linke Tasche, rechte Tasche“. Sie ziehen Mittel der Finanzplanung für die kommenden Jahre vor, stocken diese dann noch auf mit Mitteln aus dem BAföG-Etat und stopfen damit das aktuell klaffende Loch beim Hochschulpakt. Aber dadurch fehlt erstens das dringend benötigte Geld für die Anpassung des BAföG, und zweitens sind keine Mittel da, um den Hochschulpakt langfristig vernünftig auszufinanzieren. Im Gegenteil: Ab 2014 kürzen Sie bei Bildung und Forschung sogar. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP: Ammenmärchen! – Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Blödsinn!)

Sie haben gerade dazwischengerufen, dass für die Hochschulen vor allem die Länder zuständig sind. Das ist richtig und falsch zugleich, Kollege Meinhardt. Denn für die Hochschulen kann der Bund ja einiges tun; das hatte damals die SPD im Zusammenhang mit der Föderalismusreform durchgesetzt. Jetzt diskutieren wir über weitere Verbesserungen des Grundgesetzes; Frau Schavan hat das zum Schluss ihrer Rede auch angesprochen.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir hoffen, dass Sie das nicht wieder blockieren!)

Was Sie jedoch vorschlagen, hilft nur einigen Exzellenzunis. Wenn Ihnen jedoch die Hochschulen insgesamt wichtig wären, dann würden Sie eine Grundgesetzänderung vorschlagen, die allen Hochschulen helfen kann.

(Beifall bei der SPD)

Was Sie machen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, das ist letztendlich Rosinenpickerei: schön die Exzellenz fördern und die Nobelpreisträger fürstlich entlohnen, aber für die Mühen der Ebene, für die Breite, für die Gesamtverantwortung, für den Nachwuchs, für die Arbeitstiere, die kleinen Leute in der Wissenschaft, dafür sind Sie sich offenkundig zu fein.
Dieses Gesetz enthält durchaus einige diskutable Punkte, doch es ist kurzsichtig und einseitig. Was diesem Gesetz fehlt, ist die Dimension der Verantwortung.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist doch ein Witz!)

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)