Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben ja gerade ganz unterschiedliche Politikstile: Die einen sind eher gesteuert von kurzfristigen Machtinteressen und laufen Ressentiments und vermeintlichen Stimmungen hinterher, die anderen versuchen, Probleme, reale Probleme der Menschen durch harte Arbeit zu lösen. Ich freue mich, dass unser Arbeitsund Sozialminister Hubertus Heil zur zweiten Sorte gehört.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich möchte ihm herzlich gratulieren – liebe Frau Griese, vielleicht können Sie es ihm ausrichten – zum ersten Gesetzentwurf, der durch das Kabinett gegangen ist; dabei geht es um die Einführung der Brückenteilzeit. Ein Gesetzentwurf zum Thema Langzeiterwerbslosigkeit ist in der Kabinettsabstimmung. Ich fnde, das lässt sich gut an.
(Beifall bei der SPD)
Insofern danke ich der Linken auch, dass wir heute über das Thema Langzeiterwerbslosigkeit reden können, und ich will auch etwas zu Ihrem Antrag sagen. Da hat sich ja auch tatsächlich im Vergleich zu früheren Anträ- gen etwas verändert, zum Beispiel ist die Zahl der geforderten Stellen hochgegangen: von 200 000 auf 300 000. Vielleicht war Ihnen der Abstand zu den von uns anvisierten und vorgeschlagenen 150 000 Plätzen nicht groß genug, sodass Sie jetzt noch mal draufgelegt haben. An anderer Stelle – das fnde ich schön – kommen Sie uns inhaltlich entgegen. Es ist nicht mehr so, dass Sie sagen: Jeder, der ein Jahr arbeitslos ist, soll ohne Berücksichtigung anderer Hintergründe Zugang zum sozialen Arbeitsmarkt haben. Vielmehr sagen Sie jetzt – wie ich fnde, zu Recht –, dass schon geguckt werden sollte, dass es besonders arbeitsmarktferne Personen sind, zum Beispiel Personen mit Familie oder Ältere. Insofern fnde ich es gut, dass Sie uns da entgegenkommen. Es wundert mich, dass Sie ein Programm fordern. Da müssen Sie aufpassen – das vielleicht als Anregung für weitere Anträge –, dass Sie nicht von real existierender sozialdemokratischer Politik überholt werden;
(Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da würden wir uns freuen! Dazu würden wir Sie lächelnd beglückwünschen!)
denn wir werden ein Regelinstrument einführen. Ich freue mich über den Gesetzentwurf, der jetzt in der Ressortabstimmung ist. Ich will aber schon ankündigen, dass wir als SPD-Fraktion an einem Punkt Diskussionsbedarf haben. Das liegt gar nicht an Hubertus Heil; denn in dem ursprünglich vorgelegten Gesetzentwurf stand noch etwas anderes drin. Wir wollen, dass dieses Regelinstrument „fiegt“. Wir wollen, dass viele Langzeiterwerbslose wieder eine Chance haben auf Arbeit, auf Teilhabe und auf sinnvolle Beschäftigung. Da gibt es einen Knackpunkt, die Frage: Wie wird dieser Lohnkostenzuschuss berechnet? Was ist sozusagen die Bemessungsgrundlage? Im aktuellen Gesetzentwurf steht, der Mindestlohn sei die Grundlage. Das ist ein Problem, weil alle tarifgebundenen Unternehmen, kommunale Wohlfahrtsverbände dann de facto ausgeschlossen sind. Denn sie müssten massiv draufzahlen, wenn nur der Mindestlohn erstattet würde.
Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, wie Sie sehen, meldet sich jemand in der ersten Reihe, der Herr Kober. Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Daniela Kolbe (SPD): Wenn es kurz und knapp geht.
Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja, darauf achte ich schon. – Er kann auch eine Bemerkung machen.
Pascal Kober (FDP): Frau Kollegin Kolbe, Sie sprachen gerade davon, dass Sie möchten, dass Ihr Programm „fiegt“. Im Gesetzentwurf habe ich gelesen, dass für 1 000 Förderfälle 24 Millionen Euro bereitstehen sollen. Das bedeutet also 24 000 Euro pro Förderfall. Bei 1 Milliarde Euro pro Jahr, geteilt durch 24 000 Euro, kommen wir somit auf knapp 42 000 Personen. Wenn man dann mit in Anschlag bringt, dass Sie ja den Regelsatz sparen und das Geld in die Qualifzierung bzw. in dieses Regelinstrument reinvestieren wollen, kommt man, wenn man, grob geschätzt, 42 000- mal den Regelsatz von 416 Euro nimmt, auf 17 Millionen Euro. Das ergibt dann weitere 722 Fördermöglichkeiten. Sie erreichen summa summarum pro Jahr nicht einmal 50 000 Plätze. Da die Mittel aber über mehrere Jahre hinweg gebunden sind, möchte ich wissen, wie Sie damit einen nennenswerten Personenkreis erreichen wollen.
Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kolbe.
Daniela Kolbe (SPD): Natürlich ist das eine spannende Frage. Es sind in der Zielstellung 150 000 Plätze. Im ersten Schritt werden wir dieses Regelinstrument einführen, das zwei Stufen haben soll. Es soll einmal für Langzeiterwerbslose, die bereits sechs Jahre im Leistungsbezug sind, gelten. Das wird sowieso anstrengend sein und viel Arbeit erfordern, Stellen für die Betrofenen zu fnden, gerade in normalen Unternehmen. Außerdem wird es die Möglichkeit von Lohnkostenzuschüssen für Menschen geben, die zwei Jahre erwerbslos sind.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel zu lang!)
Was aber noch nicht im Gesetzentwurf steht, ist, dass wir auch den Passiv-Aktiv-Tausch umsetzen wollen, um auch aus den Länderprogrammen und den Länderanstrengungen heraus Stellen zu schafen,
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre jetzt aber nichts Neues!)
damit möglichst viele Langzeiterwerbslose die Möglichkeit haben, einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen. Lassen Sie uns beginnen! Lassen Sie uns das aber auch nicht naiv angehen! Tatsächlich ist es ein teures Instrument, gerade wenn Coaching dazukommt. Aber ich denke, dass wir deutlich über die von Ihnen vorgerechneten 50 000 Plätze kommen werden. Wir müssen das auch, weil es sehr viele betrofene Menschen gibt. Hinter diesen Betrofenen stehen auch Familien, die wir im Blick haben sollten.
(Beifall bei der SPD)
Beim Thema Tariföhne und bei der Frage, welche Löhne als Grundlage in dem Gesetz stehen, gilt ja das Struck’sche Gesetz. Ich denke, wenn das mit der Koalition klappt, dann werden wir uns an der Stelle auch einig werden, weil wir ein gemeinsames Interesse daran haben, dass viele langzeiterwerbslose Menschen hier Zugang bekommen. Ich habe es gerade in meiner Antwort auf die Frage von Herrn Kober angesprochen: Wir wollen nicht nur dieses Regelinstrument neu schafen, sondern wir wollen auch den Passiv-Aktiv-Tausch ermöglichen. Das will Die Linke auch; ich denke, da sind wir uns einig. Es gibt hier im Haus eine große Einigkeit dazu. Ich will vielleicht kurz den Moment schildern, in dem mir klar geworden ist, wie wichtig das ist. Ich hatte ein Gespräch mit einer Betrofenen, einer älteren Dame, die nach der Wiedervereinigung einfach keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen hat. Sie hat mir ihre Geschichte erzählt, die von Beschäftigungsmaßnahmen geprägt war. Sie war im Rahmen des Bundesprogramms „Kommunal-Kombi“ beschäftigt. Drei Jahre lang hat sie Lohn bekommen; danach hatte sie wieder einen 1-Euro-Job, bei dem sie genau die gleiche Arbeit gemacht hat, aber plötzlich nur noch einen Zuschuss zu den Sozialleistungen bekommen hat. Als sie an den Punkt ihrer Geschichte kam, sind ihr die Tränen in die Augen gestiegen, weil es eben etwas anderes ist, ob man Lohn bekommt für die Arbeit, die man leistet, oder zu den Sozialleistungen obendrauf lediglich ein Goodie erhält. Lassen Sie uns rangehen, dass wir Arbeit fnanzieren und nicht Erwerbslosigkeit. Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)