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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn eine grundsätzliche Anmerkung machen und auch auf den Redebeitrag der Ministerin zurückkommen. Wenn wir über die grundsätzlichen Herausforderungen reden, dann müssen wir doch zwei Dinge sehen: Das eine ist, dass wir jungen Menschen durch eine qualifizierte Ausbildung Teilhabe gewähren. Das andere ist, dass wir natürlich der Herausforderung des Fachkräftemangels begegnen müssen. Da geht es nämlich um nicht weniger als um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands und um nicht weniger als den Wohlstand, von dem wir alle leben. Vor diesem Hintergrund und auch, wenn ich mir die Prognosen im Berufsbildungsbericht zur Entwicklung der Abgängerzahlen ansehe, komme ich zu der Erkenntnis: Wir brauchen jeden jungen Menschen, der jetzt in der Schule ist, der jetzt keine Beschäftigung hat, der jetzt keine Ausbildung gefunden hat, egal woher er kommt, was seine Eltern verdienen, wo er geboren worden ist. Das ist alles egal, wir brauchen jeden. Deswegen ist es kein alter Hut, zu sagen: Das Recht auf Ausbildung ist wichtig. Vielmehr ist es gesellschaftlich und auch wirtschaftlich, ökonomisch, dringend geboten, dass wir jedem eine faire Chance auf Ausbildung anbieten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Weil die grundsätzliche Betrachtungsweise der SPD-Fraktion durch den Kollegen Brase schon vorgetragen worden ist, möchte ich zwei Anmerkungen zu Themen machen, die uns besonders wichtig erscheinen.

Wenn ich sage, jeder wird gebraucht, dann meine ich auch die 65 000 Schülerinnen und Schüler, die in jedem Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen. Rund die Hälfte von ihnen kommt von Förderschulen. Wir brauchen auch sie.

Ebenso brauchen wir - Herr Schummer hat das gerade ebenfalls angesprochen - die Menschen mit Behinderung, aber auch in einer qualifizierten Ausbildung; denn nicht alle Behinderten sind nur für Hilfstätigkeiten geeignet. Vielmehr müssen wir durch unsere Förderung, durch unser Schulsystem dafür sorgen, dass sie auch Schulabschlüsse machen können. Viel zu viele sind in Förderschulen, machen dort einen Abschluss und sind dann mit dem Abschluss einer Förderschule stigmatisiert. Schwerbehinderte können eben auch einen Beitrag zur Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und ebenso einen Beitrag zur Bekämpfung des Facharbeitermangels leisten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen dürfen wir sie eben nicht am Rande stehen lassen, sondern müssen eine auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Strategie entwickeln.

Ich will dazu nur drei kurze Punkte nennen:

Erstens. Wir müssen Menschen mit Behinderung frühzeitig, intensiv und handlungsorientiert auf ihre spätere Berufstätigkeit vorbereiten; dazu braucht es eine konsequente Berufsorientierung. In diesem Zusammenhang ist das, was die Bundesregierung in der „Initiative Inklusion“ in diesem einen Punkt vorgelegt hat, vollkommen richtig und durchaus zu begrüßen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Willi Brase (SPD), an die CDU/CSU und die FDP gewandt: Ihr müsst mal klatschen da drüben!)

Das ist sicherlich notwendig. Aber es ist nicht hinreichend. Es sind natürlich weitere Schritte notwendig, die auch die Situation von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt substanziell verändern.

Zweitens. Wir können auf Werkstätten für Menschen mit Behinderung nicht verzichten. Aber wir müssen auf ihre Kompetenz aufbauen, insbesondere im Hinblick auf ihre Berufsorientierungskompetenz. Wir müssen gemeinsam mit ihnen Wege entwickeln, damit Menschen aus der Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt oder in öffentliche Beschäftigung hinein vermittelt werden können. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Signal auch an die Werkstätten, wenn wir mit ihnen gemeinsam an einer neuen Rolle arbeiten.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Ich bin der Meinung, dass die Bundesagentur für Arbeit einen besonderen Auftrag hat - er ist auch gesetzlich definiert -, nämlich den Auftrag der Berufsorientierung und der Berufseinstiegsbegleitung. Dem muss sie auch nachkommen können.

Ich weise darauf hin: Die Bundesregierung hat sich im Ausbildungspakt zu dem Versprechen verpflichtet, sich für eine bessere Integration von Jugendlichen mit Behinderung in die betriebliche Ausbildung einzusetzen. Dazu will sie prüfen - ich lese das einmal vor -, „ob und inwieweit auch in diesem Bereich arbeitsmarktpolitische Instrumente angepasst werden müssen“.

Das ist ja erst einmal gut. Die Wahrheit sieht aber anders aus. Allein im Bundeshaushaltsentwurf für das nächste Jahr, den wir im Moment noch im Bundestag debattieren, sollen 6,5 Milliarden Euro bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik eingespart werden. Wer aber benachteiligten jungen Menschen eine Chance geben will, durch eine qualifizierte Berufsausbildung in die Erwerbsarbeit zu finden, der darf die Bundesagentur für Arbeit und ihr Instrumentarium, der darf die Arbeitsmarktpolitik eben nicht zur Spardose für das Sparpaket machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie dies machen würden, würden Sie diejenigen im Stich lassen, die jetzt noch nicht von der Entwicklung am Ausbildungsmarkt profitieren konnten und die ohne Hilfe keinen Anschluss am Arbeitsmarkt finden. Wir haben dazu einen Antrag gestellt; das werden wir an anderer Stelle noch debattieren.

Das zweite Thema, das ich kurz ansprechen möchte: Am Ende der Ausbildung - ich habe das im letzten Jahr bei der Debatte zum Berufsbildungsbericht bereits angesprochen - haben immer mehr junge Menschen keine gesicherte Perspektive auf Übernahme in eine unbefristete Beschäftigung. Wer den DGB-Ausbildungsreport liest, stellt fest, dass weniger als die Hälfte der jungen Menschen, die sich im letzten Ausbildungsjahr befinden, eine Perspektive auf Übernahme im Betrieb haben. Von dieser Teilmenge hat wiederum nur gut ein Drittel Aussicht auf eine unbefristete Übernahme.

Wenn aber selbst der Abschluss einer qualifizierten Berufsausbildung für junge Menschen keine gesicherte Erwerbsperspektive bedeutet, wenn das nicht ausreicht, wie sollen junge Menschen dann die Zuversicht gewinnen, sich für die Gesellschaft einzusetzen, Familie zu gründen, am Wohlstand mitzuwirken? Deswegen sagen wir: Zur guten Ausbildung gehört im Regelfall auch die Übernahme in eine unbefristete Beschäftigung.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte das auch vor dem Hintergrund des Fachgesprächs, das wir gestern im Ausschuss hatten, noch einmal kurz spiegeln. Ich halte das nämlich für einen zentralen Punkt, wenn wir über die Attraktivität der Ausbildung im dualen System sprechen. Es werden sich auch zukünftig nur dann junge Menschen mit guten Schulabschlüssen dafür entscheiden, eine duale Ausbildung zu beginnen, wenn sie eine gesicherte Perspektive haben, wenn sie davon ausgehen können, dass es ihnen einen Job bringt, der einigermaßen sicher ist, nicht aber, wenn sie damit rechnen müssen, dass nach der Ausbildung alles wieder vorbei ist. Deswegen ist das ein ganz wichtiger Punkt.

(Beifall bei der SPD)

Es liegt auf der Hand: Wer das Problem in den Griff bekommen will, der muss die prekäre Beschäftigung in den Griff bekommen. Das ist gerade aus Sicht der jungen Arbeitnehmer wichtig. Das heißt aus unserer Sicht erstens, dass die sachgrundlose Befristung abgeschafft werden muss. Wer in einem Betrieb gelernt hat, der muss sich nicht mehr einarbeiten. Deswegen gibt es auch keinen Grund, ihn nur befristet einzustellen. Deswegen sind wir für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Zweitens geht es darum, die Leih- und Zeitarbeit auf ihren ursprünglichen Zweck zurückzuführen und insgesamt zu begrenzen.

Drittens muss das auch in Bezug auf die Minijobs geschehen. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat hierzu eine gute Initiative in den Bundesrat eingebracht,

(Zuruf von der FDP: Das wäre die erste!)

bei der es darum geht, eine Höchststundenzahl für Minijobs einzuführen.

(Beifall bei der SPD)

Dabei geht es insgesamt um die Frage: Wie können wir die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass der Weg junger Menschen im Anschluss an ihre Ausbildung vorgeprägt ist und in Richtung prekäre Beschäftigung führt?

Damit komme ich zum Schluss. Was wir jetzt bei der Integration junger Menschen in Erwerbsarbeit, in den ersten Arbeitsmarkt, verpassen, können wir vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und der wirtschaftlichen Entwicklung womöglich nicht mehr aufholen. Das würden wir teuer bezahlen müssen. Deshalb sage ich: Verzichten können wir auf keinen Einzigen. Da sehe ich bei der Arbeit der Regierung noch ein bisschen Nachholbedarf.

(Beifall bei der SPD)