Vielen Dank, Herr Präsident! Vor einigen Tagen habe ich das Flüchtlingslager al-Zaatari in Jordanien besucht. Die Größe des Flüchtlingslagers sagt etwas über die Dimension des Konfliktes. Mit über 100 000 Menschen ist al-Zaatari inzwischen die drittgrößte Stadt Jordaniens und das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt.
Wer sich auf ein Gespräch mit den Flüchtlingen einlässt, der ‑ das kann ich Ihnen sagen ‑ braucht gute Nerven; denn dieser Krieg ist eine der größten Tragödien unserer Zeit, und das nicht nur, weil er bisher über 150 000 Menschen das Leben gekostet hat. Dieser Krieg hat den Nahen Osten grundlegend verändert.
In Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen, erinnern wir uns in diesen Tagen daran, dass vor 100 Jahren der erste Weltkrieg ausgebrochen ist. Gleichzeitig werden wir Zeuge, wie die von den ehemaligen Kolonialmächten konzipierten nahöstlichen Grenzen, Stichwort: Sykes-Picot-Abkommen, zusammenbrechen. Die Folgen für die Stabilität in der Region, aber auch für unsere Sicherheit sind unabsehbar.
Ich habe den Eindruck, dass wir uns als Bundesrepublik Deutschland insgesamt zu wenig mit der dramatischen Entwicklung in Syrien auseinandersetzen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU))
Im dritten Kriegsjahr müssen wir feststellen: Nicht nur weite Teile des Landes, auch die Idee, das Konzept Syrien, ist durch diesen Krieg zerstört worden; denn es gibt heute keine relevante politische oder militärische Kraft mehr, die um den Erhalt dieses Staates kämpft. Religiöse und ethnische Entitäten sind an diese Stelle getreten, und damit wächst die Gefahr weitreichender ethnischer Säuberungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben einen Krieg aller gegen alle. Die Opposition kämpft gegen Assad, führt aber auch gleichzeitig Krieg untereinander. Selbst Experten, die sich schon seit vielen Jahren mit der Region beschäftigen, haben Schwierigkeiten, noch durchzublicken und die Lage sowie die wechselnden Koalitionen zu analysieren.
Der Krieg ist aber auch ein regionaler Krieg. Präsident Assad kann sich auf die massive Unterstützung des Iran und der Truppen der Hisbollah verlassen, ohne die er nicht überleben kann. Zudem schützt ihn - das wissen wir alle - das russische Veto im Sicherheitsrat. Doch umgekehrt gilt auch: Ohne die Unterstützung durch die Golfstaaten und Saudi-Arabien, aber auch Teile der Türkei wäre die Opposition nicht in der Lage, den Kampf fortzusetzen. Der weltweit eskalierende Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten schlägt sich in aller Härte auch in Syrien nieder.
Es ist noch gar nicht so lange her, 2012 sagte ein optimistischer amerikanischer Präsident: Unser Ziel ist es, al-Qaida zu zerstören, und wir sind auf einem guten Weg dorthin. Das war die Hoffnung. Doch diese Aussage hat sich als verfrüht erwiesen; denn al-Qaida ist längst ein wichtiger Akteur in der Region, ohne dass die deutsche Öffentlichkeit von der Dramatik dieser Situation ausreichend Kenntnis genommen hätte. Mit al-Nusra und ISIL bekämpfen sich sogar gleich zwei mit al-Qaida verbündete Milizen in Syrien, in einem Bürgerkrieg im Bürgerkrieg.
Um es klar zu sagen: Beenden wir diesen Krieg nicht so schnell wie möglich, werden auch wir in Deutschland und Europa mit einem Terrorismusproblem konfrontiert werden, dessen Ausmaße wir nur erahnen können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Etwa 250 deutsche Staatsbürger haben bisher in Syrien aufseiten der Islamisten gekämpft, und geschätzte 20 haben dabei ihr Leben verloren. Diejenigen, die zurückkehren, tragen den Hass, die Radikalisierung mit sich und damit natürlich auch eine Gefährdung für unsere Sicherheit.
Unterdessen strömen Millionen von Flüchtlingen unaufhaltsam in die Nachbarländer. Im bereits erwähnten Camp al-Zaatari ist es unter der Leitung eines deutschen UNHCR-Mitarbeiters, Herrn Kleinschmidt, gelungen, auch die Sicherheitslage im Camp zu verbessern, Prostitution, Schwarzmarkt und Menschenhandel zurückzudrängen. Das UNHCR stellt sich auf eine lange, möglicherweise noch jahrelange Verweildauer der Flüchtlinge ein.
Besonders dramatisch ist die Lage im Libanon. Über 1 Million Flüchtlinge kommen auf nur 4,2 Millionen Einwohner. Die humanitäre Lage dort ist besonders schwierig, auch weil es dort im Gegensatz zur Türkei, die zu Recht gelobt und erwähnt worden ist, und Jordanien keine organisierten Lager gibt. Inzwischen befinden sich überall im Land Flüchtlinge. Wohnraum ist zum Luxus geworden. Bis zum letzten Kellergewölbe werden Unterkünfte vermietet ‑ zu horrenden Preisen. Besonders schlimm ist die Lage in den provisorischen Zeltlagern. Ich hatte Gelegenheit, ein Lager in der Bekaa-Ebene zu besuchen. Zudem droht das Land selber in den Bürgerkrieg hineingezogen zu werden. Während die Hisbollah in Syrien kämpft, radikalisieren sich sunnitische Kämpfer im Libanon und greifen schiitische Einrichtungen an.
So, wie sich die Lage zurzeit darstellt, müssen wir uns und die deutsche Öffentlichkeit auf einen langen Krieg einstellen. Und das bedeutet: Wir werden mehr tun müssen, um die Nachbarstaaten und die Vereinten Nationen in die Lage zu versetzen, damit umzugehen. Und ja, wir werden auch mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Allein die Aufnahmestelle des UNHCR, die ich in Beirut besucht habe, registriert jeden Tag 2 000 Flüchtlinge. Das ist eine von vier Aufnahmestellen. Besonders wichtig scheint mir zu sein, dass wir auch und gerade den Gemeinden in Jordanien, im Libanon und in der Türkei, die unter dieser Last zu leiden haben, unter die Arme greifen, damit es nicht zu weiteren sozialen Spannungen kommt. 9,3 Millionen Menschen in Syrien sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Deswegen ist es gut, dass das Auswärtige Amt die Hilfe für das UNHCR aufstockt.
Wir dürfen auch das Flüchtlingswerk für die palästinensischen Flüchtlinge nicht vergessen; denn die erleiden gerade eine doppelte Tragödie. Darauf ist schon hingewiesen worden. Das Lager Yarmouk in Damaskus bietet ein Ausmaß an Zerstörung und Zynismus, das kaum zu fassen ist.
Doch alle Hilfe, über die wir hier sprechen müssen, wird nicht ausreichen, wenn es nicht gelingt, wieder einen politischen Prozess zu initiieren. Der UN-Gesandte, Lakhdar Brahimi, hat neulich gesagt ‑ ich weiß nicht, ob Sie das gesehen haben ‑, dass er jeden Tag, wenn er aufsteht, daran denkt, zurückzutreten. Man kann es ihm nicht übel nehmen; denn nach dem Scheitern der Genfer Verhandlungen hat man den Eindruck, dass niemand mehr auf eine politische Lösung setzt, sondern alle, auch unsere eigenen Verbündeten, auf eine militärische Lösung setzen. Ich sage deswegen: Die Prioritäten unseres Außenministers sind richtig: deutscher Beitrag zur Vernichtung von Massenvernichtungswaffen, mehr zur Verbesserung der humanitären Situation in Syrien tun und den Terrorismus bekämpfen.
Um diesen Krieg zu beenden, müssen wir bereit sein, mit allen Parteien zu reden, innerhalb und außerhalb Syriens. Die Unterstützung islamistischer Kämpfer aus dem Ausland wird nicht ohne Konsequenzen bleiben. Wir haben in Afghanistan schon einmal erlebt, dass sie die Waffen dann gegen die richten, von denen sie sie bekommen haben.
Diese militärische Logik müssen wir durchbrechen. Deutschland kann dabei eine Rolle spielen, weil wir eben keine Milizen, Akteure vor Ort mit Waffen unterstützen und weil wir - das hoffe ich zumindest - davon überzeugt sind, dass es für diesen Konflikt keine militärische Lösung geben kann. Daher müssen wir alles tun, um die Nachbarländer Syriens zu stabilisieren und vor allem den Opfern, den Flüchtlingen zu helfen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Video zur Rede finden Sie hier.