SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf Bundesbauminister Ramsauer (CSU) vor, die Engpässe im Wohnungsmarkt ignoriert und die Bekämpfung der Mietsteigerungen verschlafen zu haben. Notwendig sei ein Mietrecht, das seiner sozialen Funktion wieder gerecht werde. Die SPD-Fraktion wolle den kommunalen Wohnungsbau und Genossenschaften stärken. Das grantiere Mietsicherheit und soziale Stabilität.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn ich in die Runde schaue, stelle ich fest: Ich bin nicht der Einzige, der heute Morgen direkt von München aus hierher gekommen ist.

Ich bin auch nicht der Einzige, der das politische Cabaret eigentlich erst gestern Abend auf dem Nockherberg erwartet hat, lieber Volker Kauder. Als ich mich zu diesem Tagesordnungspunkt „Wohnen und Mieten“ gemeldet habe, konnte ich nicht ahnen, dass das wahre politische Kuriositätenkabinett schon am Wochenende vor dem Nockherberg getagt hat.

Man stelle sich das einmal vor: Beim Mindestlohn sagen Christdemokraten und Liberale seit fast vier Jahren: „Gott sei bei uns!“ - seit drei Tagen soll das alles ganz anders sein. Bei der Homo-Ehe schien noch vor einer Woche der Untergang des Abendlandes zu drohen - seit dem Wochenende alles ganz anders.

Türkei-Beitritt: Jahrelang hat die Union getönt, dass die Türken aus der Europäischen Union draußen bleiben sollen - am Wochenende sagte die Kanzlerin: Die Verhandlungen gehen gar nicht schnell genug.

Im Hinblick auf ein NPD-Verbot wurden die Ermittlungen der Innenminister der Länder wochenlang links liegen gelassen, und es wurde Skepsis gestreut   urplötzlich, ohne dass sich irgendetwas Neues ereignet hätte, soll das Kabinett jetzt doch einen Verbotsantrag beschließen.

Meine Damen und Herren, bevor Sie unruhig werden, sage ich Ihnen: Glückwunsch zu so vielen neuen Einsichten!

Ich kann mich allerdings des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass die eine oder andere dieser neuen Einsichten durch den Wahltermin befördert wurde. Eines rate ich nur: Überholen ohne einzuholen, das funktioniert nicht, das haben schon andere versucht, meine Damen und Herren.

Beim Wettbewerb um politisches Umfallen darf die FDP natürlich nicht abseits stehen. Bei der doppelten Staatsangehörigkeit, einem absoluten No-Go für die Koalition - das war ein Evergreen -, überrascht uns Frau Leutheusser-Schnarrenberger am Wochenende mit dem Satz: Alles ist möglich.

Jetzt müssen Sie nicht mehr länger neugierig sein. Bei den Stichworten „Umfallen“ und „Kehrtwende“   da haben Sie recht; insofern verstehe ich, dass Ihnen da etwas gefehlt hat   darf einer nicht fehlen, nämlich der Bauminister.

Das dreisteste Stück, das in den letzten Tagen zur Aufführung gekommen ist, stellt den Nockherberg von gestern Abend mühelos in den Schatten. Man stelle sich das einmal vor: Ausgerechnet derjenige, der den Kahlschlag im Wohnungsbau verursacht hat, ausgerechnet derjenige, der zu den Ersten gehörte, als es darum ging, die Eigenheimzulage zu streichen, ausgerechnet Herr Ramsauer dreht sich auf den Hacken um und tut seit dem Wochenende so, als sei er die Spitze der Bewegung, als sei er Vorreiter beim Thema „Wohnen und Mieten“. So einfach geht das nicht!
Dreistigkeit mag sich lohnen, auch in der Politik, aber das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

Sie sind verantwortlich dafür, dass das Bund-Länder-Programm „Die soziale Stadt“ „geschlachtet“ wurde. Sie sind verantwortlich dafür, dass der Heizkostenzuschuss abgeschafft wurde. Sie haben das neue mieterfeindliche Mietrecht auf den Weg gebracht.

Sie haben die Engpässe auf dem Wohnungsmarkt ignoriert und gleichzeitig eine rechtzeitige Gegenwehr verpennt. Das haben wir nicht vergessen, und wir werden dafür sorgen, dass die Menschen in Deutschland das auch nicht vergessen.

Ich kann ja verstehen, dass Sie nach diesen etwas atemlosen Kehrtwenden vom vergangenen Wochenende nicht mehr richtig wissen, wo Ihnen der Kopf steht. In Ihren eigenen Reihen herrscht im Augenblick ein bisschen Chaos. Dazu will ich mich aber gar nicht äußern; das ist Ihre Sache. Meine einzige Bitte ist: Richten Sie bitte das Chaos, das Sie in der Energiepolitik angerichtet haben, nicht auch noch in der Wohnungspolitik an.

Die Wohnungspolitik braucht nämlich keine Kehrtwenden, sondern Verlässlichkeit. Wenn Sie wollen, dass Wohnungsbaugesellschaften Wohnungen bauen, dann machen Sie keine Kehrtwenden, sondern sorgen Sie für Planbarkeit und Investitionssicherheit. Familien, die vor der Entscheidung stehen, wo sie leben möchten und ob sie mieten oder bauen wollen, brauchen ebenfalls Planungssicherheit. Solche Pläne kann man eben nicht einfach mal verändern, wenn es einem in den Kram passt. Wir brauchen keinen Aktionismus und keine Chaotisierung, sondern Ernsthaftigkeit und lange Linien. Ohne das wird es nichts mit bezahlbarem Wohnraum   auch nicht bei uns.

Unser Vorwurf ist, dass es gerade an dieser Ernsthaftigkeit, von der ich rede, fehlt. In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Haushalte, die 40 Prozent und mehr von ihrem Einkommen für Miete ausgeben, verdoppelt. Studenten   das wissen Sie auch   finden in den Unistädten kaum noch Wohnungen. Der Bestand an Sozialwohnungen geht Jahr für Jahr zurück. Die wenigsten Wohnungen sind altersgerecht.

Das alles ist nicht neu. Das haben Sie in Ihrem eigenen „Bericht über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland“ vom letzten Oktober sogar veröffentlicht. Sie haben es zwar veröffentlicht, aber passiert ist nichts. Das ist das, was vorzuwerfen ist.
Wenn das so weitergeht, dann werden wir den Prozess nicht aufhalten, dass ganz normale Familien aus ihren Vierteln, in denen sie wohnen, verdrängt werden. Dann können es sich nur noch ganz wenige leisten, tatsächlich im Zentrum der Städte zu wohnen, dann erkennen wir unsere Städte bald nicht mehr wieder, und dann kriegen wir Verhältnisse wie anderswo auf der Welt, die wir nicht wollen.

Ich finde es gut, dass wir uns in diesem Hause, als die Bilder aus Frankreich, von den französischen Banlieues durch die Medien gingen, einig waren, dass wir solche Bilder in deutschen Städten nie sehen wollen. Darüber gab es Konsens. Das Problem ist nur: Dieser Konsens ist wohnungspolitisch folgenlos geblieben.

Er ist folgenlos geblieben und musste folgenlos bleiben, weil Sie gleichzeitig zum Beispiel die Mittel für das Bund-Länder-Programm „Die soziale Stadt“ endlos zusammengekürzt haben. Hier stimmt einfach vieles nicht.

Sie haben damals gesagt, das sei deshalb notwendig, um die Betonpolitik der SPD endlich zu einem Ende kommen zu lassen. Das hat mir viel über das verraten, was Sie nie verstanden haben. Ich gebe Ihnen ja recht: Die Bereitstellung von Mitteln für den Bau   dann, wenn man in Beton und Steine investiert   kann man vielleicht mal ein oder zwei Jahre schieben, wenn der Haushalt knapp ist. Das ist wahr. Beim Bund-Länder-Programm „Die soziale Stadt“ geht und ging es aber nie um Beton. Das sind soziale Netzwerke, die über zwei Jahrzehnte gewachsen und in den Quartieren mühsam aufgebaut worden sind.
Hier kann man nicht einfach das Geld wegnehmen und darauf vertrauen, dass die sozialen Netzwerke erhalten bleiben. Nein, das produziert Enttäuschungen.

Wenn Sie dann, wie jetzt, nach zwei Jahren wieder Geld dafür zur Verfügung stellen wollen, dann merken Sie, dass es diese Netzwerke, auf die Sie zurückgreifen wollen, nicht mehr gibt. Deshalb war das so verhängnisvoll. Das muss hier einmal zur Sprache kommen.

Notwendig ist etwas anderes, ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen, und das haben wir in unserem Antrag vorgeschlagen. Das sind aus unserer Sicht zuallererst Änderungen im Mietrecht, um zum Beispiel Mietsteigerungen zu begrenzen - nicht nur in bestehenden Verträgen, sondern auch bei Wiedervermietung.

Ja, Sie können das ja gleich hier vom Pult aus gern sagen. Sie haben nämlich gerade das Gegenteil gemacht. Sie haben die Position der Mieterinnen und Mieter einseitig geschwächt. Das ist genau der falsche Weg, meine Damen und Herren.

Unser Antrag ist ein Vorschlag. Schauen Sie sich den an! Ein paar andere Dinge können wir ganz schnell und einfach miteinander regeln. Ich meine da zum Beispiel die Übernahme der Maklerkosten durch den Vermieter, wenn er ihn denn bestellt hat. Der Grundsatz „Wer bestellt, der bezahlt auch“ ist in der Marktwirtschaft ja nichts Neues.
Das gilt überall sonst, außer bei Mieten und Wohnen. Aber warum nicht auch hier? Deshalb sage ich ganz einfach: Wer bestellt, der bezahlt. Wir haben eine entsprechende Initiative auf den Weg gebracht. Ich lade Sie ein, diese Initiative zu unterstützen, meine Damen und Herren.

Es geht jedoch nicht nur um Mietrecht, auch nicht nur um Maklerkosten. Wir brauchen in diesem Land wieder Wohnungsneubau, und zwar nicht nur Luxusapartments in einigen Innenstadtlagen, sondern gute und bezahlbare Wohnungen für ganz normale Leute.
Damit das klappt, brauchen wir nicht irgendeine Förderung, wir brauchen eine sehr zielgerichtete Förderung und gerade keine Förderung nach dem Gießkannenprinzip. Denn wahr ist doch genauso - das erfahren Sie in Ihren Wahlkreisen doch auch: Im ländlichen Raum haben wir kein Unterangebot, keinen Mangel an Wohnraum, sondern da haben wir Wohnungsleerstand. Dort ist das Problem eher, dass viele Leute viel Geld - teilweise ihr ganzes Vermögen - in ihr Haus gesteckt haben, und sie es möglicherweise dann, wenn sie älter werden, nicht einmal mehr verkaufen können. Deshalb: Förderung nach dem Gießkannenprinzip kann nicht funktionieren. Wir brauchen eine zielgerichtete Förderung. Das genau müsste das Anliegen des Bundesbauministers seit dreieinhalb Jahren sein. Aber da war nichts, und da ist nichts. Das ist heute zu beklagen.

Wir brauchen - das ist meine feste Überzeugung - ein ganz breites Bündnis für bezahlbaren Wohnraum. Da muss der Bund vorangehen, da müssen die Länder dazu, da müssen die Kommunen dazu, die Bauwirtschaft, Gewerkschaften, Sozialverbände. Wir brauchen da einen breiten Pakt.

Wir haben mit unserem Antrag konkrete Vorschläge unterbreitet, was jetzt in dieser Situation zu tun ist. Die Menschen, finde ich, haben ein Recht darauf, dass wir von der Politik Wohnen in diesem Land wieder bezahlbar machen.

Das, Herr Ramsauer, an Ihre Adresse: Ihre Verantwortung für den BER haben Sie abgewälzt auf Berlin und auf Brandenburg. Ihre Verantwortung für Stuttgart 21 - wir beobachten das sehr genau - wälzen Sie im Augenblick auf die Deutsche Bahn ab. Hier, bei Wohnen und Mieten, steht niemand zur Verfügung, der die Verantwortung übernimmt. Hier, Herr Ramsauer, sind Sie in der Verantwortung, und bei dieser Verantwortung werden wir Sie packen.

Herzlichen Dank.