Dr. Sascha Raabe (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir in Deutschland an den Tankstellen unser Benzin zapfen und uns an Fernsehserien wie Dallas erinnern, glauben wir, dass derjenige, der über Öl verfügt, reich ist und in Saus und Braus leben kann. Still und heimlich beneiden wir diejenigen, die auf Land sitzen, unter dem solche Rohstoffe liegen.
Leider trifft das für Afrika und viele Entwicklungsländer aber nicht zu. Dort liegen zwar ganz viele Rohstoffe, und trotzdem leben Menschen in bitterster Armut. Für viele Länder Afrikas haben sich die Rohstoffe nicht als Segen, sondern als Fluch erwiesen. Obwohl pro Jahr aus Rohstoffexporten fast zehnmal soviel Geld wie aus der Entwicklungszusammenarbeit nach Afrika fließt, gibt es dort Millionen Menschen, die von unter 1 Dollar am Tag leben müssen oder – wie gerade jetzt in Ostafrika – vom Hungertod bedroht sind.
Da fragt man sich natürlich: Woran liegt das? Das liegt sicherlich daran, dass es oft schlechte Regierungsführung gibt, die verhindert, dass die Gewinne, die beim Abbau von Rohstoffen erzielt werden, den ärmsten Menschen oder zumindest den Menschen aus der Region, in der diese Rohstoffe gefördert werden, zugutekommen.
Oft wird dann von uns mit erhobenem Zeigefinger die Korruption benannt. Nur, zur Korruption gehören immer zwei: derjenige, der die Bestechung annimmt, und derjenige, der besticht. Zu denjenigen, die bestechen, gehören leider auch viele europäische und deutsche Firmen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!)
Deswegen können wir in Deutschland nicht so tun, als gehe uns das Problem nichts an. Wir können den moralischen Zeigefinger nicht nur auf die Regierungen in Afrika richten. Ich glaube, dass es nicht reicht, wenn wir unseren Unternehmen sagen: Bitte seid doch freiwillig so nett, faire Abkommen zu schließen und eure Zahlungsströme offenzulegen. – Ich glaube vielmehr, dass wir verbindliche Regeln brauchen.
Herr Kollege Mißfelder, der Antrag von Union und FDP unterscheidet sich sehr wohl von dem Antrag, den die SPD-Fraktion bereits im Januar dieses Jahres vorgelegt hat und der im März hier diskutiert wurde. Wir sagen nämlich, dass die Einhaltung der Transparenzregelungen der EITI, der – in Englisch – Extractive Industries Transparency Initiative,
(Jörg van Essen [FDP]: Could you repeat that, please?)
verbindlich sein muss, damit es Außenwirtschaftsförderungen wie die Hermesbürgschaften geben kann. Es ist ein großer Unterschied, ob man dies auch für die deutsche Außenwirtschaftsförderung zur Bedingung macht oder ob man sagt: Wir glauben, dass ihr das schon einhaltet. – Wir brauchen strenge Regeln für Unternehmen, damit in diesem Sektor Transparenz und Ehrlichkeit herrschen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der sogenannte Dodd-Frank Act ist eine Maßnahme, die in den USA getroffen wurde. Demnach müssen Rohstoffunternehmen, die an der Börse handeln, ihre Zahlungsströme offenlegen. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung für mehr Transparenz und Gerechtigkeit in diesem Sektor. Ein solcher Ansatz muss auch von der Bundesregierung verfolgt werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Bundesregierung sagt zwar, dass sie solche Maßnahmen unterstützen will. Sie hat sich bisher aber leider nicht für die projektbezogene Offenlegung dieser Zahlungsströme eingesetzt, die in den USA bereits praktiziert und die von Frankreich und Großbritannien angestrebt wird. Nur durch eine projektbezogene Offenlegung kann man den lokalen Gemeinschaften, die in diese Maßnahmen eingebunden werden müssen, sagen: So viel Geld verdient eine Firma, die Kupfer bzw. Erz abbaut. Ihr habt Anspruch auf dieses Geld. – Wenn allerdings nur auf das Land bezogen eine Gesamtsumme genannt wird, vertut man eine große Chance, da man den lokal betroffenen Menschen kein scharfes Schwert in die Hand gibt. Wir fordern deshalb die projektbezogene Offenlegung aller Zahlungsströme, für die die Rohstoffunternehmen in Entwicklungsländern verantwortlich sind.
Ich komme zu meinem nächsten Punkt. Transparenz ist zwar wichtig. Es geht aber auch um die gerechte Verteilung der Gewinne. Voraussetzung dafür ist, dass die Menschen und die Regierungen in den Entwicklungsländern gemeinsam für Transparenz sorgen. Die Menschen müssen wissen, wie viel für Lizenzgebühren, für Konzessionsgebühren, für Steuern und für Gewinne gezahlt werden muss. Wir müssen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit mithilfe von Partnerschaftsabkommen darauf drängen, dass die Gewinne gerecht, also auch an die ärmsten Menschen, verteilt werden. Dafür setzen wir uns ein. Das haben wir in unserem Antrag vom Januar bereits deutlich gemacht.
Wir dürfen aber nicht nur auf die Verteilung der Gewinne achten. Wir müssen auch die Arbeitsbedingungen in den Entwicklungsländern betrachten. In einem Land wie dem Kongo werden schon achtjährige Kinder gezwungen, in Minen zu arbeiten. Sie werden dort tagelang unter der Erde gehalten und somit ihrer Kindheit beraubt. Oft wird ihnen auch noch ein großer Teil ihres kläglichen Gewinnes von Milizen abgenommen. Wir alle sollten uns schämen; denn auch wir Verbraucher hier in Deutschland tragen zu dieser Situation bei, indem wir Handys, zum Beispiel iPhones, und Flachbildschirme kaufen, für deren Produktion sogenannte Blutmineralien verwendet werden. Wir haben bis jetzt noch keine Regelungen getroffen, die es verhindern, dass Kinder im Kongo in Bergminen arbeiten und verschüttet werden und unzählige Menschenleben zerstört werden. All dies kommt im wahrsten Sinne des Wortes nie ans Tageslicht. Wir sind es den betroffenen Menschen schuldig, verbindliche Regelungen zu schaffen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschenrechte und die sozialen Mindeststandards wie die Kernarbeits normen der Internationalen Arbeitsorganisation – Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit, Gewerkschaftsfreiheit – eingehalten werden. Wir müssen dafür sorgen, dass durch Kontrollen bessere Arbeitsbedingungen in den Abbaugebieten und den Minen geschaffen werden. Das muss zur Voraussetzung für künftige Freihandelsabkommen werden, die die Europäische Union abschließt.
Dies sollte auch für die Welthandelsorganisation gelten.
Es nützt auch nichts, zu verhindern, dass deutsche Unternehmen diese Erze verarbeiten. Denn wir wissen, dass momentan 90 Prozent der Erze in Asien verarbeitet werden. Mittlerweile haben die meisten Kollegen ein iPhone. Schauen Sie einmal auf die Rückseite und lesen Sie, wo es hergestellt wurde. Es steht „China“ darauf. Es nützt nichts, zu glauben, dass deutsche Firmen damit nichts zu tun haben. Denn das Eisenerz aus diesen „blutigen Minen“ wird in China verarbeitet. Wir kaufen es dann und heizen die Nachfrage an. Damit verheizen wir im wahrsten Sinne des Wortes die Kinder- und Menschenleben mit. Das müssen wir stoppen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN-KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen darf international im Rahmen von Freihan-delsabkommen nur dann gehandelt werden, wenn sichergestellt ist, dass die sozialen Bedingungen und die Menschenrechte eingehalten werden.
Weitere wichtige Aspekte, die wir entwicklungspolitisch unterstützen können, sind zum einen die Zertifizierung und zum anderen die Beratung von Regierungen,
sodass sie beim Abschluss von Verträgen mit Unternehmen mehr Know-how und Expertise haben und die Verträge so aushandeln, dass die Gewinne den Menschen nützen. Das sind Dinge, die wir im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit leisten können.
Ich sagte aber schon: Unser Handeln wird nur dann kohärent, wenn wir in der Handelspolitik entsprechend agieren. Deswegen setzen wir, die SPD, uns dafür ein, nicht nur die Entwicklungsprojekte, sondern auch die Handelspolitik in den Blick zu nehmen, damit wir faire, gerechte Handelsbedingungen erreichen.
Der Agrarrohstoffsektor, den mein Kollege Hempelmann schon angesprochen hat, ist das himmelschreiendste Beispiel für die Ungerechtigkeit, die es im Augenblick beim Handel mit Rohstoffen gibt. Viele denken bei Rohstoffen nur an Öl, Seltene Erden, Erze und anderes. Nahrungsmittel sind mittlerweile zu Rohstoffen geworden, die an den Börsen spekulativ gehandelt werden. Früher betrug das Handelsvolumen der Marktteilnehmer, die nicht wirklich ein Interesse an Preisstabilität hatten und den Handel mit Nahrungsmitteln spekulativ betrieben haben, 20 bis 30 Prozent. Heute werden 80 Prozent der Nahrungsmittel als Spekulation gehandelt, von Menschen, die gar kein Interesse an sicheren Preisen haben, sondern nur einen Reibach machen wollen. Dazu gehört leider auch die Deutsche Bank; das muss man Herrn Ackermann einmal sagen.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Der weiß das! – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Was hat das mit Rohstoffen zu tun? Können Sie einmal etwas zum Antrag sagen?)
Es gibt die Kampagne: „Hände weg vom Acker, Mann!“ Wir tragen über die Deutsche Bank auf gewisse Art und Weise eine Mitschuld daran, dass Menschen hungern; das müssen wir verhindern.
In diesem Sinne: Lassen Sie uns gemeinsam verbindliche Regeln finden, anstatt nur unverbindliche Absichtserklärungen abzugeben, wie sie im Antrag der Union enthalten sind, dem wir deshalb nicht zustimmen können. Lassen Sie uns gemeinsam unsere sozialdemokratischen Vorschläge umsetzen: verbindliche Regeln für eine gerechte Welt und eine gerechte Verteilung der Rohstoffe, damit auch die Menschen, die in den Minen arbeiten, endlich zu ihrem Recht kommen, fair behandelt werden und gut leben können.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN)