Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Lieber Kollege Peter Weiß, ich möchte Sie daran erinnern, dass auch Aufstockung eine Art von staatlicher Einmischung in Lohnpolitik ist.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es vergeht kein Tag, an dem wir nicht in der Presse von Menschen erfahren, die von ihrer Arbeit nicht leben können. Unser Land ist stolz auf seine soziale Marktwirtschaft. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit Niedriglöhnen, Befristungen, Leiharbeit und Werkverträgen zeigt jedoch, dass die soziale Marktwirtschaft aus dem Gleichgewicht geraten ist. In unserem Wirtschaftssystem geht es zunehmend darum, den Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten auszutragen. Die Unternehmer konkurrieren immer mehr darum, den billigsten Preis anzubieten, sei es durch Niedriglöhne ohne Tarif oder durch schlechte Arbeitsbedingungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Billiglohnkonkurrenz ist schlecht für die Arbeitnehmer, und sie ist auch schlecht für unser Land; denn unsere Wirtschaft wird sich nicht zukunftsweisend weiterentwickeln, solange es einigen Unternehmern nur um Strategien geht, wie sie möglichst wenig Lohn zahlen. Wir brauchen dagegen einen Wettbewerb um die besten Ideen und Innovationen. Dafür braucht man gute und fair bezahlte Mitarbeiter.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um den Wettbewerb um Innovationen und nicht die Konkurrenz um Niedriglöhne zu fördern, ist ein funktionierendes Tarifvertragssystem notwendig. Tarifverträge sind ein elementarer Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Denn dadurch werden die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern unter einen Hut gebracht. So kann sich die faire und soziale Marktwirtschaft in unserem Land weiterentwickeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nur möglich, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen stimmen. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört die Tarifautonomie. Leider gibt es jedoch immer mehr Unternehmen, in denen die Tarifautonomie nicht mehr funktioniert. Immer mehr Unternehmer sind entweder gar nicht mehr in Arbeitgeberverbänden, oder sie haben eine OT-Mitgliedschaft, also eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung. In manchen Branchen wiederum sind die Arbeitnehmervertreter und die Gewerkschaften inzwischen nicht mehr stark genug, um Tarifverhandlungen durchzusetzen und durchzuführen.
Ein Blick nach Europa zeigt, dass die Tarifbindung in Deutschland deutlich niedriger ist als in den meisten anderen Ländern. Deshalb ist die SPD-Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn mehr als berechtigt.
(Beifall bei der SPD)
Aber es ist auch die Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen für eine wirkliche Tarifautonomie mit Verhandlungen der Tarifpartner auf Augenhöhe zu schaffen.
Wir müssen das Tarifvertragssystem stärken und zu allererst die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen erleichtern, wie wir Sozialdemokraten in unserem Antrag fordern. Wir dürfen die Tarifvertragsparteien nicht alleine lassen mit ihrer Tarifautonomie, sondern müssen sie gesetzlich und politisch unterstützen.
Die Bundesregierung fällt beim Thema Tarifautonomie leider in ihre gewohnte Haltung: Sie lobt die Tarifpartner in Sonntagsreden. Politisch tut die Regierung aber überhaupt nichts, um die Tarifautonomie tatsächlich auch zu stärken. Mir ist es unverständlich, dass die CDU im Ausschuss für Arbeit und Soziales sagt, es müsse grundsätzlich auch Unternehmen ohne eine sogenannte Unterwerfung unter einen Tarifvertrag geben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, faire Tarife sind die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft. Wir dürfen nicht die Unternehmer in unserem Land politisch fördern, die sich von der sozialen Marktwirtschaft verabschiedet haben, sondern wir müssen die Unternehmer fördern, die faire tarifliche Löhne zahlen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen sind auch im europäischen Kontext wichtig; denn nur allgemeinverbindliche Löhne sind nicht nur für die deutschen Arbeitnehmer bindend, sondern auch für Arbeitnehmer aus Europa, die bei uns arbeiten. So sorgen wir dafür, dass Menschen ‑ vor allem solche aus Osteuropa ‑ nicht bei uns ausgebeutet werden, und wir sorgen dafür, dass sich die Arbeitnehmer in unserem Land nicht vor Billigkonkurrenz fürchten müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Gesetze, die in unserem Land im Tarifvertragssystem gelten, insbesondere das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, auch wirksam sind.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Momentan kann dieses Gesetz gar nicht richtig angewandt werden, weil es extrem schwierig ist, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Bislang müssen 50 Prozent aller unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Personen bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt sein, damit ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Dieses Kriterium wollen wir ersetzen. In Zukunft soll ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden können, wenn er repräsentativ ist.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist doch nicht sinnvoll, ein Gesetz zu haben, das kaum angewandt werden kann. Eine Umsetzung des Gesetzes muss möglich sein. Auch deshalb ist es dringend geboten, das Tarifvertragssystem zu reformieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundestag und, da ich in diesem Bereich aktiv bin, Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaften und in den Betrieben: Die SPD setzt sich dafür ein, dass die Tarifautonomie mit fairen Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wieder zur Regel in unserem Land wird.
Ich bitte um eure Unterstützung und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)