Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie habt ihr bei der Hochwasserhilfe abgestimmt?)

– Das werden Sie nachher noch zu hören bekommen. – „Merkels Märchenstunde“, so hatten wir die Aktuelle Stunde heute in unserem Antrag überschrieben. Ich bin fast froh, dass die Bundestagsverwaltung das anders entschieden und nicht zugelassen hat; denn es wäre eine hoffnungslose Untertreibung gewesen. Worum es in dieser Aktuellen Stunde geht, ist nicht Märchenstunde, sondern Wahlbetrug mit Ansage.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da will man 4 Milliarden Euro für Steuersenkungen ausgeben, dort 20 Milliarden Euro für Rentenversprechen, hier ein bisschen Kinderfreibetrag, dort ein bisschen Kindergeld, 25 Milliarden Euro für irgendein Infrastrukturprogramm. Merkels Füllhorn ist unerschöpflich. Alles zusammen macht eine Belastung für die öffentlichen Haushalte von knapp unter 50 Milliarden Euro aus – und das Ganze ohne einen einzigen Cent Gegenfinanzierung. Das ist dreist! Das ist unseriös! So darf man die Menschen auch im Wahljahr nicht hinter die Fichte führen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch skandalöser als das Füllhorn selbst finde ich allerdings, was Sie zur Rechtfertigung des Geschenkekatalogs sagen. Sie faseln etwas von Steuermehreinnahmen in den nächsten Jahren. Dabei wissen Sie genau, dass die europäische Krise auch bei uns ihre Spuren zieht. Glauben Sie wirklich, dass, wenn der Rest Europas keine Autos mehr kauft, Daimler dann mehr Steuern zahlt? Für wie dumm wollen Sie die Menschen eigentlich verkaufen? Die Steuereinnahmen werden in den nächsten Jahren runter und nicht hoch gehen. Darauf hat die Politik die Menschen vorzubereiten. Das wäre Verantwortung, und die haben Sie nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Noch unglaublicher finde ich die Rechtfertigung bei der Rente. Da wird im Zusammenhang mit den Geschenken, die da angekündigt werden, gesagt, es seien ja wieder Reserven da. Ich fasse das gar nicht! Aber genau so denken Sie. Am Ende von Schwarz-Gelb der 90er-Jahre haben Sie genauso gedacht und genauso gehandelt. Als Sie 1998 miteinander fertig waren, waren die Rentenkassen leer. Wir haben das wieder in Ordnung gebracht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Drei Jahre Reserve!)

Reserven sind dank gesunkener Arbeitslosenzahlen wieder da. Sie kommen jetzt wieder auf dieselbe Tour. Statt den Menschen die Wahrheit zu sagen: Rollgriff in die Rentenkasse. Das werden wir nicht zulassen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Unglaublich, ohne rot zu werden!)

Herr Steinbrück hat es Ihnen heute Morgen gesagt, und Sie sind stumm geblieben. Was wird von Ihrer gemeinsamen Regierung an Weichenstellungen und Entscheidungen für die Zukunft bleiben? Nichts! Und recht hat Herr Steinbrück.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie werden Opposition bleiben! – Gegenruf des Abg. Dr. Florian Toncar [FDP]: Er geht nach Brandenburg!)

– Mit Sicherheit nicht, Herr Kollege Kauder. – Ich bin aber noch nicht ganz fertig. Neben den Rechtfertigungen für diese Geschenkangebote, die ich skandalös finde, setzt dem Ganzen die Krone auf, dass Sie selbst keine einzige Minute daran glauben, dass aus diesem famosen Programm irgendwann bzw. jemals Politik wird. Mit entwaffnender Offenheit hat es eben erst der Vorsitzende Ihres Wirtschaftsrates, Herr Lauk, gesagt. Er sagte: Das sind Wahlversprechen, die werden am 23. September sowieso wieder kassiert. In diesem Punkt hat Herr Lauk recht. Sie sind nämlich schon erwischt. In dem Haushaltsentwurf von gestern taucht keine einzige dieser Maßnahmen auf. Deshalb, Herr Finanzminister, Herr Schäuble, seien Sie ehrlich, sagen Sie hier ganz offen: Nichts davon wird kommen, weil alles nur Stoff für die Wahlkampfdrogen ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hoffen Sie in diesem Zusammenhang nicht auf mildernde Umstände, denn Sie sind keine Ersttäter. Sie sind Wiederholungstäter. Im letzten Bundestagswahlkampf 2009 haben Sie 24 Milliarden Euro an Steuersenkungen in Aussicht gestellt. Was ist davon gekommen? Nichts, außer der verkorksten Mövenpick-Steuer.

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Stimmt überhaupt nicht!)

Diesmal stellen Sie Wahlgeschenke von knapp 50 Milliarden Euro ins Schaufenster; aber das Geschäft bleibt wieder geschlossen, und Sie hoffen einfach, dass die Menschen ein kurzes Gedächtnis haben und sich nicht erinnern. Ich sage Ihnen: Diese Rechnung wird nicht aufgehen, und wir miteinander werden dazu beitragen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo ist denn Frau Nahles?)

Noch 87 Tage bis zur Bundestagswahl – Zeit genug, um den Menschen die Augen zu öffnen

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, dann machen Sie mal!)

und über Ihr sogenanntes Wahlprogramm zu reden. Ich zitiere: „128 Seiten für die Tonne“. Das stand im Stern. So urteilen fast alle Kommentatoren.

(Dr. Daniel Volk [FDP]: Da ging es wohl um das SPD-Wahlprogramm!)

So in etwa sagt es auch Ihr Lieblingskoalitionspartner, die FDP.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Und Steinbrück sitzt schon in der Tonne!)

Wo so viel Einigkeit ist, lieber Herr Kauder, sage auch ich: In die Tonne mit diesem Programm! Ein Regierungsprogramm wird bei Ihnen sowieso keiner vermissen; denn Sie werden nicht mehr regieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh, oh, oh! – Peinlich! – Gegenruf des Abg. Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Tja, ihr müsst damit leben! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Du tust mir leid! Du kannst das ja eigentlich besser! – Iris Gleicke [SPD]: Ihre Zwischenrufe entlarven Sie! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Spaßbremse!)