Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Herr Kuhn, Sie haben vorhin richtig gesagt, dass es in Ihrer Rede einen Punkt geben könnte, auf den ich eingehen könnte. Aber Sie haben sich den falschen Punkt ausgesucht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten bei der SPD)

Ich habe schon in der Föderalismuskommission versucht, Ihnen eine, wie ich hoffe, einigermaßen verständliche Erklärung dafür zu geben, dass das Nettoinvestitionskonzept die entscheidende Fehlkonstruktion nicht auflöst.

(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Genau!)

Das jetzige Grundgesetz enthält einen falschen Investitionsbegriff. Wir haben im Augenblick die Situation, dass jeder Euro in Beton als Investition und jeder Euro in die Köpfe der Menschen als konsumtiv definiert ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ihr Nettoinvestitionskonzept löst dieses Problem nicht, da die jetzige Schuldenregelung dieses Problem umgeht. Deshalb ist Ihre diesbezügliche Argumentation leider Gottes nicht erkenntnisfördernd.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will auf die Einzelheiten der Ergebnisse der Föderalismuskommission gar nicht eingehen, insbesondere nicht auf die Ausgestaltung der Schuldenregelung. Frau Tillmann hat diesen Punkt sehr zutreffend dargestellt.

Ich möchte zwei grundsätzliche Bemerkungen machen und vier zentrale Missverständnisse aufgreifen:

Erstens. Mit der Verankerung einer neuen Schuldenbremse im Grundgesetz hat es diese zweite Große Koalition exakt 40 Jahre nach der ersten Großen Koalition in der Tat in der Hand, eine finanzverfassungsrechtliche und finanzpolitische Entscheidung von historischer Tragweite zu treffen, eine Entscheidung – das ist der Unterschied zu Ihnen, Herr Ramelow –, die die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit sichern und nicht einschränken soll.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die absurde Quintessenz Ihrer Rede, Herr Ramelow, ist, dass zusätzliche Schulden die Handlungsfähigkeit des Staates erweitern.

(Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Sie haben offenkundig nicht zugehört!)

Das ist eine absurde Zusammenfassung.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Wenn Sie nur die Ausgaben sehen, dann haben Sie recht!)

Jetzt hören Sie mal einen Moment zu; auch ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört. Wenn Sie sich anschauen, wie sich die Schuldenstandquote in Deutschland, das heißt das Verhältnis der Schulden zu unserer Wirtschaftsleistung – und damit automatisch die Zinslastquote; will sagen: der Anteil der Zinsausgaben am Bundeshaushalt –, entwickelt hat, dann werden Sie feststellen, dass wir der gefährlichen Tendenz unterworfen sind, dass der Bundeshaushalt immer weiter verkarstet und versteinert und Ihre politischen Handlungsspielräume, vor allen Dingen die der nachfolgenden Generationen von Bundestagsabgeordneten, immer geringer werden. Das ist das Problem.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Ich will auf Ihre nicht minder aberwitzigen Vorstellungen zu einer prohibitiven Besteuerung in Deutschland gar nicht weiter eingehen. Aber Ihre Rede ist ein Plädoyer dafür gewesen, in Deutschland eine Substanzbesteuerung von 80 bis 90 Milliarden Euro einzuführen.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ein Unsinn! Sie reden wider besseres Wissen! Aber das machen Sie ja öfter! – Zurufe von der FDP: Genau das wurde gesagt!)

– Das war doch der Kern dessen, was gesagt wurde. Vor diesem Hintergrund habe ich eine gewisse Hoffnung, dass Sie im Deutschen Bundestag weiter auf den jetzigen Stühlen sitzen und niemals auf der Bundesratsbank. Das wäre schlecht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vor 40 Jahren hat die erste Große Koalition eine Finanzverfassung verabschiedet, die auf der Höhe der Zeit war. Aber wir werden kritisch eingestehen müssen, dass die Finanzverfassung, die vor 40 Jahren auf der Höhe der Zeit gewesen ist, heute nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Insbesondere der jetzige Art. 115 des Grundgesetzes hat uns nicht vor einer Fehlentwicklung bewahrt.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Genau so ist es!)

Er hat Konstruktionsfehler; einen habe ich erwähnt: den falschen Investitionsbegriff. Zweitens werden wir zugeben müssen, dass die Ausnahmemöglichkeiten dieses Art. 115 uns alle, die wir in den letzten 40 Jahren Regierungsverantwortung hatten, sehr leichtfüßig in eine Verschuldung hineingetrieben haben. Wir haben uns dieser Ausnahmemöglichkeiten sehr häufig bedient. Drittens. Wir haben das, was damals jedenfalls konzeptionell angelegt war, letztlich nie erfüllt: Wir haben in schlechten Zeiten Schulden gemacht, diese aber in guten Zeiten nicht zurückgezahlt.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb ist es richtig, diesen Art. 115 abzuschaffen und eine bessere, zeitgemäße Finanzverfassung einzuführen.

Ich gebe Ihnen noch einmal wenige Zahlen an die Hand, die das eben Ausgeführte belegen. 1969 beliefen sich die Zinszahlungen des Bundes auf 3,2 Prozent des Bundeshaushalts; im Jahre 2008 haben sich die Zinsausgaben auf 15 Prozent belaufen, Tendenz steigend. Natürlich tragen wir dazu auch aktuell bei, weil wir in dieser Wirtschaftskrise mit enormen kreditfinanzierten Programmen, die der sehr schwierigen, krisenhaften Situation geschuldet sind, in den nächsten Jahren wahrscheinlich in eine weitere Erhöhung dieses Prozentsatzes hineinkommen werden. Deshalb sind wir es nach meiner Auffassung den Bürgerinnen und Bürgern schuldig, ihnen zu signalisieren, dass wir es mit der Konsolidierung wieder ernst meinen, sobald wir aus der Wirtschaftskrise heraus sein werden.

Wir müssen auch den Finanzmärkten ein Signal geben, dass in Deutschland eine solide Haushaltspolitik betrieben wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen als Deutsche dazu beitragen, dass die Stabilität des Euro durch unser Haushaltsgebaren nicht infrage gestellt wird. Außerdem haben wir ein massives nteresse daran, dass die Glaubwürdigkeit des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes auch durch unseren Beitrag gewährleistet wird.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dies bringt mich zu einer zweiten Grundsatzbemerkung: Ein Resultat der von mir rwähnten weltweiten Finanzkrise ist es, dass plötzlich die Kreditwürdigkeit ganzer Staaten infrage gestellt ist. Diese Entwicklung erleben wir gegenwärtig; sie betrifft selbst die Kreditwürdigkeit von Staaten, die bisher quasi als unantastbar angesehen wurden. Wenn sich inzwischen selbst die Vereinigten Staaten von Amerika und das Vereinigte Königreich vergegenwärtigen müssen, dass sie heruntergerated werden können, was fatale Folgen für ihre Finanzmarktkonditionen hätte, dann liefert dies eine Vorstellung davon, wie wichtig es gerade in dieser Situation ist, dass Deutschland seine Bonität auf den Finanzmärkten nicht verliert.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Dabei ist unsere Nettokreditaufnahme gar nicht entscheidend. Sie ist, wie ich zugebe, schlimm genug, was der Situation geschuldet ist. Aber ich möchte Ihnen eine andere Zahl vortragen, damit Sie eine Vorstellung davon bekommen, was dies heißt: Die jährliche Bruttokreditaufnahme ist entscheidend. Sie beträgt inzwischen allein für den Bund wahrscheinlich 330 Milliarden Euro. Das heißt, wenn wir auf den Finanzmärkten Bonität, Ansehen und Ratings verlören und allein um einen Prozentpunkt – die Fachleute sprechen von 100 Basispunkten – heruntergestuft würden, hätten wir es mit zusätzlichen Zinsausgaben in Höhe von 7 bis 8 Milliarden Euro zu tun. Dies bitte ich bei Ihren Entscheidungen mit zu bedenken, wenn es um eine neue Schuldenregelung geht. Hier kommt es auf die Signalwirkung auf die Finanzmärkte an, die unmittelbar – kurzfristig, schon im nächsten Jahr – die Kapitalmarktkonditionen beeinflussen, die wir als großer Schuldner auf den Märkten zugestanden bekommen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Es gibt ein erstes Missverständnis: Die Schuldenbremse behindert angeblich Investitionen in die Zukunft unseres Landes. Dies ist falsch. Ich habe versucht, darauf hinzuweisen, dass allein die strukturelle Verschuldung, die wir in Zukunft noch eingehen können, uns des falschen Investitionsbegriffes enthebt. Ich will Sie jetzt nicht länger damit konfrontieren, dass neben dieser Strukturkomponente auch eine Konjunkturkomponente in dieser Schuldenregelung enthalten ist, die uns wie auch in der jetzigen Zeit auf der Basis der alten Schuldenregelung reagieren lässt und es uns erlaubt, antizyklisch das zu tun, was notwendig ist, um eine schwierige Wirtschaftslage einigermaßen zu stabilisieren.

Das zweite Missverständnis: Die Schuldenbremse nimmt der Politik Gestaltungsspielräume. Ich bin bereits darauf eingegangen – ich will dies jetzt nicht im Einzelnen wiederholen –, dass es um das Gegenteil geht. Wir stecken in einem Schraubstock der Verschuldung. Der steigende Schuldenstand und die steigende Zinslastquote verkarsten den Bundeshaushalt zusammen mit anderen Komponenten immer mehr. Anders ausgedrückt: Wir haben nicht nur ein Niveauproblem in unserer Ausgabenpolitik, sondern wir haben ein Strukturproblem in unserem Bundeshaushalt. Vier Komponenten legen 80 bis 85 Prozent des Bundeshaushaltes fest:

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zur Einnahmeseite!)

die Schulden, die Zahlungen an die Rentenversicherung, die gesetzlichen Leistungen und die Betriebsausgaben des Bundes. In Wirklichkeit entscheiden Sie als Souverän des Landes frei nur noch über 15 Prozent des Bundeshaushaltes, mehr nicht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Warum kriegen Sie dann immer Beifall von den Finanzhaien?)

– Bin ich so unverständlich, dass Sie mich ständig unterbrechen müssen? Oder warum machen Sie ständig Zwischenrufe?

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zur Einnahmeseite!)

Das dritte Missverständnis: Gäbe es die Schuldenbremse in dieser Krise schon, hätte die Politik keine Konjunkturprogramme auflegen können. Ich habe versucht, Ihnen im Telegrammstil zu belegen, dass diese Programme auf Basis der alten Schuldenregelung möglich sind – mit den Risiken, die ich beschrieben habe –, aber auch auf Basis der neuen Schuldenregelung. Es ist ein Irrtum, der ständig weitergegeben wird, dass wir 2010/2011 nicht antizyklisch reagieren können. Wir können das auf Basis dieser Schuldenregelung.

Ich will aus Zeitgründen ein letztes Missverständnis aufgreifen: Die Schuldenbremse entmachte angeblich die Länder und höhle den Föderalismus aus. Fakt ist: Die Schuldenbremse schafft weder das Budgetrecht der Landesparlamente ab, noch widerspricht sie dem föderalen Staatsaufbau. Wenn andere anderer Auffassung sind, sollen sie den dafür vorgesehenen Weg zum Bundesverfassungsgericht gehen.

Im Übrigen war es der Vorschlag des Bundes, und zwar sowohl der Vertreter der Exekutive als auch der Parlamentarier, auf Basis des Maastricht-Kriteriums von 0,5 Prozent den Ländern 0,15 Prozent anzubieten.

(Beifall bei der SPD)

Die Länderfürsten haben sich eine Denkpause genommen. Als Sie wieder hereingekommen sind, haben sie zum Erstaunen der Bundesvertreter, zumindest vieler, die hier sitzen, die Strukturkomponente von 0,15 Prozent nicht angenommen.

(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Zur Freude der Bundesvertreter!)

Ich sage etwas flapsig: Das ist doch deren Problem und nicht mein Problem. Dann sollen sie es regeln.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe nichts dagegen, wenn sie diese Position im Bundesrat verändern.

Wer zukünftig einen handlungsfähigen Staat will, wer die Gestaltungsfähigkeit der Politik und nachfolgender Parlamentariergenerationen erhöhen will, der muss dafür sorgen, dass Schuldenstand und Zinslast reduziert werden. Ein handlungsfähiger Staat braucht langfristig tragfähige öffentliche Finanzen. Langfristig tragfähige Finanzen sind nur dann gewährleistet, wenn die Verschuldung dauerhaft langsamer wächst als das Bruttoinlandsprodukt. Genau das ist Kern dieser Schuldenregelung. Das ist die Basis der neuen Regelung. In meinen Augen ist das auch die Basis einer verantwortungsvollen, generationsgerechten Politik. Deshalb müssen wir mit unserer heutigen Entscheidung endlich die Konsequenz ziehen aus den vielen Reden, in denen wir auf die Belastung nachfolgender Generationen, unserer Kinder und Enkelkinder, hinweisen. Sie entscheiden heute, bezogen auf diese Schuldenregelung, ob das wichtige Ziel der Generationengerechtigkeit verfassungsrechtlich ausgefüllt, belegt und unterstützt wird oder nicht.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.