Antrag der SPD-Bundestagsfraktion an die Bundesregierung: Jugendliche haben ein Recht auf Ausbildung
Aus Anlass der Debatte zur Ausbildungspolitik hielt Willi Brase MdB am 18.10.2012 im Plenum des Bundestages eine Rede zur Situation der Berufsbildung in Deutschland:
Frau Präsidentin! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die Ausbildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben wie immer einen gelungenen und guten Berufsbildungsbericht, der die Situation anhand von Zahlen verdeutlicht. Wenn wir gleich hören werden, dass alles wunderbar ist, dass wir sehr viele Ausbildungsplätze haben, aber angeblich nicht genügend Auszubildende, nicht genügend Jugendliche, die ausbildungsreif sind, so verweise ich auf die BIBB-Studie, die feststellt: Das, was wir derzeit zahlenmäßig am Ausbildungsmarkt erleben, ist auch ein Produkt der demografischen Entwicklung und weniger ein Produkt der Regierungspolitik von Rot-Grün.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Lachen des Abg. Patrick Meinhardt [FDP])
Wir haben derzeit 50 Prozent der jungen Leute in dualer Ausbildung, 20 Prozent in schulisch-beruflicher Ausbildung nach Landesrecht und 30 Prozent im Übergangssystem. Wir von der SPD sind der Meinung, dass das, was derzeitig im Übergangssystem abläuft, nicht mehr ertragbar ist und die Aktivitäten, die im Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland beschlossen wurden, ungenügend, teilweise sogar gar nicht umgesetzt wurden. Es ist zu kritisieren, dass sich die Bundesregierung im Pakt zwar verpflichtet hat, ihren Wust an Maßnahmen im Übergangssystem ein Stück weit zu durchforsten, dass aber als Ergebnis herausgekommen ist: Wir können nichts ändern, aber wir wollen das zukünftig bei neuen Maßnahmen ein bisschen berücksichtigen. – Das ist absolut mangelhaft. Wir wissen, dass die Vielfalt der Maßnahmen im Übergangssystem zu groß und daher nicht hilfreich ist.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Da verweise ich doch gerne auf neun Bundesländer, die 2009 die Initiative „Übergang mit System“ gestartet haben. Die Bertelsmann-Stiftung – keine Kaderschmiede der SPD – hat diesen Prozess begleitet und festgestellt: Wenn wir dieses Übergangssystem mit der Vielfalt an Aktivitäten auf kommunaler, auf Landes- und auf Bundesebene und teilweise EU-finanziert weiterführen, werden wir auch noch 2025 230 000 junge Leute mehrjährig in diesem Übergangssystem vorfinden. Das ist verkehrt und falsch. Wir müssen schauen, dass wir von diesem System wegkommen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie, die Vertreter der Bertelsmann-Stiftung, haben weiter überlegt: Wie können wir unsere Forderung „Kein Abschluss ohne Anschluss“ auf den Weg bringen? – Sie sagen: Würden wir sozusagen eine Ausbildungsgarantie für die jungen Leute aussprechen, dann könnten wir nicht nur real Geld sparen – das Übergangssystem kostet mittlerweile 6 Milliarden Euro jährlich und ist insofern höchst ineffizient –, sondern langfristig auch 150 000 oder 160 000 junge Menschen direkt und besser qualifizieren und in Ausbildung bringen.
Ich möchte an dieser Stelle die Bundesregierung auffordern, diesen Prozess zu unterstützen, damit die Vielfalt der Maßnahmen in diesem System endlich verringert wird. Es ist völlig falsch, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir von Ausbildungsgarantie sprechen, dann sagen wir als SPD: Ja, wir wollen das machen, was diese neun Bundesländer ein Stück weit – übrigens werden alle farbenmäßig völlig unterschiedlich regiert – auf den Weg bringen wollen. Wir wollen, dass das duale System weiter ausgebaut wird. Ich sagte eingangs, dass sich 50 Prozent der Auszubildenden im dualen System befinden. Dieser Anteil müsste gesteigert werden. Schließlich gibt es immer noch genügend Betriebe, die zwar die Ausbildungsfähigkeit besitzen, aber nicht ausbilden. Insofern erwarten wir auch vom Nationalen Pakt Initiativen, damit mehr Betriebe dazu gebracht werden, sich an der dualen Ausbildung zu beteiligen. Das geht nicht mit Schönwetterreden. Da muss man teilweise auch Druck machen.
(Beifall bei der SPD)
Also, diese Ausbildungsgarantie ist machbar. Wenn diese im dualen System allerdings nicht unterzubringen ist, dann sind wir für eine staatlich finanzierte Ausbildungsunterstützung. Das kann im vollzeitschulischen Bereich sein. Das kann bei den ÜBSen sein. Das kann bei den Berufsbildungszentren sein, und das kann auf der Grundlage BBiG, Handwerksordnung oder möglicherweise auch Landesrecht geschehen. Das ist für die jungen Menschen allemal besser, als ein, zwei oder drei Jahre im Übergangssystem zu verweilen.
(Beifall bei der SPD)
Wenn das nicht reicht, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dann müssen wir uns um die kümmern, die tatsächlich Probleme haben und möglicherweise noch nicht die nötigen Fähigkeiten und Kompetenzen besitzen, um in Ausbildung zu gehen. Da erachte ich die Einführung einer „Einstiegsqualifizierung Plus“ als weiteres Segment der Abqualifizierung oder der weiteren Austarierung als völlig falsch. Es reicht völlig aus, die Einstiegsqualifizierung zu nehmen und diese Einstiegsqualifizierung nur bei den Jugendlichen, die diese benötigen, und nicht bei den sogenannten Marktbenachteiligten vorauszusetzen. Das ist der falsche Weg.
Wenn die Wirtschaft wirklich im Sinne von Fachkräfteentwicklung Leute braucht, dann muss man den Weg gehen, dass man auch den Marktbenachteiligten hilft. Zur Not müssen wir auch die Hürden der Einstiegsqualifizierung erhöhen, aber wir sollten nicht „Einstiegsqualifizierung Plus“ einführen. Das ist der falsche Weg.
(Beifall bei der SPD)
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, weil dieser zunehmend eine Rolle spielt. Das ist die Qualität und die Qualitätsentwicklung in der beruflichen Bildung. Wenn es richtig ist, Frau Ministerin, dass der Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs diesen Punkt als wesentlichen Aspekt enthält, dann darf man auch einmal nachfragen, was wir mit den 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss machen. Ich meine diejenigen, die weder eine duale Berufsausbildung noch eine Ausbildung nach Landesrecht noch eine Assistentenausbildung oder einen Hochschulabschluss haben. Was machen wir mit denen? Wie packen wir die an? Das sind 1,5 Millionen. In der Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen sind es sogar 2 Millionen. Das heißt, wir haben eine Menge Leute, die nicht qualifiziert sind. Wir brauchen endlich konzeptionelle Vorschläge, wie wir diesen Menschen über das SGB III oder das SGB II – eventuell benötigen wir dafür Steuermittel – eine Chance geben können.
Wir wissen alle: Wer nicht qualifiziert ist, geht in den Niedriglohnbereich. Ich spare mir jetzt einen Debattenbeitrag dazu. Im Niedriglohnbereich verdient er aber nicht viel, und im Alter muss er Grundsicherung bekommen. Das ist doch „linke Tasche – rechte Tasche“. Das bringt doch nichts. Legen Sie ein gutes Konzept vor, wie wir diese hohe Zahl von 1,5 Millionen Menschen ein Stück weit verringern können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die DGB-Jugend befragt alljährlich – auch dieses Jahr wieder – die an der dualen Ausbildung Beteiligten, vor allen Dingen die Auszubildenden, wie sie die Qualität ihrer Ausbildung einschätzen. Es verwundert die Fachleute nicht, dass dabei herauskam, dass der Bereich Hotel und Gaststätten allergrößte Probleme hat. Gleichzeitig diskutieren wir – ich bin auch Mitglied im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – über die Weiterentwicklung des Tourismus. Dazu sage ich: In diesem Bereich müssen schnell Maßnahmen ergriffen werden. Die Abbrecherquote ist hoch. Zwischen 40 und 50 Prozent der Ausbildungsverträge werden aufgelöst. Zwischen 20 und 25 Prozent der Ausbildungsplätze sind unbesetzt.
Ich will darauf hinweisen – damit will ich nicht Werbung machen, sondern verdeutlichen, dass manches, was wir hier beschlossen haben, durchaus Sinn hatte –, dass sich im Kammerbezirk meines Wahlkreises Siegen-Wittgenstein Vertreter der Gewerkschaften, der Kammer und der Betriebe zusammengesetzt haben, um die Frage zu klären, wie man diese schwierige Situation verändern kann. Ich sage nichts zu dem Prüfungsergebnis; denn das wäre schon fast peinlich.
Die Frage ist: Wie können wir diese Situation ändern? Im Jahr 2005 haben wir mit der Reform des BBiG den örtlichen Berufsbildungsausschüssen mehr Aufgaben gegeben und sie beauftragt, sich um die Qualität zu kümmern. Ich kann nur jeder und jedem empfehlen, vor Ort zu schauen, wie es um die Qualität bestellt ist. Ausbildungsmärkte sind regionale Märkte. Manchmal müssen sich auch die Kammern bewegen. Manchmal müssen sie auf Unternehmen zugehen und Druck machen, damit die Ausbildung besser wird. Schauen Sie sich den Ausbildungsreport 2012 der DGB-Jugend an. Darin steckt eine Aufforderung, darüber zu diskutieren, wie wir die Qualität im Bereich der beruflichen Bildung verbessern können. Wenn die Fachkräftediskussion einen Sinn haben soll, dann müssen wir bei der Qualität ansetzen. Dann dürfen Überstunden, schlechte Bezahlung, schlechte Arbeitsbedingungen usw. usf. nicht auf der Tagesordnung stehen. Dann muss die duale Ausbildung auch ein hohes Maß an Qualität aufweisen. Dann ist sie vertretbar, und dann lässt sie sich auch im Ausland gut verkaufen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)