So sehr die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt, dass das Seearbeitsübereinkommen endlich umgesetzt wird, so sehr bedauern wir, dass Union und FDP mit dem Gesetz nicht ausreichend für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf See eintreten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In vielen Seemannsliedern werden die Bedingungen auf See besungen. Im Shanty „Rolling home“ beschweren sich Matrosen, dass der Kapitän ihnen keine freien Tage lässt.
(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Wollen wir mal einen singen?)
Die Seemannslieder zeigen, dass es wichtig ist, mit guten Gesetzen für faire Arbeitsbedingungen auf See zu sorgen. Denn die Arbeit auf Schiffen ist etwas Besonderes - das sehe ich auch auf den Schiffen, die in meinem Wahlkreis auf dem Neckar fahren -: die langen Fahrten, das gesamte Leben auf den Schiffen und oft unvorhergesehene Ereignisse.
Daher hat die Internationale Arbeitsorganisation mit dem Seearbeitsübereinkommen aus dem Jahr 2006 die Grundlage dafür geschaffen, dass weltweit auf See gute Arbeitsbedingungen herrschen. Leider hat die Bundesregierung sehr lange gebraucht, dieses ILO-Übereinkommen umzusetzen. Seit der schwarz-gelben Regierung 2009 wurde das hier immer wieder verzögert. In Antworten auf eine Kleine Anfrage der SPD sowie auf schriftliche Fragen wurden immer wieder Termine für den Gesetzentwurf genannt. Die Termine verstrichen, ohne dass etwas geschah.
Im Oktober 2012 wurde dann endlich das Seearbeitsgesetz, mit dem das ILO-Übereinkommen umgesetzt wird, in den Bundestag eingebracht. Besser spät als nie, dachte ich damals.
(Katja Mast (SPD): Genau!)
Doch leider beinhaltet der Gesetzentwurf der Bundesregierung trotz der langen Bearbeitungszeit eine Reihe von Fehlentscheidungen. Wir Sozialdemokraten hatten daher im Ausschuss für Arbeit und Soziales einen Änderungsantrag eingebracht, durch den diese Fehlentscheidungen korrigiert werden sollten.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Leider wurde dieser Änderungsantrag von Union und FDP abgelehnt. Auch Union und FDP haben am Dienstag in letzter Minute um 19 Uhr einen zehnseitigen Änderungsantrag eingebracht, über den wir im Ausschuss am Mittwoch um 10 Uhr abgestimmt haben. Es ist unmöglich, über Nacht zehn Seiten juristische Änderungen im Detail nachzuvollziehen. Im Sinne einer sinnvollen und kollegialen parlamentarischen Arbeit, an der alle mitwirken können, bitte ich Sie: Arbeiten Sie nicht mehr auf den letzten Drücker, und überlegen Sie sich früher, was Sie machen möchten.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf versäumen Sie, dass das deutsche Seearbeitsgesetz ein Gesetz wird, das den Anforderungen des Seearbeitsübereinkommens und der ILO-Verfassung entspricht. Dem Seearbeitsübereinkommen widerspricht der Gesetzentwurf nach wie vor bei der Reederhaftung, auch wenn Sie hier in letzter Minute vermeintlich korrigiert haben. Bisher ist es so, dass der Reeder dafür haftet, wenn die Heuer nicht bezahlt wird, auch wenn die Seeleute über eine Bemannungsagentur auf dem Schiff arbeiten. Das ist im Prinzip wie eine sinnvolle Generalunternehmerhaftung. Die komplett unverständliche Idee aus dem Arbeits- und Sozialministerium war, dass der Reeder nicht mehr komplett haftet, sondern nur noch als Bürge. Auch der Änderungsantrag von Union und FDP bleibt bei dieser abenteuerlichen Bürgenkonstruktion. Diese Regelung ist so unverständlich, dass sie im Ausland kein Mensch versteht.
(Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Brauchen sie auch nicht!)
Zudem besagt die ILO-Verfassung, dass es durch die Umsetzung von ILO-Übereinkommen nicht zu einer Schlechterstellung im Vergleich zu der davor geltenden nationalen Regelung kommen darf. Das ist jedoch bei der Bürgenhaftung der Fall. Die ILO hatte vorab unter der Hand verlauten lassen, dass sie in der Bürgenhaftung einen Verstoß gegen das Seearbeitsübereinkommen sieht und eine Normenüberprüfung aus Deutschland bei der ILO Erfolg hätte. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch die jetzige Bürgenkonstruktion vor der ILO keinen Bestand haben wird, da sie dem Seearbeitsübereinkommen widerspricht.
Ein weiterer kritischer Punkt des Gesetzentwurfs sind die Höchstarbeitszeiten der Seeleute. Zwar ist zu begrüßen, dass die Regelungen in § 48 nun so bleiben, wie sie bisher tariflich und gesetzlich vereinbart sind, aber im neuen § 49 werden detaillierte Vorgaben gemacht, wie eine tarifliche Regelung zu den Arbeitszeiten aussehen soll. Heimlich will man durch diesen Paragrafen also eine Verlängerung der Regelarbeitszeit auf mehr als 13 Stunden am Tag umsetzen. Nicht nur im Cockpit, auch an Bord ist die Übermüdung von Seeleuten gefährlich.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Die Höchstarbeitszeiten dürfen daher nicht durch die Hintertür heraufgesetzt werden.
Wir Sozialdemokraten fordern darüber hinaus, dass die Seemannsmissionen, die im Gesetzentwurf erwähnt werden und wichtige Aufgaben bei der Betreuung der Seeleute durch Sozialeinrichtungen übernehmen, auch finanziell vom Bund gefördert werden müssen.
(Beifall der Abg. Iris Gleicke (SPD))
Wenn die Seemannsmissionen eine im Gesetz festgeschriebene Aufgabe übernehmen, muss sich das auch so niederschlagen. In der Anhörung zum Seearbeitsgesetz im November 2012 hatte ein Vertreter der CDU gefragt, an welcher Stelle denn die finanzielle Unterstützung der Seemannsmissionen besser werden müsse. Der Vertreter der Seemannsmissionen antwortete unmissverständlich, dass sie überall besser werden müsse, denn bisher erhalten sie gar kein Geld. Das ist eine eindeutige Aussage: Hier besteht Handlungsbedarf.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so sehr ich es begrüße, dass wir heute endlich das ILO-Seearbeitsübereinkommen in nationales Recht umsetzen, so sehr bedaure ich, dass wir Sozialdemokraten dem Gesetzentwurf aus den genannten Gründen, insbesondere was die Reederhaftung betrifft, nicht zustimmen können. Die Kritikpunkte, die die Seeleute aus der Praxis bei der Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales angeführt haben, wurden viel zu wenig berücksichtigt.
Das Wichtigste bei einem Gesetz zu den Arbeitsbedingungen auf See ist, die Menschen, die praktisch damit zu tun haben, und auch die zuständigen Gewerkschaften, besonders Verdi, zu beteiligen und ihre Erfahrungen ins Gesetz aufzunehmen. Denn nur wenn das Gesetz gut für die Praxis ist, gehören Klagen über schlechte Arbeitsbedingungen auf See, wie ich sie eingangs aus einem Seemannslied zitiert habe, der Vergangenheit an.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Da wir Sozialdemokraten die Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens insgesamt begrüßen, wir den Gesetzentwurf an einigen Stellen jedoch kritisch sehen, werden wir uns bei der Abstimmung enthalten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))