Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Den zweiten Tag hören wir sehr intensiv den Reden aus der Koalition zu. Ich werde einen Eindruck nicht los: Ein bisschen klingen Ihre Reden wie eine Bitte um Vergebung. Wer genau hinschaut, der sieht doch bei den Rednern der Koalitionsfraktionen die roten Ohren.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Das wäre Ihnen recht, wenn wir rote Ohren hätten! Wir haben schwarz-gelbe!)
Sie wollen so tun, als seien die ersten 100 Tage dieser Regierung so etwas wie Anfängerpech, alles nur ein Ausrutscher. Das ist das durchgehende Motto dieser Regierung. Aber seien Sie sicher: Niemand wird Ihnen das glauben. Sie werden sich das Jahr über vor dem Zorn der Bürger, den Sie hervorrufen, nicht verstecken können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Millionen von Menschen sind in der Tat schon jetzt enttäuscht, auch viele Anhänger der Union und der FDP. Was diese schwarz-gelbe Regierung abliefert, ist nicht nur ein Fehlstart, wie ich in den ersten Tagen dieser Regierung gesagt habe, sondern – ich kann es nicht anders nennen – politisches Totalversagen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie reden die Lage schön, statt den Menschen zu sagen, was ist. Wir stecken nach wie vor im tiefsten Wirtschaftseinbruch der Nachkriegszeit. Wir könnten wissen, dass uns diese Krise nach wie vor fest im Griff hat. Doch Sie machen denselben Fehler wie zu anderen Zeiten. Sie vertrauen auf die Nachrichten von den Aktienmärkten, und Sie wollen nicht wissen, dass Aktienkurse heute über die tatsächliche Lage in der Wirtschaft nichts aussagen. Das ist und bleibt trügerischer Schein. Sie klammern sich an den Schein, und Sie wollen nicht wahrhaben, dass die wahre Krise, die Krise auf dem Arbeitsmarkt, erst jetzt auf uns zukommt.
Millionen von Menschen machen sich Sorgen um die Zukunft. Sie fragen, ob der Wohlstand, den wir haben und hatten, auch noch für ihre Kinder gesichert ist. Das alles sind große Fragen an eine Regierung; aber diese Regierung schwebt in den Wolken, faselt von bürgerlicher Mehrheit wie von einer messianischen Erlösung, von einer geistig-politischen Wende, als ob bis jetzt der Antichrist dieses Land im Würgegriff gehalten hätte. So kann man inszenieren, sich präsentieren, aber regieren kann man so nicht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mit Verlaub, was ich sehe, ist eine Regierung, die nicht regiert, die mit sich selbst beschäftigt ist, die sich ineinander verbeißt, statt sich um die wirklichen Probleme dieses Landes zu kümmern, die nichts geregelt kriegt, die sich allenfalls am Sonntagabend in der Kneipe gut versteht. Deshalb kann ich verstehen, dass einer der Kommentatoren zu Ihren Treffen sagte: Prost Mahlzeit!
(Beifall bei der SPD)
Union und FDP haben bislang keinen einzigen Ansatz für ein schlüssiges Zukunftskonzept vorgelegt. Deshalb gibt es in diesem Land – mich wundert das nicht – weit und breit keine Spur von Aufbruchstimmung. Was uns Union und FDP tagtäglich bieten, das ist die ständige Wiederholung eines kleinkarierten Gezänks. Ich kann Ihnen versichern – auch wir kommen herum –: Die Menschen sind das leid. Sie haben diese Regierung nicht gewählt, um schlecht unterhalten zu werden, sondern um ordentlich regiert zu werden. Sie alle auf der Regierungsbank haben den Auftrag, zu regieren. Aber dann tun Sie das auch! Fangen Sie endlich damit an!
(Beifall bei der SPD – Christian Lindner (FDP): Machen Sie erst mal Opposition, Mister 23 Prozent!
– Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie doch mal was zur Sache!)
– Was heißt „zur Sache“? Nicht wir, sondern Sie selbst reden doch von Neustart und Krisengipfel, wie ich gelesen habe. Allerdings weiß ich eines: Einen Neustart braucht man erst, wenn man weiß, dass das, was man begonnen hat, in Trümmern liegt.
Es stimmt: Das schwarz-gelbe Phantasialand, das Sie sich gebaut haben – auf der einen Seite sollen die Menschen kaum noch Steuern zahlen, und auf der anderen Seite sollen sie besser leben –, hat sich doch in Wahrheit in kurzer Zeit in Luft aufgelöst; die Leute spüren das. Wer Deutschland, das größte Land in Europa, ernsthaft regieren will, der muss mehr bieten als solche Luftschlösser. Das sage ich insbesondere der FDP. Frau Bundeskanzlerin, da haben Sie recht: Niemand kann auf Dauer gegen die Realität regieren. Sie haben heute Morgen gesagt: Macht die Augen auf vor dieser Realität! – Das ist aber nichts, was an dieses Parlament oder gar an die Oppositionsfraktionen adressiert werden sollte. Um das zu sagen, brauchen Sie nicht den Deutschen Bundestag, Kameras und Mikrofone. Das müssen Sie der FDP sagen, und dafür haben Sie das Kabinett. Nutzen Sie diese Möglichkeit!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Vizekanzler, was die Realität angeht, nützen am Ende keine markigen Sprüche. Wir bitten herzlich darum, Herr Westerwelle: Verschonen Sie uns mit all diesen Ankündigungen von der geistig-politischen Wende!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Haben Sie es nicht eine Nummer kleiner?
Wir wären ja schon froh über die Anwendung der Grundrechenarten; aber noch nicht einmal das funktioniert.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie wollen Steuersenkungen auf Pump, mal 15, mal 20, mal 24 Milliarden Euro; genau wissen wir es noch nicht. Sie wollen das, obwohl Sie wissen, dass kein Geld in der Kasse ist – mehr als 300 Milliarden Euro werden bis zum Jahr 2012 fehlen –, und obwohl Sie wissen, dass nach den Umfragen die meisten Menschen in Deutschland das nicht für vernünftig halten und sagen: Guido, lass das sein! – Sogar die Mehrheit der FDP-Wähler ist dieser Meinung.
Bisher, Herr Westerwelle, Frau Merkel, haben Sie mit der falschen Vorstellung mancher in diesem Land ganz gut gelebt, Schwarz-Gelb verstehe mehr von Finanzen und Wirtschaft als andere. Das glaubt Ihnen nach den ersten 100 Tagen im Amt in Deutschland niemand mehr, und das zu Recht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost (DIE LINKE))
Sie haben in den ersten 100 Tagen gezeigt: Sie verschleudern das Geld, sodass es hinterher an allen Ecken und Enden fehlt. Schon jetzt ist absehbar, dass die Länder arm gemacht werden. Die Frankfurter Oberbürgermeisterin – sie gehört bekanntlich nicht der SPD an – hat gesagt: Die Gemeinden werden in den Ruin geführt. – Nie hat eine Regierung den finanz- und wirtschaftspolitischen Vertrauensvorschuss, mit dem Sie vor 100 Tagen gestartet sind, so schnell verspielt wie diese.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die Opposition könnte sich darüber freuen; aber das ist ein Drama für unser Land. Deshalb freut uns das nicht. Aber wir werden Sie mit diesem Thema treiben, das ganze Jahr hindurch. Wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dieses Jahr machen Bund, Länder und Gemeinden – Sie wissen das, Herr Schäuble, auch wenn Sie es gestern nicht berichtet haben –
(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Natürlich habe ich es gesagt!)
alles in allem 145 Milliarden Euro neue Schulden. Herr Schäuble, mit jedem Euro in Ihrem Haushalt machen Sie 30 Cent Schulden, die obendrauf kommen. 30 Prozent Ihres Haushaltes sind schuldenfinanziert. Das ist die Lage. Schlimm genug, könnte man sagen. Zum Teil, aber eben nur zum Teil, ist das Folge der Krise. Schlimm ist jedoch: Sie machen das Problem nicht kleiner, sondern Sie machen es größer, indem Sie weitere Steuersenkungen auf Pump machen und damit weitere Schulden obendrauf packen, indem Sie eine Kopfpauschale einführen wollen – das ist ja der Vorschlag von Herrn Rösler , die anschließend notwendigerweise einen Sozialausgleich nach sich zieht, der 35 Milliarden Euro zusätzlich kostet. Sie, Herr Kauder, haben gesagt, die SPD sei nicht bei Verstand. Ich sage Ihnen: Wenn Sie den Leuten erzählen, dass das alles möglich ist, sind Sie nicht ganz bei Trost.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das Stück, das jetzt gespielt wird – ich wage vorauszusagen: genau bis zur Landtagswahl in NRW –, hat den Titel: Im Himmel ist Jahrmarkt. Danach aber wird die Bühne umdekoriert. Dann kommt ein anderes Stück. Das Stück hat den Titel: Die Kassen sind leer.
Herr Schäuble, wir haben in der Regierung zusammengearbeitet. Ich schätze Sie und Ihre Arbeit. Sie haben über 40 Jahre in der deutschen Politik zugebracht. Sie haben sich einen Ruf erarbeitet. Deshalb frage ich Sie: Warum machen Sie dieses Theater mit?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sagen doch wenigstens Sie die Wahrheit, nämlich dass es so nicht geht, und sagen Sie das jetzt und nicht erst im Juni dieses Jahres. Darauf kommt es an.
Frau Merkel und Herr Westerwelle, Sie versprechen jetzt einen Neustart. Ich frage mich: Wie soll das eigentlich gehen? Einen Neustart kann es doch nur geben, wenn man erkannt hat, warum man gegen die Wand gefahren ist. Einen Neustart kann es nur geben, wenn man erkannt hat, dass die Richtung, die man eingeschlagen hat, grundfalsch war. Ein Neustart kann doch nur funktionieren, wenn man auch die richtigen Leute dazu hat. Genau das unterscheidet aber diese Koalition von der vorherigen. Vor gut einem Jahr hatten Sie, Frau Merkel, einen Peer Steinbrück, der Ihnen ein Konzept für die Bankensanierung auf den Tisch gelegt hat.
(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt haben sie einen PKV-Mann in der Gesundheitspolitik!)
– Dazu komme ich noch, Herr Trittin. Geduld, Geduld! – Vor einem Jahr hatten Sie noch einen Arbeitsminister Olaf Scholz, der Ihnen Konzepte für wirksame arbeitsmarktpolitische Instrumente auf den Tisch gelegt hat,
(Norbert Barthle (CDU/CSU): Die viel Geld gekostet haben!)
die dafür gesorgt haben, dass die Krise bei uns keine so tiefen Spuren hinterlassen hat wie in den europäischen Nachbarländern.
(Beifall bei der SPD)
Ihnen fehlen nun solche Leistungsträger im Kabinett, Frau Merkel, die Vorschläge entwickeln, wie Konjunktur und Wachstum durch Innovation – genau das ist notwendig – gestärkt werden können. Ich sage Ihnen: Die Gefahren der Krise sind nicht gebannt, aber diesmal sitzt Frau Merkel hier im Bundestag mit leeren Händen,
(Norbert Barthle (CDU/CSU): Wo sind Ihre Vorschläge?)
mit Achselzucken, ohne Idee, ohne Plan. Das ist der Unterschied zu damals, den die Leute sehr wohl wahrnehmen. Sie merken auch, dass diese Regierung nichts zu bieten hat.
(Beifall bei der SPD)
Aber dass das so ist, ist aus meiner Sicht kein Zufall; dahinter steckt ein bisschen mehr.
(Florian Toncar (FDP): Wählerwille!)
Das hat Gründe, die in der Architektur und in dem Wesen der jetzigen Koalition liegen. Beides lässt sich – da bin ich ganz sicher – nicht ohne weiteres durch bloße Ankündigungen verändern. All das kann man auch nicht – darauf haben andere schon hingewiesen – mit Prosecco und Tartar zukleistern.
(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Igitt! –
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein! Die haben Rotwein getrunken!)
Hier wird mit einer FDP regiert, die immer noch unter Realitätsschock steht, die die Wirklichkeit nicht wahrhaben will, die trotz der tiefsten Krise seit 60 Jahren, seit Beginn der Nachkriegszeit, immer noch daran glaubt, dass die Politik gegen die Krise bereits in ihrem Parteiprogramm aufgeschrieben sei. Ich habe mir das Parteiprogramm der FDP angesehen. Dort steht nichts dazu. Man vertraut ein bisschen auf Angebot und Nachfrage. Hier ein Bonbon für die Hotelbesitzer, da ein Zuckerstück für die Unternehmenserben. Dann kommen die Apotheker dran und schließlich noch ein paar andere Freunde. – So funktioniert Regieren nicht. Wer gut regieren will, der muss das ganze Volk im Blick haben und darf nicht nur einzelne Klientelgruppen bedienen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Noch nie in der Nachkriegsgeschichte, nach meiner Erinnerung jedenfalls, hat eine Bundesregierung sich so offensichtlich in den Dienst von Lobbyinteressen gestellt, wie das jetzt der Fall ist.
(Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Und Rot-Grün 1998?)
– Nein. Wir haben von Ihnen etwas übernommen, was damals zu Recht Bimbes-Politik und Bimbes-Republik genannt wurde. Schützen Sie sich selbst davor, eine solche Situation erneut herbeizuführen! Das hat Ihnen geschadet, und es hat dem Land geschadet.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Norbert Barthle (CDU/CSU): Das sind doch Reden der 90er-Jahre! Das ist die Vergangenheit!)
– Zur CSU komme ich noch.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Da sind wir aber froh!)
Wir haben gestern über die Spende aus der Familie von Finck, die Mövenpick-Spende, gestritten, und viele haben sich verteidigt und gesagt, das sei doch alles in Ordnung gewesen. Die FDP hat gesagt, das sei keine Dankeschön-Spende; denn sie sei schon vorher bezahlt worden.
(Lachen des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) –
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ah! Die Korruption ist umgekehrt!)
Aber das macht doch die Sache nicht besser. Was wollen Sie damit eigentlich sagen? War das sozusagen Vorkasse?
(Beifall des Abg. Joachim Poß (SPD))
Wenn Sie so Politik machen, dann wird – das kann ich Ihnen garantieren – die Frage gestellt werden: Sind wir nach 100 Tagen dieser Regierung schon wieder in der Bimbes-Republik?
Mein dringender Rat und meine Empfehlung, damit nicht wir alle durch diese Spendenpraxis mit geschädigt werden, ist: Vermeiden Sie auf jeden Fall den Eindruck, dass Sie dahin zurückkehren wollen! Vermeiden Sie den Eindruck, dass durch Spendeneinkommen auf die Gesetzgebung Einfluss genommen wird! Am besten wäre es, Sie würden dieses Geld schnellstmöglich auf eines der vielen Konten von Herrn von Finck zurücküberweisen. Aber das Mindeste ist, dass das Hotelkettenbegünstigungsgesetz schnellstmöglich wieder aufgehoben wird. Sie werden Gelegenheit bekommen, darüber abzustimmen. Das ist der einzige Ausweg. Nutzen Sie ihn!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Volker Kauder (CDU/CSU): Sie können ja mal Frau Hendricks fragen!)
– Ja, die habe ich gefragt. Da können Sie sicher sein. Deshalb trete ich hier so selbstbewusst auf.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Da müssen wir auch mal über Ihre Medienholding reden, Herr Steinmeier!)
Ich will dazu gar nicht mehr sagen, weil die Spende bereits im Mittelpunkt vieler Reden gestern und heute gestanden hat. Ich habe mir aber folgende Frage gestellt: Ist das eigentlich das einzige Vorkommnis, das den Vorwurf von Klientelpolitik in Ihre Richtung rechtfertigt? Aus meiner Sicht jedenfalls ist genauso schlimm, dass in kurzer Zeit, innerhalb von wenigen Tagen, an vielen Stellen Cheflobbyisten aus deutschen Verbänden und deutschen Unternehmen in Spitzenpositionen der Ministerien gerückt sind.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE))
Ich weiß nicht, ob Herr Röttgen da ist; ich sehe ihn im Augenblick nicht. Aber aufgrund meiner Beschäftigung mit Energiepolitik in der Vergangenheit weiß ich, dass es in Deutschland eine ganze Reihe von unabhängigen Energieexperten gibt. Keinen von diesen hat Herr Röttgen in sein Ministerium geholt.
Stattdessen hat er jemanden geholt, der seit Jahrzehnten aufseiten der Industrie für die Atomkraft gestritten hat. Herr Hennenhöfer soll jetzt als Spitzenbeamter im Bundesumweltministerium die Grundzüge der deutschen Energiepolitik bestimmen. Herr Röttgen, was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht? Wenn es noch eines Beispiels bedurft hätte: Das ist ein Musterbeispiel erfolgreichen Lobbyismus in dieser Bundesregierung. Deshalb sage ich: Herr Röttgen, Sie werden sich am Ende Ihr Energiekonzept von der deutschen Atomlobby diktieren lassen.
Was dem Ganzen noch die Krone aufsetzt – ich habe es ja nicht fassen können -, ist die Tatsache, dass dieser Spitzenbeamte, den Sie sich eingekauft haben, in den zentralen Genehmigungsentscheidungen, die demnächst in Ihrem Hause anfallen werden, aus Rechtsgründen wegen Befangenheit nicht einmal mitwirken darf. Das ist ein Skandal. Herr Röttgen muss der deutschen Öffentlichkeit erklären, welchen Sinn diese Personalentscheidung macht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Rösler, was die grundsätzliche Aufgabe des Gesundheitsministers angeht, nämlich dafür zu sorgen, dass jeder in diesem Lande einen Anspruch auf bestmögliche Versorgung hat, sind wir nicht im Streit. Es gibt da aber ein paar Unterschiede, die auch mit dem unterschiedlichen Einkommen zusammenhängen. Diese drücken sich in der Struktur der Versicherten aus. Wenn Sie wirklich den Anspruch haben, bestmögliche Versorgung für jeden zu garantieren, dann geht das nur, wenn Sie die gesetzlich Krankenversicherten gegen die Interessen von Lobbyisten verteidigen. Dass das nicht einfach ist, können Sie von Ulla Schmidt erfahren.
(Lachen bei der FDP – Zuruf von der FDP: Dienstwagen in Spanien!)
– Sie werden sich noch an meine Worte erinnern. Man braucht ein breites Kreuz, um den täglichen Druck von den Akteuren im Gesundheitswesen auszuhalten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie probieren noch nicht einmal, wie viel Druck Sie aushalten, sondern holen sich gleich den Cheflobbyisten der privaten Krankenversicherungen in die Grundsatzabteilung des Gesundheitsministeriums. Das ist nicht verboten, werden Sie sagen. Aber in diesem Lande gibt es 70 Millionen gesetzlich Versicherte. Sie verstehen nicht, dass die Mehrheit der Menschen in diesem Lande Angst haben, weil sie befürchten, dass ihre Interessen durch Ihre Personalentscheidung untergebuttert werden.
(Christian Lindner (FDP): Quatsch!)
Herr Rösler, Sie nähren mit jeder öffentlichen Äußerung diese Befürchtung der breiten Masse der Bevölkerung. Deshalb sage ich Ihnen: Mit Ihrer Gesundheitspolitik werden Sie in der eigenen Koalition noch viel Spaß bekommen. Den wünsche ich Ihnen. Ich wünsche aber den Versicherten in diesem Lande, dass sie die Gesundheitsversorgung behalten, die sie unter guter sozialdemokratischer Führung der letzten Jahre gewohnt sind.
(Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP: Oh!)
Ob die CSU Herrn Baron von Finck auch zu Dank verpflichtet ist, wissen wir noch nicht ganz genau.
(Joachim Poß (SPD): Seit Jahrzehnten!)
Wahr ist jedenfalls, dass Herr Seehofer, wie wir gehört haben, ebenfalls schon über Jahre für die Interessen der Hotelbesitzer stramm gefochten hat. Seehofer ist derjenige, der bis vor kurzem noch gesagt hat, er sei Chef der letzten wirklichen Volkspartei in Deutschland.
(Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Wo arbeitet der Herr Schröder jetzt?)
– Herr Schröder hat sich da nie beworben, wenn ich das richtig weiß.
(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Aber bei Gazprom!)
Aber dann verstehe ich das Gezappel nicht, das ich im Augenblick in der CSU sehe. Als wir noch in der Großen Koalition waren, habe ich immer gedacht, das habe etwas mit den Sozis in der Koalition zu tun, weil die CSU mit denen besondere Schwierigkeiten habe. Aber das Gezappel geht ja weiter. Heute hü, morgen hott und übermorgen eine ganz andere Meinung, so die tägliche CSU-Taktik ohne irgendein erkennbares politisches Ziel. Wenn Sie mich fragen, dann ist die CSU auf der Suche nach sich selbst statt auf der Suche nach Lösungen für dieses Land.
Wenn mich nicht alles täuscht, dann könnte, wenn ich nach Bayern schaue, Herr Seehofer der Abwickler der ehemals stolzen bayerischen Staatspartei werden. Herr Seehofer: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, würde Gorbatschow sagen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Volker Kauder (CDU/CSU): Ach, wie originell! Tolle Formulierung!)
Ich sage das nicht ohne Not. Ich gebe Ihnen jetzt eine Begründung dafür. Was die CSU-Politik in den letzten Jahren in Bayern mit Blick auf das große Börsenkasino der Bayerischen Landesbank, bei dem 14 Milliarden Euro verzockt worden sind, angeht: Die CSU hat in Bayern – das nehmen Sie hoffentlich ernst – ihre finanz- und wirtschaftspolitische Kompetenz auf Dauer verspielt.
(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Die Umfragen sagen das Gegenteil!)
Ich war am Dreikönigstag im Berchtesgadener Land. Herr Ramsauer, das ist ganz sicher ein wunderschöner Wahlkreis; das will ich nicht bestreiten.
(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Er hatte mehr Prozente als Sie!)
– Ja, auch das. – Ich habe nach der Veranstaltung mit vielen Leuten, auch mit CSU-Leuten, gesprochen. Sie sagen: Früher waren wir wirklich stolz auf unsere CSU in Bayern. Wir waren stolz, weil wir es besser konnten, sagen sie.
(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ja auch nicht stimmt!)
Dieser Stolz ist weg, sagen einige. Und: Ich schäme mich dafür, was die bei der Landesbank mit unserem Geld gemacht haben. Sie haben es einfach verzockt; weg ist es.
Das Geld, das die kleinen Leute in Bayern erarbeitet haben, ist bei der Bayerischen Landesbank verbrannt.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Sie sollten mal auf die WestLB schauen!)
Ich sage Ihnen voraus: Diese Erbsünde in Bayern werden Sie so schnell nicht wieder los. Das ist bitter für die CSU in Bayern. Aufgrund der Reden hier sage ich an die CSU gerichtet: Seien Sie zwischendurch einfach mal etwas weniger von oben herab, und zeigen Sie etwas mehr Demut! Auch Sie, meine Damen und Herren von der CSU, sind in der Realität Deutschlands angekommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nun tut die Bundeskanzlerin Frau Merkel so, als hätte sie mit dem ganzen Gezeter der Männer links und rechts um sich herum nichts zu tun.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Genau!)
Einige sagen sogar: Das ist geschickt.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Genau!)
Nur, wahr ist es nicht.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Doch!)
Frau Merkel, Sie haben Ihren aktiven Anteil an dem aktuellen Desaster in der Koalition. Sie schauen nämlich dem Treiben zwischen FDP auf der einen Seite und CSU auf der anderen Seite einfach teilnahmslos zu. Sie halten sich einerseits heraus und erklären das andererseits noch zur Methode. Sie spielen Leute von der FDP und der CSU ganz geschickt gegeneinander aus, schlagen sich aber selbst in die Büsche. Beispiele dafür haben wir in den letzten Tagen erlebt.
(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Steinbach!)
Die Steuersenkung ist ein Beispiel. Zur Steuersenkung haben Sie lange nicht das Geringste gesagt. Vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen wollen Sie nicht zugeben, dass das alles leere Versprechungen sind. Darum musste erst einmal Herr Schäuble ins Rennen.
(Joachim Poß (SPD): Er hat aber auch nichts gesagt!)
Er musste erst einmal sagen: Das geht so nicht; es ist kein Geld dafür da. – Als er dann einmal öffentlich gesagt hatte, was notwendig zu sagen war, sind Sie ihm in den Rücken gefallen
(Petra Merkel (Berlin) (SPD): Zurückgepfiffen!)
und haben in einem Interview im Handelsblatt öffentlich erklärt – das haben dann einige zu einem Machtwort hochstilisiert : Nein, Herr Schäuble, die FDP hat recht. – Es soll also doch Steuersenkungen in breitem Umfang geben, obwohl kein Geld da ist. Es soll möglicherweise doch eine Reduzierung des Spitzensteuersatzes um 10 Prozent geben, und das alles trotz leerer Kassen. Anschließend haben Sie veranlasst, dass der Finanzminister diese Pirouette wieder mitdreht. Meine Damen und Herren, das ist keine seriöse Politik. Ich bin mir sicher: Das wird nicht belohnt werden, auch nicht bei der wichtigen Wahl, die in diesem Jahr stattfindet.
(Beifall bei der SPD)
Für das Heraushalten und Ausspielen von Teilen der Koalition gegeneinander gibt es noch ein paar andere Beispiele, unter anderem die Causa Steinbach. Es geht um die Frage, ob Frau Steinbach dem Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ angehören darf und soll. Ich vermute, Sie haben da eine Meinung. Ich vermute, Sie wissen, dass Frau Steinbach diesem Stiftungsrat nicht angehören wird.
Aber statt das zu sagen, lassen Sie die FDP das Geschäft erledigen, so wie es früher in der Großen Koalition durch die SPD erledigt worden ist. Sie fürchten sich davor, den Vertriebenenverbänden klipp und klar die Wahrheit zu sagen. Würde Frau Steinbach dem Stiftungsrat angehören, wäre das eine Katastrophe für das deutsch-polnische Verhältnis. Aber statt das selbst klar zu sagen, müssen das bei Ihnen immer die jeweiligen Koalitionspartner tun. Das ist nicht fair. Das ist nicht offen. Das ist keine Leitentscheidung der Kanzlerin.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich nenne als weiteres Beispiel Europa und die Türkei. Im Koalitionsvertrag steht dazu auch nichts Genaues, es wiederholen sich allenfalls die Formulierungen aus früheren Koalitionsverträgen. Herr Westerwelle sagt bei seinem Türkeibesuch das eine, die CSU täglich das andere. Von der Kanzlerin hören wir kein klares Wort dazu, wie die Regierung mit dieser Frage umgehen will.
Frau Merkel, in Ihrem Kabinett darf nicht nur jeder machen, was er will. Sie wollen sogar, dass jeder macht, was er will. Das mag für Sie persönlich, vielleicht sogar im Augenblick für die Umfragewerte das Richtige sein – es ist jedenfalls nicht negativ –, es ist aber schlecht für unser Land. Das ist Ihr Anteil am Schlamassel dieser Koalition und an dem Drama, das sich in Deutschland abspielt.
(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle (CDU/CSU): Sie müssen sich einen besseren Redenschreiber suchen!)
In einem haben Sie recht: In diesem Land ist Erneuerung notwendig. Neues Denken ist gefragt, und zwar dringend. Ja, Frau Merkel, aber was tun Sie? Sie tun genau das Gegenteil. Sie reichen altem Denken, ich sage sogar uraltem Denken die Hand. Sie reichen die Hand einer Politik, die schon bei Frau Thatcher und Herrn Reagan vor Jahrzehnten gescheitert ist. Müssen wir in Deutschland denn auch noch die Erfahrung machen, dass die Verarmung des Staates keine Garantie für Wachstum ist? Wenn Sie so weitermachen, dann befürchte ich, dass das der Fall sein wird.
(Beifall bei der SPD)
Dabei liegen die Themen für die Erneuerung dieses Landes auf der Hand: grüne Revolution, die älter werdende Gesellschaft, bessere Bildung, bessere Integration. Aber was hören wir heute Morgen in Ihrer Rede? Wir hören wieder nur Ankündigungen, wieder nur Überschriften. Wo ist das Konzept dieser Regierung für eine Modernisierung der Wirtschaft? Wo ist das Konzept dieser Regierung für die Arbeit von morgen? Gar nichts höre ich dazu! Wo ist die Weichenstellung für Bildung, Betreuung und Integration? Stattdessen – Sie haben eben zugehört – gibt es wieder die Ankündigung von neuen Gipfeln: wieder die Ankündigung eines Bildungsgipfels, wieder die Ankündigung eines Integrationsgipfels. Ich frage Sie: Was sollen all diese neuen Gipfel, wenn Länder und Gemeinden keine Kohle mehr in ihrer Kasse haben, um daraus Politik zu finanzieren? Wir wollen Taten sehen. Wir wollen Ergebnisse sehen. Die haben Sie nicht. Deshalb ist Ihre Politik folgenlos und schädlich für unser Land.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Volker Kauder (CDU/CSU): Ist sie folgenlos oder nicht folgenlos? Beides geht nicht!)
Wer Erneuerung will, der braucht Geld. Deshalb sage ich: Stecken Sie das Geld, das noch zur Verfügung steht – es ist wenig genug , in Innovation, Forschung und Bildung. Dort wird es dringend gebraucht. Stattdessen verplempern Sie mal eben knapp 10 Milliarden Euro mit dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Sie hätten damit die Bildungshaushalte des Bundes verdoppeln können. Wenn jetzt noch 20 Milliarden Euro Steuersenkung draufkommen,
(Norbert Barthle (CDU/CSU): Das geht rein praktisch nicht!)
dann könnten Sie mit dem Geld, das Sie mit der Gießkanne übers Land verstreuen, Ganztagsschulen bauen, Studienplätze schaffen, Forscher einstellen, Labors ausstatten und die Zahl der Patente nach oben treiben.
(Norbert Barthle (CDU/CSU): Mal in den Haushaltsplan reinschauen!)
All das wäre möglich, wenn Sie nicht an dieser blödsinnigen, an dieser falschen Politik festhielten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Norbert Barthle (CDU/CSU): Da sträuben sich dem Haushälter die Nackenhaare!)
Mit dem, was Sie gegenwärtig auf den Weg bringen, plündern Sie nicht nur die öffentlichen Kassen des Bundes, der Länder und der Gemeinden, sondern Sie schwächen auch das, was gerade in der gegenwärtigen Situation in unserem Land so wichtig ist: die soziale Sicherheit. Wir ahnen und wissen im Grunde genau – einige aus der Koalition sagen es in Interviews ja auch schon öffentlich –: Nach der NRW-Wahl wird der Rotstift angesetzt, natürlich bei den Schwachen und bei den Normalverdienern. Wir hören schon die zynischen Begleitkommentare von Roland Koch und anderen: Treibt die faulen Säcke endlich einmal zur Arbeit! Der FDP-Generalsekretär bezeichnet den Staat als schwächlichen Nichtsnutz. Das sagt jemand, der seinen Lebensunterhalt jahrelang aus öffentlichen Kassen bestritten hat. Ich sage Ihnen: Wer so borniert, wer so verächtlich über Arbeitslose und den notwendigen Schutz der Menschen daherredet, wer nicht lernt, dass wir nicht einfach zu den vermeintlich sonnigen Zeiten vor der Krise zurückkehren können, der kann dieses Land nicht erneuern. Deshalb werden Sie scheitern, meine Damen und Herren von der Bundesregierung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Diese Bundesregierung ist zu der Erneuerung, die sie sich selbst vorgenommen hat, nicht in der Lage. Schwarz-Gelb kann das nicht. Schauen Sie auf Frau Merkel. Sie sitzt mit leeren Händen auf dem Kanzlerstuhl.
(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder (CDU/CSU): Und das ist gut so! –
Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Das haben Sie wenigstens erkannt!)
– Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie zu den „leeren Händen“ klatschen.
(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Mit vollen Händen hat noch niemand geklatscht! Das geht gar nicht!)
So kann man vielleicht eine Zeit überstehen, aber Politik für die Menschen in unserem Land kann man so nicht machen.
Die Quittung dafür wird in diesem Jahr kommen. Das wird für Sie eine bittere Erfahrung sein. Wenn die Menschen erkennen, dass sie von dieser Regierung getäuscht worden sind, wenn sie erkennen, dass es nicht mehr Netto vom Brutto, sondern weniger Netto vom Brutto geben wird, wenn sie erkennen, dass in den Städten und Gemeinden überall gestrichen wird, dass die Gebühren für Kindergärten, Wasser und Abfall erhöht werden, dass, was in einigen Städten Nordrhein-Westfalens schon jetzt erkennbar ist, Stadtteilbüchereien, Theater und Schwimmbäder geschlossen werden, wenn die Menschen erkennen – das hat Frau Künast eben richtig gesagt , dass sie trotz einer Kindergelderhöhung nicht mehr, sondern weniger Geld im Portemonnaie haben, dann wird das Vertrauen in diese Regierung wegbrechen. Ich sage Ihnen: Das, was Sie mit den Menschen treiben, insbesondere vor den Wahlen, ist ein falsches Spiel. Das beschädigt das Vertrauen in diese Regierung; da bin ich mir sicher. Schlimmer aber ist, dass das auch das Vertrauen in die politischen Institutionen beschädigt.
(Beifall der Abg. Brigitte Zypries (SPD))
Darum ist das, was Sie in den ersten 100 Tagen Ihrer Regierungszeit aufgeführt haben, kein schlechtes Lustspiel, sondern bitterer Ernst.
Herr Schäuble, ich habe Ihnen gestern gut zugehört. Meine herzliche Bitte ist, dass Sie über einen Satz, den Sie gestern gesagt haben, noch einmal ganz ernsthaft nachdenken. Dieser Satz ist in Ihrer Rede im Zusammenhang mit der Diskussion über die Parteispenden von Finck gefallen. Sie haben in der Debatte gestern versucht, Kritik an Ihrer Klientelpolitik unter Verweis auf Weimar verstummen zu lassen. Wer sie kritisiert – ich darf Sie einmal zitieren –, der stehe in den Traditionen der „Radikalen von rechts und links“. So haben Sie das gestern genannt. Herr Schäuble, überlegen Sie noch einmal, ob das wirklich ein Satz ist, den Sie an die Adresse der Sozialdemokraten richten wollen. Mit Blick auf die Geschichte dieser Partei kann das kein ernstgemeinter Satz sein.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Steinmeier, kommen Sie bitte zum Ende.
Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Ich bin sofort fertig. – Ich halte dem entgegen: Demokratie gefährdet nicht der, der Falsches falsch nennt. Die wirkliche Gefahr für die Demokratie ist eine Politik, die sich richtiger Einsicht verweigert,
(Beifall des Abg. Joachim Poß (SPD))
die das tut, was nur Einzelnen nützt, die das Gemeinwohl aber vernachlässigt und die Kritik daran Majestätsbeleidigung nennt. Das darf nicht sein.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Steinmeier, kommen Sie bitte zum Ende.
Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Die Gefahr für unser Land sind nicht die Kritiker, das sind Sie selbst. Machen Sie Schluss mit der Klientelpolitik! Machen Sie Schluss mit der Politik sozialer Spaltung! Kehren Sie auf den Weg der Verantwortung zurück!
Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Volker Kauder (CDU/CSU): Auf Wiedersehen! – Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Und Tschüss!)