Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Röttgen   ihn sehe ich gerade nicht   hat sich vorhin etwas hämisch darüber geäußert, dass Rot-Grün für sich in Anspruch nimmt, im Jahr 2000 mit dem Energiekonsens einen gesellschaftlichen Konflikt befriedet zu haben, der 30 Jahre lang in Deutschland getobt hat   für und gegen Atomkraft. Sie, Herr Röttgen,

(Ulrich Kelber (SPD): Der ist gar nicht mehr da!)

haben ebenso wie Frau Merkel nicht begriffen, dass das erneute Aufreißen dieses Konflikts in der Wirtschaftspolitik zu Attentismus bei den Investitionen, zu Planungsunsicherheit und zu unproduktiven Auseinandersetzungen führt, die die Modernisierung der Energiewirtschaft nicht voranbringen und alles, was richtig ist, verhindern. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD)

Des Pudels Kern ist doch   das ist bereits verschiedentlich gesagt worden; Sie, Herr Röttgen, können noch so wortreich versuchen, das zu verbrämen  , dass es Ihnen einzig und allein darum geht, die Lobbyinteressen weniger zulasten der Allgemeinheit zu bedienen. Verlängerte Restlaufzeiten für abgeschriebene Atommeiler sind eine schöne Sache für die vier großen Energiekonzerne. Das ist die Lizenz zum Gelddrucken für vier Konzerne. Aber genau das behindert Investitionen, die wir für moderne Kraftwerkstechnik und im Bereich der erneuerbaren Energien brauchen. Das ist die Wahrheit. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Sie, Frau Merkel, nehmen für sich in Anspruch, dass Sie die Kämpferin für den Fortschritt seien. Sie leisten dem Fortschritt in Deutschland einen Bärendienst, wenn Sie diesen Konflikt wieder aufreißen und gleichzeitig die Lobbyinteressen von vier großen Konzernen bedienen.

Weil Sie, Herr Brüderle immer so viel von Wettbewerb reden, möchte ich, dass Sie eines zur Kenntnis nehmen: Der jetzige Präsident des Bundeskartellamtes, aber auch die beiden Vorgänger, von denen einer, Herr Heitzer, pikanterweise inzwischen Ihr Staatssekretär ist, haben verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die Verlängerung der Restlaufzeiten für diese vier Konzerne nichts anderes ist, als das Oligopol dieser vier Konzerne dauerhaft zu zementieren. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind ein Minister der Monopole. Das ist die Wahrheit. Ludwig Erhard, den Sie so gern im Munde führen, aber auch Karl Schiller, selbst Otto Graf Lambsdorff, würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, was Sie hier in Deutschland verursachen. Das geht zulasten einer Energiewirtschaft, die Wettbewerb braucht. Das geht zulasten von Stadtwerken, die Sie für eine vernachlässigenswerte Randerscheinung der öffentlichen Hand halten. Die Wahrheit ist, dass die Wettbewerber in diesem Bereich   was ihre Investitionen betrifft   enteignet werden. Ihnen wird ihre Planungssicherheit genommen. Genau das erleben wir in Deutschland.

Herr Brüderle, das Peinlichste fand ich vorhin Ihre Antwort auf Ulrich Kelber. Herr Kelber hat nichts anderes getan als Sie zu fragen, ob Sie noch einmal bestätigen können, was Sie schon auf unsere Kleine Anfrage geantwortet haben, nämlich dass laut dieser Antwort der Bundesregierung Ihr Energiekonzept gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien mit den Laufzeitverlängerungen und Marktsteuerungen die Märkte bei Onshorewindparks um 98 Prozent, bei Photovoltaik um 99 Prozent und bei Biomasse um 100 Prozent zum Zusammenbrechen bringen wird. Und Sie faseln irgendetwas von Ökosteuer. Ich glaube, dass Sie das Thema nicht ganz durchdrungen haben, Herr Brüderle. Das ist ein typischer Brüderle. Sie reden über Äpfel, wenn andere über Birnen reden. Aber das hat mit wirtschaftspolitischem Sachverstand in der Energiepolitik nicht viel zu tun.

(Beifall bei der SPD   Zurufe von der FDP)

Wir haben heute einen Umweltminister erlebt,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP   Zurufe von der CDU/CSU: Der hervorragend war!   Gegenruf des Abg. Christian Lange (Backnang) (SPD): Wo ist der eigentlich? Schon wieder fehlt er! Durch diese Regierung wird das Parlament missachtet!)

der wortreich und durchaus eloquenter als Herr Brüderle   das mag ihm zugestanden sein   versucht hat, seine Niederlage als Minister für Reaktorsicherheit „schönzuquatschen“. Dass das Prinzip von Helmut Kohl, dass die Realität anders ist als die Wirklichkeit, auch das von Herrn Röttgen ist, ist von diesem heute hier vorgeführt worden. Das hat mit der Realität nichts zu tun.

Weil Sie als Christdemokraten auch immer auf die Bibel fixiert sein sollten, sage ich Ihnen: Bei den Sicherheitsthemen   das werden wir nachweisen   haben Sie heute nach dem Motto gehandelt: falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Sie haben beim Thema Sicherheitsstandards in diesem Parlament schlicht und ergreifend gelogen. Das wird Folgen haben, Herr Röttgen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN   Zuruf von der FDP: Unverschämt!)

Wir haben einen Wirtschaftsminister erlebt, der zulasten des Wettbewerbs und der Investitionen in Deutschland, aber zugunsten von vier großen Konzernen Politik macht. Das ist wettbewerbsfeindlich, das ist wirtschaftsfeindlich, und das schadet dem Standort Deutschland und den Arbeitsplätzen

Ich komme aus Niedersachsen. Ich weiß, was dort, wo die Industrie früher geschrumpft ist, in den letzten Jahren an Arbeitsplätzen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz geschaffen worden ist   in Bremerhaven, in Cuxhaven, in meiner Heimatregion, im Stahlbereich, im Bereich des Maschinenbaus und im Handwerk. Weitere 300 000 Arbeitsplätze wären möglich, wenn Sie das durch dieses Energiekonzept nicht kaputt machen würden. Sie vernichten mit diesem Energiekonzept Arbeitsplätze.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Hinsken?

Hubertus Heil (Peine) (SPD):

Sehr gern.   Herr Hinsken, danke für die Verlängerung meiner Redezeit!   Bitte schön.

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Herr Kollege Heil, ich möchte Sie nur fragen: Können Sie mir ein Land auf dieser Welt nennen, das auch einen Beschluss über den Ausstieg aus der Atomenergie gefasst hat, so wie das die rot-grüne Regierung hier einmal gemacht hat? Und sind Sie auch mit mir der Meinung, dass es wichtig ist, darauf zu verweisen, dass es weltweit momentan 439 Kernkraftwerke in Betrieb gibt, allein in Europa 196, und rund um die Bundesrepublik Deutschland zurzeit 14 Kernkraftwerke gebaut und 23 neu geplant werden?

(Zurufe von der SPD: Nein!)

Was sagen Sie dazu? Sind diese Länder nicht so realitätsbewusst wie wir, oder sind sie der Zeit voraus und besser als die rot-grüne Mannschaft, die sich hier findet?

Hubertus Heil (Peine) (SPD):

Lieber Herr Hinsken, ich bin wirklich sehr dankbar für diese Frage, da sie mir die Gelegenheit gibt, mit einem Märchen aufzuräumen, mit dem Sie, offensichtlich ideologisch verblendet, durch die Gegend laufen, nämlich damit, dass weltweit in den nächsten Jahren ein Boom der Atomwirtschaft stattfinden werde. Es werden in den nächsten Jahren weltweit weit mehr Meiler vom Netz gehen, als neue eingeschaltet werden. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN   Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Wo?)

Es ist für uns, die Bundesrepublik Deutschland, eine Chance, dass wir angesichts der Tatsache, dass diese Welt eine gute Energieversorgung braucht, Vorreiter sein können bei erneuerbaren Energien, bei moderner Kraftwerkstechnik. Genau das verhindern Sie. Die Atomkraft ist im Gegensatz zu dem, was Sie erzählen, nicht Motor des Fortschritts, sondern eine Dinosauriertechnologie, die auf dieser Welt nicht mehr zukunftsfähig ist. Das zeigt die Tatsache, dass Kernkraft global nicht ausgebaut, sondern abgebaut wird. Das steht im Gegensatz zu dem, was Sie erzählen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Hinsken, ich sage Ihnen noch etwas: Reden Sie einmal mit den österreichischen Kollegen. In Österreich ist man in die Atomenergie nicht eingestiegen. Dort hat man große Sorgen an dieser Stelle. Reden Sie mit anderen in Europa. Es gibt einige, die aus Verblendung, wie ich finde, noch auf Atomenergie setzen. Die Behauptung, die Atomkraft werde in Europa und auf der Welt ausgebaut, ist ein Märchen; sie stimmt nicht, Herr Hinsken. Das müssten Sie eigentlich wissen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Schweden! Finnland!)

Fahren Sie in die entsprechenden Länder und schauen Sie sich das an! Wollen Sie denn neue Atomkraftwerke in Deutschland bauen? Ich dachte, es geht nur um längere Restlaufzeiten. Der Bau neuer Atomkraftwerke, das ist vielleicht Ihr Ansatz. Danke, dass Sie uns das heute bestätigt haben.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. Letzter Satz, dann ist Schluss.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):

Ich darf zum Schluss sagen: Sie begehen heute offensichtlich einen Verfassungsbruch. Wir werden uns in Karlsruhe wiedersehen. Das Traurige daran ist nur: Wir werden durch diese falsche Politik Zeit für die Modernisierung der deutschen Energiewirtschaft verlieren. Unter anderem deshalb werden Sie bei der nächsten Bundestagswahl verlieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)