In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag zum Haushaltsplan des Auswärtigen Amtes spricht Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, über die Bekämpfung von Fluchtursachen. Annen macht deutlich, dass es in Syrien keine militärische Lösung geben wird und somit nur politische Gespräche als Lösungsmöglichkeit bleiben. In Bezug auf die Ukraine ruft er dazu auf, sich weiterhin für den begonnen politischen Prozess einzusetzen.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren!

Lieber Herr Schmidt, Sie haben,
wie ich denke, zu Recht, die Bekämpfung von Fluchtursachen
angesprochen. Sie haben dabei den Außenminister
angesprochen. Ich kann nur sagen: Die Bekämpfung
der Fluchtursachen ist das Ziel der Bundesregierung.
Ich finde, in der Rede von Frank-Walter Steinmeier ist
sehr deutlich geworden, wie mühsam, wie mühevoll,
wie energieintensiv diese Arbeit ist und dass man einen
langen Atem braucht. Aber dass die Bekämpfung der
Fluchtursachen das zentrale Ziel der Regierungspolitik
ist, steht, glaube ich, außer Zweifel.

Wenden wir uns einmal in Richtung Syrien. Schauen
wir uns an, wie sich die Lage dort darstellt. Natürlich
gibt es in Syrien Regionen, die in den letzten Monaten
und Jahren im Wesentlichen nicht vom Krieg betroffen
waren, in denen heute aber gekämpft wird. Das löst neue
Fluchtbewegungen aus und hat Auswirkungen, und zwar
innerhalb Syriens, aber auch – das erleben wir täglich
in unseren Wahlkreisen – auf die Situation in unserem
Land.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass in dieser Debatte
deutlich geworden ist, dass es Entwicklungen gibt, die
wir nicht unmittelbar beeinflussen können. Dafür brauchen
wir – Stichwort Bekämpfung der Fluchtursachen –
den langen Atem, und den haben wir in dieser Großen
Koalition.

Es gibt aber auch Elemente, die wir direkt beeinflussen
können. Deswegen bin ich froh darüber, dass wir in
diesem Hause darüber reden – denn das ist in der Tat ein
Skandal –, dass die Weltgemeinschaft es nicht schafft,
diese wenigen Milliarden zusammenzukratzen, derer
es bedarf, um die Operationen des Welternährungsprogramms,
des UNHCR und des Palästinensischen Flüchtlingshilfswerks
der Vereinten Nationen auszufinanzieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin in den letzten zwei Jahren mehrfach in diesen
Flüchtlingslagern gewesen. Die Menschen haben sich
nach zwei, drei Jahren Krieg damit abgefunden, dass sie
nicht in wenigen Monaten in ihr Land zurückgehen können.
Diese Hoffnung gab es ja. Auch viele von uns haben
gedacht, dass Assad relativ schnell stürzen würde und
man das Land dann wieder betreten könnte, um sich eine
Existenz aufzubauen. Wenn man mit diesen Familien gesprochen
hat, merkte man, dass sie sich im wahrsten Sinne
des Wortes eingerichtet haben – mit der Hilfe der internationalen
Gemeinschaft, auch mithilfe des deutschen
Steuerzahlers. Heute bekommen sie kein Geld mehr. An
wen sollen sie sich eigentlich wenden? Das ist etwas,
was wir mit beeinflussen können. Das spiegelt sich auch
in diesem Etat wider. Ich finde, das ist die eigentliche
Botschaft: Ja, Deutschland übernimmt Verantwortung.
Finanziell beteiligen wir uns stärker, als wir das eigentlich
müssten, weil das notwendig ist. Deswegen erwartet
dieses Haus – ich denke, das können wir gemeinsam so
festhalten –, dass sich die anderen europäischen Staaten
und weitere Länder an dieser Aufgabe, die bewältigt werden
kann, beteiligen. Auch ich finde, dass sich die reichen
Golfstaaten einmal die Frage stellen sollten, ob sie
diese wenigen Milliarden Euro nicht aufbringen können,
um die Arbeit der Vereinten Nationen auszufinanzieren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten der LINKEN und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als Reaktion auf das Flüchtlingsdrama haben wir in
den letzten Tagen Deklarationen zur Kenntnis genommen,
auch von engen Verbündeten von uns, die angekündigt
haben, sich stärker bzw. erstmals an Luftschlägen
gegen ISIS zu beteiligen. Grundsätzlich bin ich der Meinung,
dass ein größeres Engagement im Rahmen der Anti-IS-Koalition
etwas ist, was man begrüßen muss. Wir
werden diesen Konflikt nicht mit diplomatischen Mitteln
allein lösen können. Allein mit Luftangriffen werden wir
diesen Konflikt aber auch nicht beseitigen können. Ich
bin ein bisschen in Sorge, dass der Eindruck entsteht: Wir
schicken ein paar mehr Flugzeuge, werfen Bomben über
von ISIS kontrolliertem Gebiet ab und leisten damit einen
Beitrag zur Bekämpfung der Fluchtsituation. Das kann
sich sehr schnell als Irrtum herausstellen, auch weil ein
Großteil der Menschen, die zu uns nach Europa kommen
oder in eines der Nachbarländer fliehen, nicht unbedingt
nur vor ISIS fliehen, sondern auch vor den Fassbomben,
die Assad jeden Tag einsetzt, vor den Chemiewaffen, die
er einsetzt, vor der Brutalität seiner Sicherheitskräfte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)

Deswegen brauchen wir am Ende eine politische
Entwicklung, die doch nur dazu führen kann, dass alle
Akteure in Syrien selber, aber auch diejenigen, die dort
direkt und indirekt Einfluss nehmen, die Regionalmächte
Saudi-Arabien und der Iran, aber auch unser Verbündeter,
die Türkei, die dort bestenfalls eine ambivalente Rolle
spielt, Russland und die Vereinigten Staaten und auch
wir hier in der Europäischen Union dafür sorgen, dass
keine dieser Kriegsparteien mehr der Illusion erliegt,
den Konflikt militärisch gewinnen zu können. Solange
irgendjemand das noch glaubt, wird dieser Krieg nicht
enden.

Deswegen bin ich dem Außenminister sehr dankbar,
dass er so energisch und engagiert die Vereinten Nationen
und den Sonderbeauftragten de Mistura dort unterstützt;
denn das ist am Ende die einzige Möglichkeit, die
wir haben. Ich glaube, dafür brauchen wir nicht nur die
Unterstützung dieses Hauses, sondern der gesamten Europäischen
Union und der Weltgemeinschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich am Ende meiner Redezeit noch etwas
zur Ukraine sagen. Auch bei uns, in der Öffentlichkeit
und unserer Mediengesellschaft, ist alles sehr kurzlebig.
Man hat manchmal den Eindruck, es gibt nur noch ein
Thema. Vor wenigen Monaten gab es nur das Thema
„Beziehungen zu Russland und zur Ukraine“. Deswegen
will ich die Gelegenheit nutzen, ohne hier Euphorie verbreiten
zu wollen, noch einmal darauf hinzuweisen, dass
im Gegensatz zu dem, was uns viele aufgeschrieben und
gesagt haben, das Minsker Abkommen weiterhin eine
Grundlage dafür bildet, mit den Konfliktparteien einen
Prozess zu bestreiten, und dass die Diplomatie Erfolge
vorzuweisen hat – nicht die Lösung des Problems, aber
Erfolge vorzuweisen hat: Der Waffenstillstand, der verhandelt
worden ist, wird weitgehend eingehalten. Es ist
unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das so weitergeht.
Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass auch die Unterstützung
für die Kräfte in der Ukraine vernehmlich artikuliert
wird, die sich ja – Kollege Jung hat darauf hingewiesen
– nicht nur einer erbitterten Opposition, sondern
sogar terroristischer Mittel erwehren müssen. Wir müssen
die ukrainische Politik und die Gesellschaft auf diesem
Weg unterstützen. Die Entscheidungen in der Rada
sind ein ganz wichtiger Schritt in diese Richtung. Auch
da, glaube ich, gibt es eine breite Unterstützung in diesem
Hause.

In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit
und freue mich auf die weiteren Beratungen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)