In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS betont Niels Annen, dass es sich bei dem geplanten Einsatz auch und vor allem um ein politisches Signal handelt, in dem der Zusammenhalt mit Frankreich zum Ausdruck kommt.

Vielen Dank, liebe Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten
Damen und Herren!

Ich möchte gerne etwas zu
der politischen Ausgangslage sagen, in der diese Debatte
hier heute stattfindet, insbesondere weil wir unsere französischen
Gäste auf der Tribüne begrüßen dürfen.
Lassen Sie mich, bevor ich zu Syrien komme, feststellen,
dass sich die Europäische Union, unser europäisches
Einigungsprojekt, in einer tiefen, in einer schweren, ja,
möglicherweise sogar in einer existenziellen Krise befindet.
Schauen wir uns einmal um: Es gibt in unserem eigenen
Land, aber auch in Frankreich und anderen wichtigen
europäischen Ländern inzwischen Parteien, die im Kern
antieuropäisch sind; in einigen Ländern sind sie sogar in
der Regierung, in anderen hat sich die Regierung, wie in
Dänemark, von ihnen abhängig gemacht.

(Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir erleben eine neue polnische Regierung, die sich sehr
unsolidarisch, auch zur Flüchtlingsfrage, zu Wort gemeldet
hat. Wir erleben in Ungarn eine rechtspopulistische
Regierung und sogar in Skandinavien.
Deswegen möchte ich auf eines hinweisen: Natürlich
sind all die Fragen, die hier formuliert worden sind, vom
Kollegen Bartsch und anderen Rednerinnen und Rednern,
legitime Fragen. Sie haben auch in unserer Fraktion
eine Rolle gespielt. Ja, wir haben zwei Stunden darüber
diskutiert, auch über rechtliche Fragen und die Frage der
politischen Einschätzung. Es ist gar kein Geheimnis, dass
es auch in unserer Fraktion vermutlich die eine oder andere
Neinstimme geben wird. Das ist Teil der Debatte in
einer lebendigen Demokratie. Ich finde, das ist gut so,
und darauf können wir auch stolz sein.
Nur, meine Damen und Herren, wir müssen doch unsere
eigenen Prinzipien ernst nehmen. Wir müssen doch
unsere eigenen Reden, die wir sonntags halten, auf den
Prüfstand stellen, wenn es darauf ankommt. Was sind die
grundlegenden Prinzipien der europäischen Politik, die
von allen Regierungen dieses Landes in den letzten Jahrzehnten
beachtet worden sind? Die europäische Integration;
dass Deutschland seinen Weg niemals alleine gehen
soll; dass wir uns nicht isolieren dürfen.
Deswegen will ich hier einmal diese Frage stellen:
Wie hätte man denn auf eine Bitte um Unterstützung
unseres wichtigsten Bündnispartners in Europa in einer
solchen Situation reagieren können? Wenn wir da Nein
gesagt hätten, was wäre die Reaktion gewesen? Ich finde
im Übrigen, dass wir schnell entscheiden, ohne parlamentarische
Rechte zu beschränken, ist auch eine politische
Antwort: Wir stehen zu dieser Solidarität, nicht nur
auf dem Papier, sondern auch in der Praxis.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN])

Jetzt will ich etwas zu der Diskussion über unsere Syrien-Politik
sagen: Ich wundere mich manchmal ein wenig.
Wir befinden uns im fünften Jahr dieses Krieges. Der
Außenminister hat es gesagt: Es gibt um die 300 000 Tote
und Millionen von Vertriebenen. Das Land ist zerstört.
Die Infrastruktur dieses Landes, aber auch das, was an
Zivilisation über Jahrtausende in dieser Region entwickelt
und aufgebaut worden ist, gerade auch in Syrien,
ist in weiten Teilen zerstört. Das Vertrauen ist zerstört.
Das ist lange nicht mehr nur ein syrischer Bürgerkrieg.
So schlimm der auch wäre, dafür gäbe es möglicherweise
eine einfachere Lösung. Es ist ein regionaler Krieg.
Deswegen ist es doch absurd, bei der Debatte über ein
begrenztes Mandat der Bundeswehr für einen Einsatz
in Syrien so zu tun, als hätte hier irgendjemand von der
Großen Koalition oder den Vertreterinnen und Vertretern
der Bundesregierung, die hier gesprochen haben, behauptet,
wir würden Ihnen mit diesem Mandat sozusagen
die Blaupause für die Lösung eines Konfliktes, der jetzt
ins fünfte Jahr geht, vorlegen.
Lassen Sie uns offen über die Probleme, die Konfliktlagen,
ja, auch die Tragik in diesem Krieg sprechen
und auch über die Begrenztheit der Möglichkeiten, die
uns zur Verfügung stehen. Niemand hat behauptet, dass
es hier ein Gesamtkonzept gibt; denn wir arbeiten an diesem
Gesamtkonzept, Frau Göring-Eckardt.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Hinterher?)

Deswegen können wir es hier natürlich noch nicht vorlegen.
Was macht denn der Außenminister seit Monaten vor
und hinter den Kulissen?

(Zurufe von der LINKEN)

Er arbeitet daran, dass die regionalen Akteure, die sich
hier – zum Teil auch unsere eigenen Verbündeten; wir
haben ja auch über die Türkei geredet – in einer Art und
Weise verhalten, wie es sich nicht gehört, wenn man den
UN-Prinzipien nachkommen will, an einen Tisch kommen.
Das ist doch die einzige Lösung, die uns für dieses
Problem, für diesen Krieg zur Verfügung steht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN])

Ich bitte sehr darum, hier nicht so zu tun, als wäre das
Mandat, das dem Deutschen Bundestag jetzt vorliegt,
quasi der Einstieg Deutschlands in die Diskussion über
die Lösung des Syrien-Problems. Das ist doch absurd.
Unsere Politik basiert auf drei Säulen, und zwar nicht erst
seit den furchtbaren Anschlägen in Paris. Wir haben mit
dem Haushalt, den wir gerade verabschiedet haben, die
humanitäre Hilfe aufgestockt, um den Menschen in der
Region zu helfen, nicht nur aus humanitären Gründen,
sondern auch, weil es eine eminente politische Aufgabe
ist, dafür zu sorgen, dass die Nachbarländer nicht von
dem Krieg in Syrien weiter in Mitleidenschaft gezogen
werden,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

dass sie nicht weiter destabilisiert werden, was ja ein
Kriegsziel des sogenannten „Islamischen Staates“ ist, um
seinen Machtbereich auszuweiten. Das tun wir.
Wir unterstützen ganz konkret die Akteure in der
Region, im Irak, die in der Lage sind – das haben sie
bewiesen –, sich gegen den sogenannten „Islamischen
Staat“ zu stellen, und zwar auch in einer militärischen
Auseinandersetzung. Deswegen hat der Deutsche Bundestag
beschlossen und unterstützt, dass wir den Kurden
Waffen liefern. Herr Bartsch, eine Frage, glaube ich,
müssen Sie sich selber stellen: Luftschläge – niemand in
diesem Hause unterstützt militärische Mittel leichtfertig.
Ich kenne niemanden.

(Zuruf von der LINKEN: Da bin ich mir nicht
sicher!)

Gerade aus Ihrer Fraktion haben wir hier in der Diskussion
über Syrien immer wieder – ich will auch sagen:
durchaus zu Recht – gehört, dass es die syrischen Kurden
sind, die sich dem IS entgegenstellen. Wir alle waren
froh darüber, dass Kobane befreit worden ist, dass es jetzt
Fortschritte in Sindschar und in vielen anderen Gebieten
gibt. Glauben Sie denn, dass die YPG-Peschmerga in Syrien
diese Erfolge hätten vorweisen können,
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Niemals!)
ohne dass sie ihre militärischen Operationen mit den
Amerikanern, mit der Anti-IS-Koalition abgestimmt hätten,
die mit Luftschlägen dafür gesorgt hat, dass diese
Erfolge möglich gewesen sind?

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Lassen Sie uns unsere eigenen Möglichkeiten richtig
einschätzen. Dieses Mandat wird nicht den Krieg in Syrien
beenden. Wir brauchen die Ausdauer, die Energie
und – ich sage das einmal so – auch die Frustrationsresistenz,
die unser Außenminister hier an den Tag gelegt hat.
Deswegen bleibt der Wiener Prozess im Mittelpunkt der
deutschen Politik; denn nur darum kann es gehen. Wer
den Eindruck vermittelt, dass wir uns von diesem Krieg
abwenden könnten, dass wir sagen könnten, dass wir uns
damit nicht beschäftigen, dass wir uns nicht einmischen,
den möchte ich nur einmal daran erinnern, dass wir wahrscheinlich
in jedem unserer Wahlkreise im Moment die
Folgen dieses Krieges merken. Dazu müssen wir nur
mit den Menschen reden, die zu uns fliehen vor diesem
Krieg, vor den Fassbomben von Assad und vor den Verwerfungen
und Verheerungen dieses Krieges.
Bei allem Verständnis für viele kritische Fragen, die
wir alle miteinander haben und auch formuliert haben:
Lassen Sie uns dieses Mandat unterstützen. Es ist der
richtige Weg in der Solidarität mit Frankreich, aber auch
in der Solidarität mit den Menschen in Syrien. Denn das
sind diejenigen, die am meisten leiden.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)