Swen Schulz (Spandau) (SPD): Die hochschulpolitische Bilanz der Koalition fällt dürftig aus. Mit Hängen und Würgen und auf den letzten Metern hat es die Bundesregierung – gemeinsam mit den Ländern – geschafft, den Hochschulpakt auszuweiten. Das ist gut, aber doch nicht mehr als eine Pflichtaufgabe gewesen. Doch darüber hinaus hat die Koalition fast nichts zuwege gebracht. Abgesehen natürlich vom sogenannten Deutschland- Stipendium, das aber leider in die falsche Richtung geht: Statt Bedürftigen einen Rechtsanspruch auf Unterstützung zu geben, werden hier wenige unabhängig von Bedürftigkeit finanziert.
Die Handlungsverweigerung der Koalition ist angesichts der Herausforderungen im Hochschulbereich nachgerade sträflich. Wie steht es um die Bologna- Hochschulreform in Deutschland?
Grundsätzlich ist zu sagen, dass es richtig war, Europa im Hochschulbereich mit dem Bologna-Prozess durch die Einführung eines gestuften Studiensystems aus Bachelor und Master mit europaweit vergleichbaren Abschlüssen und der Steigerung der Mobilität zusammenwachsen zu lassen. Doch auch nach zehn Jahren gibt es Probleme. Die sind zu einem wesentlichen Teil dadurch entstanden, dass die Hochschulen in Deutschland chronisch unterfinanziert sind. Für den durch den Bologna- Prozess entstandenen Mehrbedarf sind keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt worden, und das hat teilweise zu unvertretbaren Studienbedingungen geführt. Die seit Jahren erfreulicherweise steigenden Studierendenzahlen werden das Problem der Unterfinanzierung noch verstärken.
Unser Antrag greift die wesentlichen Probleme im Hochschulwesen auf und zeigt die Richtung, in die wir nach Regierungsübernahme gehen wollen. Von zentraler Bedeutung ist, die soziale Situation der Studierenden zu
verbessern und damit die Bildungschancen auszuweiten. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, die Hochschulen für alle, die studieren möchten, zu öffnen. Das wollen wir erreichen durch die Verbesserung des BAföG. Bedarfssätze und Freibeträge müssen bedarfsgerecht erhöht und künftig kontinuierlich an steigende Lebenshaltungskosten angepasst werden.
Wir müssen die Lernbedingungen für Menschen mit Behinderung und chronisch Kranke verbessern durch optimierte Studierbarkeit, Beratung und Betreuung sowie entsprechende Infrastruktur.
Mit einem neuen Schüler-BAföG wollen wir mehr jungen Menschen den Weg zur Hochschule ebnen.
Ein Hochschulsozialpakt ist nötig zur Ausweitung eines preiswerten Angebotes an Wohnheimplätzen, an flächendeckenden Kinderbetreuungsangeboten sowie zur Stärkung der Studierendenwerke und ihrer Beratungsund Unterstützungsangebote.
Beruflich Qualifizierten muss der Einstieg in die Hochschulen erleichtert werden durch passgenaue Angebote und durch Anreize im Hochschulpakt mit einer erhöhten Finanzierungssumme für diese Studienanfängerinnen und Studienanfänger.
Strukturierte Vorbereitungskurse in Zusammenarbeit mit Schulen, Bildungsträgern und Betrieben können helfen, die Hochschulen weiter für Menschen zu öffnen, die bislang nicht studieren.
Der Ausbau und die bessere Förderung der berufsbegleitenden Studiengänge sowie die verstärkte Schaffung von Teilzeitstudienangeboten, um insbesondere Studierende, die Angehörige pflegen, Kinder erziehen und mit Erkrankungen leben müssen, zu unterstützen, sind ebenfalls nötig.
Ziel dieser Maßnahmen ist, allen die gleichen Bildungschancen zu geben, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Familie, ihrer individuellen Lebenssituation. Das kann aber natürlich nur erfolgreich sein, wenn ausreichend Studienangebote zur Verfügung stehen. Die Kapazitäten der Hochschulen müssen weiter ausgeweitet und damit die Zulassungsbeschränkungen wie NC zurückgedrängt werden. Dazu muss die Bundesregierung mit den Ländern sofort in Gespräche über die Vereinbarung eines „Hochschulpaktes Plus“ eintreten. Wesentliche Elemente dieses neuen Hochschulpaktes sind die frühzeitige Vereinbarung einer dritten Programmphase bis 2020 zur Abdeckung des Bedarfs entsprechend der aktuellen Studienanfängerprognosen und der Ausbau von Masterstudienplätzen durch ein Sonderprogramm, um sicherzustellen, dass allen interessierten Bachelorabsolventinnen und -absolventen der Weg zum Master offensteht.
Wenn wir über die Hochschullandschaft sprechen, dürfen wir uns nicht nur auf die Universitäten fokussieren. Im Gegenteil sehen wir, wie erfolgreich und wichtig die Fachhochschulen sind. Sie wollen wir weiter stärken durch eine intensivierte Förderung kooperativer Promotionsvorhaben von Fachhochschulen und Universitäten, die Erhöhung des Haushaltstitels „Forschung an Fachhochschulen“ um 20 Millionen Euro pro Jahr und eine stärkere Einbindung und Förderung von an Fachhochschulen aktiven Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
Eine weitere wichtige Herausforderung: die Verbesserung der Lehre an den Hochschulen und die Verbesserung der Grundfinanzierung. Wir wollen das Prinzip „Geld folgt Studierenden“ einführen. Damit werden die Aufwendungen für die Lehre und das Bemühen um Studierende belohnt, und der Bund übernimmt die Kosten für ausländische Studierende.
Wir wollen darüber hinaus einen „Abschlussbonus“, mit dem erfolgreiche Lehre angereizt und unterstützt wird, einführen, eine „Deutsche Gesellschaft für Hochschullehre“,, die innovative Lehrkonzepte finanziell unterstützt, gründen, die Auflage einer Personaloffensive für die Hochschulen mit zunächst 2 500 zusätzlichen Professuren sowie 1 000 zusätzlichen Juniorprofessuren, die Aus- und Weiterbildungsangebote von Lehrenden fördern und zusammen mit den Ländern darauf hinwirken, die Bezahlung von wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verbessern.
Weiterhin ist die Struktur und Studierbarkeit der Studiengänge gemeinsam mit den Ländern und Hochschulen zu verbessern. Zu diesem Zweck soll eine „Nationale Bologna-Konferenz“ auf zunächst fünf Jahre eingerichtet und institutionalisiert werden. Sie soll in Zusammenarbeit aller Akteure von Bund, Ländern, Hochschulen und unter Einbezug der Studierenden eine kritische
Überprüfung der bisherigen Reform vornehmen und Verbesserungen erarbeiten.
Der Bund muss auch bei den Ländern und Hochschulen darauf hinwirken, die Mobilität Studierender zu stärken. Hierbei muss der Fokus auf der europaweiten Angleichung der ECTS-Punkte, der Anerkennung von im Ausland bzw. an anderen Hochschulen erbrachten Leistungen und einer verstärkten Wahlfreiheit von Modulen liegen. Grundsätzlich sind die Chancen einer solchen europaweiten Hochschulreform auch für eine Intensivierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Hochschulen in Europa zu nutzen, um die europäische Bildungsidee, den europäischen Hochschullehrer und den Austausch und die Kooperation der Hochschulen in Studium, Lehre, Forschung und Management zu befördern bis hin zur verstärkten Einrichtung von Europa- Hochschulen.
Und schließlich sind die Zugangsvoraussetzungen zum öffentlichen Dienst an die neue gestufte Studienstruktur anzupassen und der Wertigkeit eines Bachelorabschlusses angemessener als bisher Rechnung zu tragen. Wir wollen das erreichen, indem Bachelorabsolventen bei Vorliegen zusätzlicher, beruflicher Qualifikationen zum höheren öffentlichen Dienst zugelassen werden können. Die dafür bisher geltenden Verfahren sollen einer Evaluation unterzogen und dem Deutschen Bundestag soll im Jahr 2014 ein Bericht vorgelegt werden.
Viele der hier vorgestellten Initiativen sind letztlich nicht möglich, wenn nicht die Kooperation von Bund und Ländern verbessert wird. Eine entsprechende Grundgesetzänderung ist dafür unerlässlich – und zwar nicht die leichtgewichtige Variante der CDU/CSU und FDP, beschränkt auf einige wenige Spitzeninstitute der Wissenschaft. Vielmehr ist eine umfassende Kooperationsermöglichung für den gesamten Bildungsbereich nötig, so, wie sie von der SPD in Bundestag und Bundesrat vorgeschlagen wurde.