In seiner Rede auf dem "Zukunftsforum Kreativpakt" betonte Frank-Walter Steinmeier die wirtschaftliche Bedeutung der Kulturbranche und die notwendigen politischen Weichenstellungen, um ihr Potential weiter zu entwickeln. Bei der Veranstaltung in München regte der Fraktionsvorsitzende eine Debatte über die soziale Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern an. Steinmeier bemängelte den Stillstand in der Fortentwicklung des Urheberrechtes, der aufgrund des digitalen Wandels nun endlich angegangen werden müsse. "Eine Gesellschaft, die Kunst und Kultur nicht wertschätzt, ist sich selbst nichts wert", so Steinmeier.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste!
heute Morgen in aller Herrgottsfrühe habe ich schon dem Bayerischen Rundfunk ein Interview gegeben. In der Anmoderation wurde ich fast vorwurfsvoll als ein Interviewgast angekündigt, der sich verdächtig häufig in Bayern aufhalte.
Nur damit da keine Missverständnisse aufkommen: ich beabsichtige nicht nach Bayern umzuziehen. Aber ich gebe zu: ich bin gern hier, habe inzwischen auch den Starkbieranstich auf dem Nockherberg unfallfrei überstanden! Insoweit unbeschädigt bin ich gern wieder gekommen, um über eine schwierige Zweierkiste zu reden: die Beziehung zwischen Kultur und Politik.
Das weckt Verdacht! Ganz unterschiedlichen! Beim Moderator heute Morgen zum Beispiel den Verdacht, die SPD wolle sich mit ein paar Künstlern einen gemütlichen Nachmittag machen. Ich hätte ja nichts dagegen, wenn das am Ende auch ein schöner Nachmittag wird. Aber schön wird er nicht, wenn er nur gemütlich ist.
Denn es geht um ganz Existenzielles. Etwas, worüber wir eigentlich mit Kunst und Kultur nur ungern reden: Nämlich wie leben von der Kunst? Das war nie leicht, aber wie jetzt in Zeiten des Digitalen?
Eben im Flugzeug habe ich meine Nachbarn wieder alle sitzen gesehen, nur wenige mit FAZ und SZ, viele mit GALA und BUNTE. Darin sehen wir Fotoserien von der Berlinale und der Oscar-Verleihung. Glitzerwelt und teure Roben, hübsche Menschen und faltenfreie Gesichter. Aber das ist schon wieder Vergangenheit!
Jetzt, ein paar Tage später sind die roten Teppiche wieder eingerollt. Die Realität ist zurück und sie besteht für Künstlerinnen und Künstler, auch für die meisten Gäste der After-Show-Parties, eben nicht aus Edelgarderoben, Cocktailparties und Gala-Abenden. Der Glamour kann nicht darüber hinweg täuschen, dass das echte Leben vieler Kulturschaffender eher mit dem Backen kleiner Brote zu tun hat. Die Kreativität wird häufig weniger für die Kunst gebraucht – als vielmehr dafür, am Monatsende irgendwie über die Runden zu kommen. Eigentlich erstaunlich, denn: „Kultur ist nicht die Sahne auf dem Kuchen, sondern die Hefe im Teig“. Das Zitat stammt nicht von mir, sondern von Johannes Rau. Und Recht hatte er! Die Sätze, die danach regelmäßig gesagt werden, kennen Sie alle: über die Bedeutung der Kunst, die Identitätsstiftung durch Kunst, Kunst als Avantgarde, Kultur als Brücke über Zerklüftungen einer inhomogenen Gesellschaft. Das kennen Sie alles. Aber auch Kunst und Kultur als manchmal erschreckend präziser Gradmesser für Stimmungen und Strömungen, die das Politische bald dominieren.
Das ist mir nochmal richtig klar geworden bei der Lektüre des viel gelobten Buches von Florian Illies, „1913“ – der ein oder andere wird es gelesen haben, die anderen sollten es tun, es ist eine faszinierende
Momentaufnahme der Kunst- und Kulturszene im alten Europa und beschreibt gleichzeitig die Atmosphäre eines einzelnen Jahres, 1913 eben, einer Zeit des Übergangs, der fieberhaften Erregung, in dem in gewisser Weise unsere Gegenwart beginnt – auch hier in München, Ort der Avantgarde der modernen Kunst, wo die Mitglieder des Blauen Reiters gerade eine neue Ausstellung vorbereiten, wo Thomas Mann die Arbeit am Zauberberg beginnt - während gleichzeitig Adolf Hitler versucht, seine selbstgemalten Postkarten zu verkaufen. Und das alles gleichzeitig.
Im Rückblick hat sich in der Glaskugel von Kunst und Kultur bereits im Kleinen abgespielt, was im Großen noch passieren sollte: Ob man in die Literatur schaut, in Kunst oder Musik, überall wurden Extreme ausgereizt, eine regelrechte Überspannung hatte die Künstler befallen, Depression und Ekstase wechselten sich ab. Ganz so, als ob sie geahnt hätten, dass bald alles ein Ende haben würde: Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, dem die lebendige Kulturlandschaft, nicht zuletzt aber viele Künstler selbst zum Opfer fielen.
100 Jahre später sind die Zustände weniger apokalyptisch. Aber Gradmesser für Zeitströme, die in die Gesellschaft und die Politik hineinreichen und diese am Ende sogar bestimmen, das sind Kunst und Kultur doch geblieben. Und deshalb wünsche ich mir auch von der Politik manchmal, dass die Würdigung von Kunst über Sonntagsreden hinausgeht – oder, wie Hilmar Hoffmann einmal gesagt hat, dass wir die Künste nicht nur als Zitatenschatz würdigen, dort wo es gut in unsere Reden passt. Und deshalb kann ich mich über die medialen Beifallsstürme für den Aufruf zu einem Kahlschlag bei den Kultursubventionen, wie wir ihn letztes Jahr erlebt haben, nur wundern.
Eine Gesellschaft, die Kunst und Kultur nicht wertschätzt, ist sich selbst nichts wert. Aber zur Wertschätzung gehört nicht nur Wahrnehmung, gehört nicht nur Geld zur Sicherung von Kultureinrichtungen. Zur Wertschätzung, und darum geht es mir vor allem, gehört auch Fairness und Anerkennung gegenüber den Künstlerinnen und Künstlern selbst.
Genau darum geht es nämlich, wenn wir zurzeit so heftig über das Urheberrecht diskutieren. Es geht doch im Kern um nichts anderes als die Frage, ob wir wollen – und garantieren können, dass Künstler und Künstlerinnen von ihren Ideen und Beiträgen zur Kunst leben können.
Ein Stück weit ist das natürlich nichts Neues. Auch 1913 musste Else Lasker-Schüler ihre Freunde um finanzielle Unterstützung bitten, obwohl sie bereits eine Vielzahl ihrer wunderbaren Gedichte veröffentlicht hatte und eine der wichtigsten deutschen Expressionistinnen war.
Und trotzdem: Mit den technologischen Veränderungen, der Digitalisierung und der Verbreitung im Internet ist die Frage des Rechts der Urheber auf ihr Werk 100 Jahre später noch einmal neu gestellt geworden. Und daran ändert auch nichts, dass wir zurecht heute nicht nur von Kunst und Kultur, sondern von Kreativwirtschaft reden. Mit ihren 1 Million Beschäftigten eine Branche, die es locker mit der Chemie- oder anderen Industrien in Deutschland aufnehmen kann. Nur: mit wachsender volkswirtschaftlicher Bedeutung haben die Künstler nicht unbedingt was davon.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das ist keine Verteufelung des Neuen, auch und erst Recht nicht des Internets. Viele Bereiche des Kreativen brauchen das Netz, die neuen Entfaltungsmöglichkeiten, die sich ihnen dort bieten. Freiheit im Netz, die wollen wir – aber gut wäre es, wenn so etwas wie „Freiheit in Verantwortung“ daraus würde. Oder, einfacher gesagt: Das Digitale darf den Künstler nicht fressen. Denn das Leben bleibt analog, hat Monatsanfang und Monatsende, und dazwischen liegen dreißig Tage Alltag, der irgendwie bewältigt werden will.
Deshalb bin ich schon empört darüber, wie die politische Debatte derzeit läuft. Nach ersten Bemühungen, die es vor Jahren ja gegeben hat, damals noch mit Brigitte Zypries als Justizministerin, sind wir jetzt an einem Punkt, wo sich überhaupt nichts mehr bewegt. Gespräche erschöpfen sich im Abliefern von Bekenntnissen. Das ist noch keine Politik, schon gar keine Veränderung!
Aber um die muss es gehen. Wir haben es deshalb versucht, im Rahmen des Projektes, das wir Ihnen heute vorstellen. Wir haben uns zusammengesetzt und versucht, konkrete Lösungen zu finden, die auch tauglich für Gesetzgebung sind. Und die helfen, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber, der Verwerter und der Nutzer zu finden. Immer auf der Grundlage der Überzeugung, dass künstlerische Arbeit auch im Internet bezahlt werden muss.
Konkrete Vorschläge und gesetzliche Maßnahmen sind das eine. Wir müssen darüber hinaus – ohne das wird es nicht gehen – auch einiges an Überzeugungsarbeit leisten, gerade gegenüber jungen Menschen. Wir müssen am Ende wieder begreiflich machen, dass Kunst und fremde Ideen, nur weil sie im Internet sind, nichts ist, worauf jeder kostenlos und automatisch Anspruch hat. Dass nicht nur das Smartphone Geld kostet, sondern auch das, was auf dem Smartphone drauf ist, der Content, die Kunst.
Und deshalb scheue ich mich auch nicht, ein Wort über die Verwertungsgesellschaften zu verlieren – wissend, dass die allgemein noch unpopulärer sind. Da tut sich ja auch ein generationeller Konflikt auf. Ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben. Aber wenn ich mit meiner Tochter rede, und sie gerade ein YouTube-Video nicht sehen konnte, und den Hinweis gelesen hat, daran ist die GEMA Schuld – dann ist es schon schwer, da für Verständnis zu werben. Für Verständnis dafür, dass die Verwertungsgesellschaften nicht in erster Linie etwas wegnehmen. Sondern dass sie vor allen Dingen die Künstler schützen, dass auch mit ihrer Hilfe Leben in und von der Kunst möglich wird. Die Vielfalt von Kunst, die wir in unserem Alltag als so selbstverständlich empfinden, wird am Ende davon abhängen, dass uns diese Überzeugungsarbeit gelingt.
Vergütung ist der eine Aspekt, wenn ich über Wertschätzung rede. Soziale Absicherung ist ein anderer. Da geht’s den Künstlern und Kreativen unterschiedlich. Aber vieles passt auch da nicht mehr zusammen. Anders gesagt: Da stößt ein dynamischer Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts auf ein soziales Sicherungssystem des 19. Jahrhunderts. Da ist es fast zwangsläufig, dass viele durch den Rost fallen. Ja, wir haben eine Künstlersozialkasse viele Sozialdemokraten haben daran mitgewirkt, dass das funktioniert. Aber nur der Blick zurück reicht nicht, auf den Lorbeeren der Vergangenheit darf man sich nicht ausruhen. Die KSK ist notwendig, aber kein Ruhekissen. Wenn Künstler auch in zehn Jahren noch sagen sollen: „Das mit der Künstlersozialkasse war eine gute Idee, das trägt“, dann müssen wir uns jetzt möglichst miteinander daranmachen, diese Künstlersozialkasse zukunftsfest zu machen.
Und wenn’s nur das wäre, das ist ja schon schwer genug: Die Sozialminister, Finanzminister und alle Beteiligten unter einen Hut zu bringen. Aber in Wahrheit ist es ja noch komplexer. Die KSK allein löst nicht alle Probleme. Und sie darf auch nicht zum Notnagel werden für alle, die irgendwie in der Kreativwirtschaft Beschäftigung finden.
Es geht deshalb auch darum das ist nicht einfacher, vielleicht sogar noch schwieriger , die klassischen Sozialversicherungssysteme auf die Höhe der Zeit zu bringen. Wir sehen, dass gerade in der Kreativwirtschaft viele unterwegs sind, die nicht langjährig ohne Unterbrechungen tätig sind, die zwischen abhängiger und selbständiger Beschäftigung wechseln, die nicht jeden Tag von 9 Uhr bis 5 arbeiten.
Da muss es uns gelingen, dass auch ihre Realität sich ein bisschen mehr widerspiegelt findet in den Sozialsystemen. Ein Beispiel: Heute rutscht gut ein Viertel von denen, die aus der Kreativwirtschaft heraus arbeitslos werden, direkt in die Grundsicherung. Das heißt, den Zwischenschritt Arbeitslosenversicherung gibt es für viele nicht, weil sie die notwendigen Anwartschaften nicht erreicht haben. Wir brauchen deshalb die Ausweitung der sogenannten Rahmenfrist auf drei Jahre, damit auch Künstler und Kreative die entsprechenden Anwartschaften erreichen können.
Vielleicht, meine Damen und Herren, finden Sie das Aufsummieren der Defizite und Lücken etwas übertrieben. Aber es geht nicht ums Lamentieren. Und keine Frage: Die Chancen und Potentiale von Kreativwirtschaft und Digitalisierung sind riesig. Viele Künstler wollen gerade diese Freiheit; viele neue Jobs werden geschaffen, Innovationen und Kunstwerke. darum geht’s, das müssen wir fördern.
Aber gerade Sozialdemokraten haben die Verantwortung, auch hinzuschauen auf die tatsächliche Lage von denen, die kreativ arbeiten- auch darauf, wie es vielleicht aussieht, wenn der große Erfolg vorüber ist, ob Vorsorge getroffen werden kann für die Krisenfälle des Lebens.
Sie haben vielleicht einen Eindruck davon bekommen, wie schwierig all diese Fragen zu beantworten sind. Und wie viel schwieriger, wenn man sie nur in der politischen Binnendiskussion, in einer Partei oder den Ausschüssen im Bundestag, behandelt. Wir haben uns zusammengesetzt mit denen, die all diese Veränderungen jeden Tag in ihrem Alltag erleben. Mit Musikern, Produzenten, Regisseuren und vielen anderen. Wir haben gesagt: Jammern hilft nix. Lasst uns mal aufschreiben, wo die Defizite sind. Und lasst uns dann gucken, wie wir da mit Gesetzen etwas bewirken können. So ist dann die Idee eines Kreativpakts entstanden, als echtes Bündnis von Kultur, Wirtschaft und Politik.
Und die Stimmen, die zuerst gesagt haben: Ein bisschen spinnert! und die anderen, die gesagt haben: ein bisschen zu ambitioniert! – die hatten Recht! Aber sie sind doch leiser geworden. Denn in der anspruchsvollen Perspektive auf dem Weg dahin sind uns am Ende ein paar gute Sachen eingefallen. Vieles davon ist inzwischen in parlamentarische Anträge gegossen worden, vieles wird in unserem Wahlprogramm stehen. Einen herzlichen Dank an Siggi Ehrmann und Lars Klingbeil, meine Kollegen aus der Bundestagsfraktion, die sich darum gekümmert haben, die verschiedenen Vorschläge auch wirklich in politische Sprache runterzubrechen.
Ich glaube, es hat sich gelohnt. Es hat sich gelohnt, dass wir ein Stück weit aus dem Rituellen der Kulturpolitik ausgebrochen sind. Es ging uns nicht um die Verteilung von Goodies. Es ging nicht um 1 Million Euro mehr für den Film oder 1 Million Euro mehr für den Tanz. Aber dafür ist das, was wir aufgeschrieben haben, mehr als eine Ansammlung von Ankündigungen. Das ist ein Programm. Wer das Geschäft kennt, der weiß: Der Weg in eine bessere Zukunft von Kunst und Kultur liegt abseits der roten Teppiche. Er wird uns durch viel Unbekanntes und durch so manches gesetzgeberische Unterholz führen. Aber lassen Sie uns die Kreativität und den Optimismus der Kultur zum Vorbild nehmen für die Politik. Wir wollen eine Neuaufstellung der Politik für Kultur und Kreativwirtschaft. Wir wollen, dass Kreative weiter „Glaskugel“ und Gradmesser sein können. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wir laden Sie herzlich ein, mitzureden, mitzudenken, jetzt gleich hier und darüber hinaus.
Herzlichen Dank!