Die Attraktivitätsoffensive ist für die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr von enormer Bedeutung. Das Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz, über das wir heute beraten, ist ein zentraler und auch ein wichtiger Baustein in dieser Offensive, aber auch nicht der letzte und einzige. Die Verbesserungen im Zulagewesen und bei der Besoldung, bei den Dienstzeitregelungen und im Versorgungsrecht sind absolut zu begrüßen. Das wurde heute eigentlich von allen verdeutlicht. Aber die Attraktivität hört da noch lange nicht auf. Wir haben in den letzten Monaten auch einiges von Flachbildschirmen, W-LAN und Kühlschränken gehört. Von einigen „Eisblockwärmern“ wurden diese Vorschläge zwar belächelt, dennoch sind auch das sinnvolle Maßnahmen, wenn wir im Konkurrenzkampf um die besten Köpfe bestehen wollen. Aber eines muss man hier auch unterstreichen: Das alles ist nichts wert, wenn einem gleichzeitig die Bude unter den Füßen wegschimmelt. Im Jahresbericht des Wehrbeauftragten nimmt der Zustand vieler Kasernen erneut eine zentrale Stelle ein. Kein Wunder; denn fast die Hälfte der Unterkünfte gilt als marode. Beinahe jede zehnte Kaserne gilt als unbewohnbar. Meinen herzlichen Dank für diesen schonungslosen Bericht, lieber Herr Königshaus, er hilft auch uns in der Politik sehr weiter. Wenn es schon am Fundament bröckelt, dann muss man deutlich mehr für die Attraktivität machen, als nur die Fassaden zu streichen. Gerade in Westdeutschland schieben wir einen enormen Sanierungsstau vor uns her. Das konnte ich bei meiner Sommertour selbst an vielen Bundeswehrstandorten beobachten.
Ein konkretes Beispiel bildet dabei die General-Sponeck-Kaserne in Germersheim, eine Kaserne mit den besten Voraussetzungen dafür, ein Paradebeispiel für eine attraktive Bundeswehr zu sein – und das nicht nur, weil sie im schönsten Wahlkreis der Republik liegt. Zustimmung vom Kollegen Lindner, vollkommen zu Recht. Die General-Sponeck-Kaserne beherbergt das mittlerweile einzige Ausbildungsbataillon unserer Luftwaffe und gilt als deren Visitenkarte; denn dort werden die Soldatinnen und Soldaten der Luftwaffe auf Auslandseinsätze vorbereitet. Eine tolle Truppe und ein motivierter Kommandeur leisten vor Ort eine Spitzenarbeit. Aber auch dieses Aushängeschild hat mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie viele andere Kasernen auch: marode Gebäude, Baumängel und enorme Verzögerungen bei den Sanierungsmaßnahmen. Um den einfachen Antworten gleich einmal eines entgegenzuhalten: Am Geld allein liegt das nicht. 61 Millionen Euro an Bundesmitteln stehen für die Baumaß- nahmen bereit, weitere 4 Millionen Euro für kleinere Baumaßnahmen. Aber die Umsetzung geht nur schleppend voran. Woran liegt das? Für den Neubau müssen einige Gebäude abgerissen werden. Dort waren aber bis vor kurzem noch Soldatinnen und Soldaten untergebracht. Der Bau eines Wohngebäudes, das übergangsweise als Ausweichquartier dienen sollte, hat sich jedoch massiv verzögert und konnte erst jetzt, nach fast fünf Jahren Bauzeit, übergeben werden. Fünf Jahre, liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich zwei Baufirmen sind in dieser Zeit bankrottgegangen. Alle Folgeprojekte haben sich entsprechend mit verzögert und aufgestaut. Wie auch bei den vielen Mängeln in der Rüstung lässt sich also auch hier feststellen: Es fehlt nicht unbedingt am Geld, sondern an verlässlicher Planung und gutem Management. Wer genau wann wo was verbockt hat, halte ich dabei erst einmal für zweitrangig. Die Truppe interessiert sich nämlich nicht dafür, wer gerade wem den Schwarzen Peter zusteckt. Sie wollen, dass ihre maroden Kasernen endlich saniert werden.
Auf unsere Initiative hin haben wir deshalb im letzten Haushalt beschlossen, dass das Verteidigungsministerium dem Parlament jährlich Fortschrittsberichte über die Sanierung der einzelnen Liegenschaften zu übersenden hat. Darauf werden wir jetzt auch pochen. Wir brauchen nämlich keinen blinden Aktionismus, sondern verlässliche Analysen als Grundlage einer besseren Planung. Wir brauchen mehr Transparenz, aber auch Planungssicherheit. Dazu ist eine engere Abstimmung mit den zuständigen Baubehörden der Bundesländer nötig. Darüber hinaus braucht es weitere konkrete Maßnahmen. Ein zentrales Projektcontrolling soll Risikomanagement, Terminplanung und Kostenkontrolle vereinen. Die einzelnen Verfahren sollten transparenter und einfacher gemacht werden. Ich meine, Bürokratieabbau könnte gerade in diesem Bereich einiges erleichtern. Mir leuchtet beispielsweise nicht ein, warum Kleinstaufträge nicht auch unkompliziert von der Truppe vor Ort bearbeitet werden können. Gerade die kleinen und kleinsten Aufträge müssen besser gebündelt werden, damit es an zentralen Stellen der Planungsverfahren nicht zu Verstopfungen kommt. Punktuell sind auch personelle Verstärkungen zu prüfen. Das gilt sowohl für die Landesbaubehörden als auch im militärischen Infrastrukturbereich auf Bundesebene.
Der in der letzten Legislaturperiode beschlossene Abbau von Personal im Zuge der Neuausrichtung machte sich gerade im Sanierungsstau bemerkbar, und darunter leiden am Ende alle. Deshalb möchte ich an dieser Stelle unsere Aufforderung aus dem Haushaltsantrag an das Ministerium erneuern: Erhöhen Sie die Stehzeiten für die Infrastrukturoffiziere vor Ort. Denn nur, wo eine echte Baubegleitung der Maßnahmen möglich ist, kann am Ende auch effektiv gebaut werden. Wir brauchen gleichzeitig in den zentralen Bereichen zusätzliches Personal für die Infrastrukturbearbeitung; denn nur so kann der unsägliche Sanierungsstau abgebaut und aufgelöst werden. „Überbelegung von Stuben, Rost- und Schimmelbefall, Kloakengeruch und im Winter defekte Heizkörper in Sanitärbereichen“, diese Punkte bezeichnet der Jahresbericht 2014 des Wehrbeauftragten als exemplarisch für die vernachlässigte Infrastruktur. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gleicht kein noch so großer Flachbildschirm aus.
Wenn wir also über die Attraktivität der Bundeswehr sprechen, dann sind wir mit dem heutigen Gesetz noch lange nicht am Ziel. Es ist noch ein langer Weg, ein Weg, den wir aber gehen müssen. Wir schicken unsere Soldatinnen und Soldaten in gefährliche Einsätze, bei denen sie nicht weniger riskieren als ihr Leben. Es liegt in unserer Verantwortung, dass sie ordentlich vorbereitet, ausgerüstet und versorgt werden. Es liegt in unserer Verantwortung, dass sie hier bei uns in ordentlichen und modernen Unterkünften untergebracht werden. Wenn wir diese Verantwortung nicht ernst nehmen, müssen wir über mehr Verantwortung in der Welt gar nicht erst reden. Sei es bei der Ausrüstung, sei es bei den Kasernen, sei es bei den Themen, die wir nun mit dem Attraktivitätsgesetz konkret anpacken – ich ermutige uns alle: Lassen wir uns nicht von etwas Spott und Häme über Wohlfühltruppen und Waldorfkasernen davon abbringen. Denn dafür ist dieses Thema viel zu wichtig.
Vielen Dank.