Russland und Deutschland sind durch zahlreiche gemeinsame Erfahrungen und Traditionen eng miteinander verbunden. Darauf aufbauend wächst mehr und mehr die Erkenntnis, dass die gesellschaftlichen Verflechtungen und die vorherrschenden Konflikte in unseren Nachbarregionen nur gemeinsam beantwortet werden können. Hierfür dient die Modernisierungspartnerschaft. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in ihrem Antrag 15 Forderungen an die Bundesregierung zusammengefasst, wie diese zu fortzuschreiben ist.

Im vergangenen Jahr haben wir 20 Jahre deutsche Einheit gefeiert. Dieses Jubiläum hat uns an die „friedliche Revolution“ des Jahres 1989 und an die Wiedervereinigung Deutschlands in vielen würdevollen Veranstaltungen erinnert. Dieses Resultat der Wiedervereinigung ist natürlich zuallererst den Menschen zu verdanken, die sich mit ihrer ganzen Kraft friedlich für Freiheit und Demokratie mit einer Vielzahl von Aktivitäten damals in den verschiedensten Bürgerbewegungen eingesetzt haben. Aber sie ist auch das Ergebnis eines historischen Prozesses, den die Bundesregierungen unter Bundeskanzler Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl maßgeblich mit gestaltet und beeinflusst haben.

 

Unstrittig ist es, so glaube ich unter uns, dass ohne die Westalliierten, aber eben doch noch stärker ohne die Zustimmung Russlands, diese Einheit nicht zustande gekommen wäre. Und ebenso unstrittig ist es, glaube ich, dass die Weiterentwicklung der europäischen Einigung ohne die positive Haltung Russlands nicht vorstellbar ist. Und auch die Bewältigung unserer gemeinsamen Herausforderungen in Europa ist ohne Russland nicht vorstellbar.

 

Es geht um die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, es geht um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, die Bekämpfung von Drogen- und Menschenhandel. Es geht um eine sichere und nachhaltige Energieversorgung, es geht um den Schutz unserer Umwelt und um wirksame politische Entscheidungen und Maßnahmen zum Klimawandel. Kurzum, es geht um Sicherheit, Frieden und eine nachhaltige Entwicklung in unserem gemeinsamen Arbeits- und Lebensbereich auf der Erdkugel.

 

Russland und Deutschland sind durch zahlreiche gemeinsame Erfahrungen und Traditionen eng miteinander verbunden. Da sind die schrecklichen Kriege auf unserem Kontinent. Da sind aber auch die bedeutenden Abschnitte und gemeinsam eingeschlagenen Wege zu einem geeinten und friedlichen Europa. Und darauf aufbauend wächst mehr und mehr die Erkenntnis, dass die gesellschaftlichen Verflechtungen und die vorherrschenden Konflikte in unseren Nachbarregionen nur gemeinsam beantwortet werden können.

 

Wer Sicherheit und Stabilität in Europa will, der muss dafür arbeiten, dass es konstruktive und kooperative Beziehungen zu Russland gibt. Im Rahmen der „strategischen Partnerschaft“, die von Deutschland und der EU angestrebt wird, steht daher die gemeinsame Lösung globaler Fragen und die Zusammenarbeit auf allen Feldern von Politik, Recht, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft ebenso wie die friedliche Bewältigung regionaler Krisen und Konflikte im Zentrum.

 

Auch Russland selbst steht vor großen Herausforderungen.

 

Präsident Dmitrij Medwedjew hat dies erkannt. Seit Beginn seiner nun knapp zwei Jahre bestehenden Amtszeit hat er neue Markierungen in der Innen- und Außenpolitik dargestellt. Bereits im November 2008 hat er ein umfassendes und ambitioniertes Programm innerer Reformen präsentiert. Die Bürokratie stand dabei im Mittelpunkt seiner Kritik. Wie ein Hemmschuh wirke sie, wenn es auf effektiven Wandel in Staat und Gesellschaft ankäme. Freiheiten des Einzelnen und autonomes Handeln würden massiv eingeschränkt werden und behinderten damit die künftige Innovations- und Entwicklungsfähigkeit Russlands. Er kündigte eine Kampagne zur Korruptionsbekämpfung und gegen „Rechtsnihilismus“ an. Als seine politischen Schwerpunkte nannte er die Reform der russischen Justiz sowie der Verwaltung und die Durchsetzung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit.

 

Schon davor im Juni 2008 suchte der russische Präsident die Unterstützung Westeuropas und der USA für seine Reformen. Hier, in unserer Hauptstadt, machte er den Vorschlag für Gespräche über eine neue „Europäische Sicherheitsordnung“. Diese mündeten schließlich in eine Debatte über die Reform der OSZE. Im weiteren Verlauf der politischen Entwicklungen legte der russische Präsident schließlich im November 2009 einen Textvorschlag für einen „Europäischen Sicherheitsvertrag“ vor. Neben der Bekräftigung völkerrechtlicher Grundprinzipien der UN-Charta und der KSZE-Charta von Paris enthält der Vorschlag einige Ideen für Konsultationsverfahren in Krisensituationen. Wir sollten ihn als Einladung für zielgerichtete Verhandlungen über effektivere Formen kooperativer Sicherheit in Europa verstehen und dies auch so zu praktischem Handeln bringen.

 

Beim ersten Gipfeltreffen von US-Präsident Obama und dem russischen Präsidenten Medwedjew wurde deutlich, dass die amerikanische Regierung nach einem konstruktiven Neuanfang in den bilateralen Beziehungen sucht.

 

In London wurde im April 2009 neben den gemeinsamen Aktivitäten zur Bewältigung der internationalen Finanzkrise im Rahmen der G 20 eine anspruchsvolle Agenda für nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle vereinbart. Und im Sommer 2009 folgte in Moskau die Festlegung von Parametern eines START-I-Nachfolgeabkommens. Leider war es trotz engagierter Bemühungen nicht möglich, ein Folgeabkommen vor dem Auslaufen des Vertrages Ende 2009 zu vereinbaren. Aktuelle Auseinandersetzungen über die Raketenabwehr stellen sogar eine Unterzeichnung vor Beginn der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages, NVV, im Mai 2010 infrage. Und dennoch bildet die beschriebene Entwicklung eine gute Basis für die Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland, der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika. Seit langem drängt die EU auf einen qualitativen Ausbau der Zusammenarbeit mit Russland. Vier „Gemeinsame Räume“ sollen geschaffen werden: Wirtschaft; äußere Sicherheit; Recht und innere Sicherheit sowie Forschung, Bildung, Kultur. Seit Herbst 2008 wird wieder über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen verhandelt.

 

Bereits kurz nachdem Medwedjew Anfang 2008 deutlich gemacht hatte, wie wichtig ihm die Stärkung des Rechtsstaates, die Verwaltungsreform, die Unterstützung wirtschaftlicher Entwicklung und umfassende Bildungsinitiativen sind, hat der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit dem Angebot einer umfassenden „Modernisierungspartnerschaft“ geantwortet.

 

Wenn Russland die bestehenden und künftigen Herausforderungen bewältigen will, muss der Staat seine wirtschaftliche, soziale und politische Leistungsfähigkeit steigern.

 

Da werden in verschiedenen Themenfeldern weitere ermutigende Fortschritte gemacht. So legte Medwedjew im April 2009 einen Vorschlag für eine potentiell weltweit anwendbare Energiecharta vor. Bezüge zu der von der EU und den USA favorisierten Europäischen Energiecharta, die die russische Vorgängerregierung noch ablehnte, sind klar erkennbar.

 

Nach der Wahl von Wiktor Janukowitsch zum Präsidenten der Ukraine steht nun ein Plan zur Bildung eines trilateralen Konsortiums zur Leitung und Modernisierung des ukrainischen Gastransportwesens auf der Tagesordnung. Wenn es gelingt, eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen Russland, der Ukraine und der EU in diesem zentralen Sektor zu etablieren, wäre dies ein wichtiger Pfeiler der europäischen Sicherheit.

 

In der russischen Innenpolitik ist ebenfalls einiges in Gang gekommen, das bereits in verschiedenen Bereichen zu ersten positiven Veränderungen geführt hat. Dazu gehören die von Medwedjew veranlasste Überprüfung der Strafgesetze gegen Spionage sowie der Mediengesetze. Und ebenso die Ratifizierung des Zusatzprotokolls 14 zur Europäischen Menschenrechtskonvention durch Duma und Präsident am 15. Januar 2010.

 

Im letzten Monat haben Wissenschaftler aus dem, dem Präsidenten nahestehenden „Institut für moderne Entwicklung“ INSOR, eine Studie mit dem Titel „Russland im 21. Jahrhundert - eine Vision für die Zukunft“ vorgestellt. In Berlin erfolgte dies bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. In Russland ist über diese Studie bereits eine kontroverse innenpolitische Debatte entstanden, denn die Autoren unter Leitung des Direktors Igor Jürgens werben darin für grundlegende Reformen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: unter anderem für die Zulassung echter politischer Konkurrenz, Wahlrechtsreformen, Direktwahl der Gouverneure, Entbürokratisierung der Wirtschaft und eine Umstrukturierung und Dezentralisierung der Sicherheitsorgane einschließlich der Auflösung des Innenministeriums und des Geheimdienstes FSB in seiner heutigen Form. Außenpolitisch wird gar die russische Mitgliedschaft in NATO sowie EU ins Auge gefasst.

 

Deutschland hat ein großes Interesse am Gelingen der inneren Reformen in Russland und an einer vertrauensvollen Kooperation. Wir sind in vielen außenpolitischen Fragen sowie vor allem bei der Bewältigung der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Zusammenarbeit mit Russland angewiesen. Die Regulierung der internationalen Finanzmärkte, wie sie im Rahmen der G-20-Verhandlungen betrieben wird, spielt dabei ebenso eine Rolle wie die innere Stabilisierung in Russland. Deshalb fordert die SPD eine umfassende Modernisierungspartnerschaft mit Russland. Sie wird gleichzeitig ein Prüfstein für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, GASP, der Europäischen Union sein. Darum ist auch eine EU-Ostpolitik „aus einem Guss“ notwendig, in der die Initiativen „östliche Partnerschaft“ und die Schwarzmeer-Synergie sowie die Ostsee- und Zentralasienstrategie abgestimmt sind.

 

Vor diesem Hintergrund hat die SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag zur Modernisierungspartnerschaft mit Russland 15 Forderungen an die Bundesregierung zusammengefasst. Sie erstrecken sich von der Aufforderung, im Rahmen von EU, NATO und OSZE Initiativen für eine ernsthafte Debatte und eine gemeinsame Stellungnahme zum Vorschlag des russischen Präsidenten für einen „Europäischen Sicherheitsvertrag“ vom November 2009 zu ergreifen, über die Auseinandersetzung mit dem russischen Vorschlag für eine weltweite Energiecharta vom April 2009, der Reform der OSZE, der Intensivierung der Arbeiten im NATO-Russland-Rat, dem Drängen nach Unterzeichnung des START-I-Nachfolgeabkommens sowie der Aufforderung zur Werbung für eine kooperative und vertragsgestützte Lösung bei der Errichtung eines Raketenabwehrsystems in Europa und die Begrenzung solcher Systeme auf globaler Ebene, verschiedener vertrauensbildender politischer Verträge im militärischen Bereich bis hin zu Forderungen, die den wirtschaftlichen Bereich und die Ratifizierung des 6. Protokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Verbot der Todesstrafe durch Russland betreffen.

 

Alles berechtigte Forderungen für den Aufbau einer umfassenden Modernisierungspartnerschaft mit Russland, die gerade für uns Deutsche von einem zentralen Interesse sein muss. Ein stabiles Russland wird letztendlich auch ein Partner für unser Land und die EU sein, der sich durch Zuverlässigkeit und Verantwortung für Sicherheit und Stabilität in Europa auszeichnet. Deshalb bitte ich um Unterstützung für unseren Antrag.