Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wenn heute die beiden vorgelegten Gesetzentwürfe hier im Hohen Haus eine große und breite Mehrheit finden, dann ist das in erster Linie natürlich eine Zustimmung zur Organspende, aber auch ein eindeutiges Ja dieses Deutschen Bundestages zu Mitmenschlichkeit und Solidarität.
Daran, dass das möglich geworden ist, haben ganz viele Anteil, diejenigen, die hier debattiert haben, diejenigen, die die Gesetzentwürfe vorbereitet haben, und diejenigen, die von außen geholfen und geschoben haben, dass es zu Gesetzentwürfen und zu Abstimmungen kommt. Deshalb zuvörderst mein ganz herzliches Dankeschön, dass das möglich geworden ist.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Worum es geht – Kollege Kauder hat es eben gesagt –, ist im Grunde genommen nicht mehr und nicht weniger, als Hilfe zu organisieren für Todkranke, die ohne eine Organspende nicht überleben können. Da können natürlich – das wissen Sie alle; da sind unsere Möglichkeiten beschränkt – Gesetzgebung und Recht immer nur ein Beitrag sein. Den größeren Beitrag liefern ganz ohne Zweifel Wissenschaft, Medizin und Pflege in den Krankenhäusern. Aber Gesetzgebung und Recht können klären, Zweifel ausräumen und Richtung geben. Ich glaube, dabei sind wir mit diesen beiden Gesetzentwürfen jetzt ein großes Stück weitergekommen.
Dass es in der Vergangenheit Probleme gab, wird in allen Fraktionen so gesehen. Vor 15 Jahren, im Juni 1997, hat der Deutsche Bundestag – auch damals gab es eine intensive Debatte in der Öffentlichkeit und hier im Bundestag – das Transplantationsgesetz beschlossen, übrigens auch damals in einer fraktionsübergreifenden Initiative. Das war ein erster Schritt, um Rechtssicherheit zu schaffen. Aber wir wissen, dass das Gesetz, das damals auf den Weg gebracht worden ist, nicht alle Erwartungen erfüllt hat. Wenn wir so viel Leid wie möglich lindern möchten, wenn wir so vielen Menschen wie möglich helfen wollen, auch mit neuen Organen, dann müssen wir nachbessern, und dazu bieten die beiden Gesetzentwürfe eine Grundlage.
Eine konkrete Verbesserung, über die wir vielleicht in der Öffentlichkeit nicht so sehr gesprochen haben, aber die ich für ganz entscheidend halte, ist zum Beispiel die verpflichtende Bestellung von Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern, die die Abläufe optimieren. Das ist ganz wichtig.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Eine zweite ganz wichtige Verbesserung, über die in der Öffentlichkeit auch weniger bekannt ist, ist die Verbesserung der Situation der Lebendspender. Ich habe in den letzten Monaten und anderthalb Jahren viele Briefe mit teilweise haar-sträubenden Geschichten erhalten, wie Lebendspender entweder von ihren Arbeitgebern oder von ihren Krankenkassen im Regen stehen gelassen wurden. Dass das jetzt bereinigt wird und hoffentlich in den allermeisten Fällen ein Ende findet, dazu leisten die Gesetzentwürfe einen guten Beitrag. Auch dafür Dankeschön.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ein weiterer Punkt ist – darüber haben wir mehr geredet, auch in der Öffentlichkeit – unsere Suche danach, wie wir die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland erhöhen können. Eigentlich ist die Bereitschaft – das haben wir uns gegenseitig oft genug versichert – gar nicht das entscheidende Problem. Wenn gefragt wird, dann sind die Menschen prinzipiell bereit, Organe zur Verfügung zu stellen. Es hapert immer dann, wenn es konkret wird, wenn die Menschen losgehen und sich einen Organspendeausweis besorgen müssen, wenn sie diesen ausfüllen und möglichst so bereithalten müssen, dass man ihn auch wiederfindet. Genau da setzt die Idee an, die wir in dem Gesetzgebungsvorhaben verfolgt haben, nämlich die Idee der Entscheidungslösung: Es sollen sich auf Grundlage dieses Gesetzes mehr Menschen vor dem eigenen Tod entscheiden, ob sie nach ihrem Tod Organspender sein möchten oder nicht.
Wir wollen – das habe ich einmal Herrn Kollegen Kauder in einer der Debatten gesagt – den Menschen tatsächlich – das darf man auch nicht bestreiten – etwas mehr auf die Pelle rücken, indem wir fragen und nachfragen.
Das leisten viele Initiativen schon heute. Sie machen eine tolle Aufklärungsarbeit, werben für die Organspende. Mit dem vorliegenden Gruppenantrag, den Sie alle gesehen und diskutiert haben, nehmen jetzt wir, der Gesetzgeber, der Deutsche Bundestag, unseren Teil der Verantwortung wahr. Wir sagen damit klipp und klar: Es ist auch unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Menschen sich mit der Frage der Organspende tatsächlich auseinandersetzen.
Was dieser Gesetzentwurf anbietet, was wir darin verankert haben, das ist zunächst einmal eine Art zusätzliche Serviceleistung. Krankenkassen werden sich darum kümmern, dass die Organspendeausweise zu den Menschen kommen. Wenn die Menschen das wünschen, werden die Krankenkassen sogar deren Entscheidung dokumentieren. Das heißt, dass man sich als Einzelner darum nicht mehr kümmern muss. Bevor die Debatte hier wieder losgeht: Das ist das Angebot einer Serviceleistung. Niemand wird verpflichtet und niemand wird gezwungen, seine Entscheidung durch die Krankenkasse dokumentieren zu lassen. Wir schaffen eine Möglichkeit. Mindestens das ist aus meiner Sicht dringend notwendig.
(Beifall im ganzen Hause)
Ich finde, manche Debatte über die Frage, ob der Staat den Menschen eigentlich bedrängen darf, ob er ihn zu einer Entscheidung drängen darf – solche Debatten sind in der Vergangenheit geführt worden und werden vielleicht auch in der Zu-kunft noch geführt werden –, geht ein bisschen an der Sache vorbei. So einfach dürfen wir uns diese Entscheidung eben nicht machen.
Im Kern geht es darum – das ist für den Gesetzgeber doch nichts Ungewöhnliches –, zwischen zwei richtigen Interessensgesichtspunkten abzuwägen. Das eine ist der Interessensgesichtspunkt, vom Staat möglichst in Ruhe gelassen zu werden, und das andere ist der Interessensgesichtspunkt von Todkranken, die ohne ein Organ nicht überleben können. In dieser Abwägung sagen wir als Gesetzgeber, der diese Gesetzentwürfe vorlegt: Es gibt kein Recht auf Gleichgültigkeit. Es gibt auch kein unverbrüchliches Recht, im Hinblick auf Fragen durch den Gesetzgeber bzw. durch öffentliche Einrichtungen in Ruhe gelassen zu werden. Wir halten die Frage, ob jemand bereit ist, Organe zu spenden, und die Aufgabe, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, für zumutbar. Deshalb haben wir als Gesetzgeber in diese Richtung abgewogen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)
Zum Schluss. Es geht nicht darum, dass wir alle Menschen zu Organspendern machen wollen, sondern es geht darum, dass wir Menschen auffordern, selbst Überlegungen anzustellen, sich selbst eine Position zu formulieren. Das ist hilfreich – das kann ich Ihnen versichern –, nicht nur für uns alle selbst, sondern auch, um bei einem plötzlichen Todesfall die Beantwortung der Frage nach einem möglichen Spendewillen des Verstorbenen nicht den nahen Angehörigen zu überlassen. Um es auf den Punkt zu bringen: Es ist eine Frage der Verantwortung. Die Entscheidung über das Maß der Verantwortung, das wir zu tragen bereit sind, ist eine Frage, die ins Leben gehört und nicht über den Tod hinausgeschoben werden darf.
Vielen Dank.