Lars Klingbeil, MdB redet im Bundestag zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
In der vergangenen Woche habe ich in Munster, meiner Heimatstadt, einem der größten Bundeswehrstandorte in Deutschland, ein bewegendes Gespräch mit einer jungen Mutter geführt. Wir Abgeordnete waren es, die ihren Mann Anfang des Jahres in den Einsatz nach Afghanistan geschickt haben. Ich habe natürlich gespürt, dass es ihr am liebsten wäre, wenn ihr Mann zu Hause bei der Familie wäre; aber diesen Anspruch hat sie gar nicht formuliert. Sie hat mir etwas anderes mit auf den Weg gegeben. Sie sagte deutlich, dass sie von uns Politikern erwartet, dass wir keine parteipolitischen Spiele auf dem Rücken der Soldaten austragen. Sie hat mir deutlich gemacht, dass sie von uns mehr Offenheit und Klarheit erwartet. Vor allem hat sie mir auf den Weg mitgegeben, dass sie sich von uns endlich den Mut wünscht, in der Öffentlichkeit für eine breite Zustimmung zum Afghanistan-Mandat zu sorgen. Genau das ist unsere Aufgabe, der wir hier im Parlament nachzugehen haben.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Link zum Video für Apple-Anwendungen
Ich werde dem Mandat heute zustimmen. Ich tue das in der Überzeugung, dass wir in Afghanistan Verantwortung tragen. Ich tue das aber auch in dem Wissen, dass wir in unserem bisherigen Engagement Fehler gemacht haben. Vor allem tue ich das verbunden mit der Aufforderung an alle Fraktionen hier im Bundestag: Lassen Sie uns endlich anfangen, eine breite, öffentliche Debatte über unser Engagement in Afghanistan zu führen! Das ist unsere Aufgabe als Abgeordnete.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Es gibt Gründe, die dafür sprechen, diesem Mandat zuzustimmen. Gleichwohl weiß ich aber auch: Es gibt Gründe, die gegen dieses Mandat sprechen. Ich glaube, niemand macht sich hier die Entscheidung leicht. Es ist aber am schlimmsten, wenn wir eine Entscheidung treffen, ohne dass wir eine gesellschaftliche Diskussion geführt haben. Wenn wir uns wegducken, taktieren, andere Meinungen ausschließen und nicht den Mut haben, endlich den Menschen die Gründe für den Einsatz zu erklären, dann werden wir dieses Mandat auf eine parlamentarische Mehrheit stellen können, aber niemals auf eine gesellschaftliche. Genau darum muss es uns aber gehen: eine gesellschaftliche Mehrheit. Es ist vor allem Aufgabe der Regierung, den Menschen zu erklären, warum wir in Afghanistan sind und welches der künftige Weg ist. Bei allem Respekt: In dieser Hinsicht hat die Regierung ihre Verantwortung nicht wahrgenommen. Wenn es notwendig war, klare und ehrliche Worte zu sprechen, haben Sie sich weggeduckt. Als es darum ging, den Menschen zu erklären, wie die neue Afghanistan-Strategie aussieht, waren Sie von der Regierung nicht bemerkbar. Da hätte ich mir etwas anderes gewünscht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die Erfolge in Afghanistan, egal ob in der Bildung, in der medizinischen Versorgung, beim Aufbau von Infrastruktur oder in der wirtschaftlichen Entwicklung, sind heute schon vielfach angesprochen worden. In vielen Bereichen ist das Land vorangekommen. Wir sollten diese Entwicklung nicht kleinreden. Zugleich warne ich aber davor, Fehlentwicklungen auszublenden. Zur Wahrheit gehört auch: Wir müssen zugeben, dass wir in den letzten Jahren so manche Gegebenheit in Afghanistan unterschätzt haben. Die verschlechterte Sicherheitslage stellt uns vor neue Herausforderungen. Die Heterogenität des Landes muss uns dazu bringen, differenzierte Ansätze für die Region zu finden. Auch müssen wir die Afghanen viel stärker in unser Engagement einbeziehen und ihre Anliegen auf Augenhöhe ernst nehmen. Wenn wir das machen, dann kommen wir in Afghanistan auf einen vernünftigen Weg.
(Beifall bei der SPD)
Ja, es gibt Probleme und Fehlentwicklungen. Deswegen gab es und gibt es in meiner Fraktion Bedenken. Geund Monaten nach Lösungen für diese Probleme gesucht und höchst ernsthaft über die richtigen Antworten diskutiert. Dann lese ich in einer offiziellen Pressemitteilung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 22. Januar dieses Jahres unter der Überschrift „Afghanistan – SPD schlägt sich in die Büsche“:
Mit Überschallgeschwindigkeit wirft die SPD ihre staatspolitische Verantwortung über Bord. Gestern noch hat die SPD Deutschland am Hindukusch verteidigt – heute kann es mit dem Abzug gar nicht schnell genug gehen.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist billig!)
Liebe Kollegen von der CDU, einmal davon abgesehen, dass ich solche Pressemitteilungen höchst peinlich finde,
(Beifall bei der SPD)
frage ich mich: Was für einen Verantwortungsbegriff haben Sie eigentlich? Verantwortung heißt doch nicht, einer überforderten Regierung hinterherzulaufen. Verantwortung heißt, die richtigen Fragen zu stellen und die richtigen Lösungen zu suchen. Das ist die Verantwortung, die wir Sozialdemokraten in den letzten Monaten wahrgenommen haben.
(Beifall bei der SPD)
Ich frage: Herr Westerwelle, Frau Merkel, wo waren Sie eigentlich in den letzten Monaten, als in diesem Land über Afghanistan diskutiert wurde? Wo sind Sie eigentlich jetzt, da dieses Hohe Haus über Afghanistan diskutiert? Es war die SPD, die in den letzten Monaten Verantwortung übernommen hat, während Sie versucht haben, Ihre innenpolitischen Probleme zu lösen.
(Beifall bei der SPD)
Die Regierung hat versucht, die Mandatsverlängerung in Hinterzimmern durchzudrücken. Unmittelbar vor der Afghanistan-Konferenz wird uns ein Papier vorgelegt. Unmittelbar nach der Afghanistan-Konferenz wird im Eiltempo ein neues Mandat hier durch das Parlament gejagt. Öffentliche Debatte? Fehlanzeige. Überzeugungsarbeit in der Gesellschaft? Fehlanzeige. So sieht verantwortungsvolles Handeln einer Regierung nicht aus.
(Beifall bei der SPD)
Ich bin stolz darauf, dass sich meine Partei in den letzten Wochen dieser Debatte gestellt hat. Wir haben unsere Mitglieder befragt, wir haben Experten angehört und auf Veranstaltungen mit Bürgern diskutiert. Wir haben viel Zuspruch dafür bekommen, dass wir die Diskussion angestoßen haben. Ich weiß von vielen meiner Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion, dass sie es sich heute nicht leicht machen. Wir hätten das Mandat einfach ablehnen können. Stattdessen ducken wir uns nicht weg. Wir stellen uns den kritischen Fragen, und wir nehmen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst.
Sie, die Regierung, setzen, statt eine ehrliche Bilanz zu ziehen und statt neue Strategien für Afghanistan zu diskutieren, auf Copy and Paste. Wir Sozialdemokraten waren es, die gesagt haben: Wir wollen den Charakter des Einsatzes nicht verändern, und wir wollen keine zusätzlichen Offensivkräfte im Mandat. – Sie als Regierung sind gefolgt. Wir waren es, die gesagt haben: Wir wollen die Mittel für zivile Aufgaben verdoppeln. – Sie als Regierung sind gefolgt. Wir waren es, die gesagt haben: Wir wollen eine Verstärkung bei der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. – Sie sind gefolgt. Wir waren es, die gesagt haben: Wir wollen den Beginn des Abzugs. – Sie sind gefolgt. Dieses Mandat trägt nicht die Handschrift der Regierung. Wenn es eine Handschrift trägt, dann die der SPD.
(Beifall bei der SPD)
Weil maßgebliche Forderungen meiner Regierung – Entschuldigung –, meiner Partei
(Heiterkeit)
– ich bin immer schon ein paar Jahre weiter –
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
aufgegriffen wurden, werde ich zustimmen, werden große Teile meiner Fraktion zustimmen. Wir Sozialdemokraten wollen den Weg weiter prägen. Wir werden zustimmen, aber ich sage Ihnen deutlich: Nicht wegen Westerwelle und Merkel, sondern trotz Westerwelle und Merkel werden wir zustimmen.
(Beifall bei der SPD)
Einer Sache können Sie sich sicher sein: Die Debatte über Afghanistan ist heute nicht zu Ende. Sie fängt heute erst richtig an.
Vielen Dank für das Zuhören.
(Beifall bei der SPD)