Was wir in diesem Europa wieder brauchen, ist Vertrauen. Das ist eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass wir gemeinsame Sicherheit und gemeinsame Abrüstung und Frieden in Europa organisieren können.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
 
Ich glaube, die Antragsteller verkennen in ihrem Antrag die Realität und die Entwicklung, die wir in den letzten zwölf Monaten in Europa und in der Ukraine erlebt haben. Sie blenden die Ereignisse und Entwicklungen aus und tun so, als bestünde die Antwort Deutschlands und der Europäischen Union einzig und allein aus Konfrontation und einer Absage an den Dialog. Wie sonst ist zu verstehen, dass von einer „Konfrontationslogik“ die Rede ist? Das ist falsch und verlogen. Das zeigt, dass es den Antragstellern im Kern eigentlich nicht darum geht, einen ernsthaften Beitrag zur Lösung der Krise zu leisten. Wie sonst ist der Vorwurf der Konfrontationslogik zu verstehen?
 
Von Anfang an, von Beginn der Zuspitzung an, war Deutschland klar auf den Kurs eines Dialogs ausgerichtet. Von Anfang an haben die EU und Deutschland klar und deutlich erklärt, dass eine militärische Lösung keine Option ist. Der Dialog, das Offenhalten von Gesprächskanälen und der permanente Versuch, am Verhandlungstisch zu einer friedlichen Lösung zu kommen, prägten das europäische und deutsche Verhalten.
 
Ich will die Beispiele an dieser Stelle deutlich nennen, damit klar wird, wie falsch die Antragsteller liegen. Am 21. Februar gab es die Verhandlungen mit den Außenministern Frankreichs, Deutschlands und Polens zur Beendigung des Blutvergießens auf dem Maidan in Kiew. Im weiteren Verlauf wurde immer wieder von unserer Seite deutlich betont: Wir wollen eine Kontaktgruppe und eine Genfer Zusammenkunft. Am 31. März hat das Weimarer Dreieck Deutschland, Polen und Frankreich getagt und ganz klar und deutlich erklärt, dass es Frieden und Sicherheit in Europa nur mit Russland und nicht gegen Russland geben kann. Am 1. April hat der NATO-Außenministerrat getagt und hat vor dem Hintergrund der Annexion der Krim deutlich gemacht, dass die praktische Kooperation zurzeit ausgesetzt wird, dass aber Gesprächskanäle offen bleiben.
  
Am 17. April haben in Genf die USA, Russland, die Ukraine und Europa gemeinsam am Tisch gesessen und die Genfer Vereinbarung getroffen. Es hat die runden Tische in der Ukraine gegeben, die auf unser Drängen stattgefunden haben. Es hat die Gespräche im Normandie-Format gegeben, sowohl leibhaftig als auch am Telefon. Es hat die trilateralen Kontaktgruppentreffen gegeben. Es hat zweimal Außenministertreffen mit Russland, der Ukraine, Deutschland und Frankreich hier in Berlin gegeben, bei denen der Waffenstillstand ausgehandelt worden ist, was sich nachher in den einzelnen Gesprächen, die in Minsk stattgefunden haben, fortgesetzt hat. All das, ungefähr 20 Gespräche und Dialoge, Versuche, die anderen dazu zu bewegen, eine friedliche Lösung zu finden, ist ein klarer Ausdruck eines deutlichen Dialoginteresses und ist weit weg von einer Konfrontation.
 
Wenn man dies so ernsthaft betreibt, dann darf man auch als einigungsfördernde Maßnahme zu einem abgestimmten Verfahren von Sanktionen greifen, weil sie ausdrücklich unterstreichen, dass Gewalt nicht angewendet wird, sondern dass man auf diesem Weg die andere Seite zu einer Veränderung ihres Verhaltens bringen will.
 
Wenn dann von Ihrer Seite so getan wird, als seien nun die Sanktionen das schlimme Element, das die Wirtschaft so beeinträchtigen würde, verwechseln Sie Ursache und Wirkung; denn wenn die Antworten aus Russland lauten, dass man die Einfuhr von Landwirtschaftserzeugnissen aus Europa untersagt, dann darf man sich nicht beschweren, wenn auf einmal die Lebensmittel nicht in Russland ankommen und wenn die deutsche Landwirtschaft und die europäische Landwirtschaft Einbrüche erleben. Aber die Entscheidung darüber ist in Moskau getroffen worden, sie ist nicht hier getroffen worden.
 
Ich empfehle der Linken ausdrücklich, nachzulesen, was Putin selbst noch am 12. Dezember 2013 in seiner Jahresbotschaft gesagt hat: „Auch wir bekommen die Folgen der globalen Krise zu spüren. Aber lassen Sie es mich direkt sagen: Die grundlegenden Ursachen der Verlangsamung unseres Wachstums kommen nicht von außen, sondern sie kommen von innen.“ Die fünftgrößte Volkswirtschaft ? so fährt er fort - ist in der Situation, „was die Arbeitsproduktivität betrifft, die eine ganz wesentliche Kennziffer darstellt, so ist sie zwei- bis dreimal niedriger als in den führenden Ländern“. ? Damit ist ganz deutlich, dass die Ursache in dem Land zu suchen ist. Wir wären ja offen für eine Modernisierungspartnerschaft, für eine gute Kooperation. Nur, die muss gewollt werden, und das muss auch überzeugend bekundet werden.
 
Ich will damit abschließen, was man eigentlich hätte erwarten sollen, was in dem Antrag steht. Der Schlüssel liegt nicht hier, der liegt auch nicht in Brüssel, der Schlüssel liegt in Moskau, wenn man ein Ende der Sanktionen will und wenn man will, dass wir uns auf eine friedliche Entwicklung in Europa hinbewegen. Da liegt der Schlüssel.
 
Das bedeutet auch, dass wir eigentlich erwartet hätten, dass folgende Forderungen aufgestellt werden: Wir fordern dazu auf, dass mit der Grenzüberwachung durch die OSZE endlich ernst gemacht wird, dass sich Russland konstruktiv verhält und dabei mitmacht. Wir wollen einen Waffenstillstand, wir wollen, dass Schluss damit ist, dass weiterhin schweres Gerät und Truppen über die Grenze Russlands in die Ukraine kommen. Wir wollen, dass die Schlussakte von Helsinki der KSZE eingehalten wird, in der klar und deutlich vermerkt ist, dass wir eine Enthaltung der Androhung von Gewalt, die territoriale Integrität der Staaten, keine Verschiebung von Grenzen mit Gewalt, sondern eine friedliche Lösung von Streitfällen wollen. Darum wäre es gegangen. Dies hätte in dem Antrag stehen müssen. Dann hätte man sich ernsthaft damit auseinandersetzen können.
 
Wer uns an der Stelle sagt, Russland habe keinen Einfluss auf die Separatisten, der will uns wahrscheinlich die Erde als Scheibe beschreiben. Fordern Sie uns nicht zu dieser intellektuellen Herausforderung auf. Lassen Sie das. Was die Dialogbereitschaft angeht: In der nächsten Woche werden wir in Moskau im EU-Russia-Dialogue mit der Friedrich-Ebert-Stiftung zwei Tage zusammensitzen und den Dialog betreiben, wir werden uns über die Krise unterhalten, über die islamistische Herausforderung und über die Migrationsherausforderung.
 
Eines wissen Sie, Herr Kollege Gehrcke, genau, und ich weiß nicht, warum Sie das vorhin in eine Frage gekleidet haben. Anfang Dezember wird der Auswärtige Ausschuss des russischen Parlaments hier nach Deutschland kommen, und wir werden gemeinsam mit Sicherheit auch über diese Fragen streiten, über die wir hier streiten. Die Dialogbereitschaft auf unserer Seite ist da. Nur, das setzt voraus, dass nicht immer nur Versprechungen gemacht werden, man zwei Schritte vor und drei Schritte zurückgeht, sondern dass man sich an die Versprechungen hält.
 
Was wir in diesem Europa wieder brauchen, ist Vertrauen. Das ist eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass wir gemeinsame Sicherheit und gemeinsame Abrüstung und Frieden in Europa organisieren können.