Wer Europa aus der gegenwärtigen Krise herausführen wolle, der brauche "einen Bauplan für die Zukunft, Phantasie für Neues, Mut zur Veränderung", sagte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede anlässlich des 50. Jahrestags des Elysée-Vetrags. Vom Zusammentreffen der Parlamente solle die Botschaft ausgehen: "Wir stehen zusammen. Und wir schauen nach vorn!" Im letzten Jahr haben das französische und das deutsche Parlament die die wichtige Anstöße gegeben, wie ein richtiger Weg aus der Krise aussehen könne.
Sehr geehrter Herr Präsident,
Monsieur le Président de la République, Monsieur le Président de l´Assemblée nationale,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor 40 Jahren, im Sommer 1973, fuhr ein junger Mann mit ein paar Freunden über die deutsch-französische Grenze. Es war seine erste richtige Reise ins Ausland. Das Auto, mit dem sie unterwegs waren, war eine „Ente“, ein 2CV, noch heute weiß er, wie hakelig die Gangschaltung war. Sie fuhren bis an die Cote d´Azur, übernachteten für wenig Geld auf Zeltplätzen, diskutierten bei Rotwein, Käse und Bagette stundenlang mit den jungen Franzosen, die sie trafen, über das Leben und den Traum einer besseren, gerechteren Welt.
Der junge Mann war ich, das Französisch damals deutlich besser als heute und diese Reise nach Frankreich war meine erste handfeste Begegnung mit Europa. Ich gehöre nicht mehr zu der Generation, die die Grenzbäume eingerissen hat. Ich gehöre zu der Generation, die mit einer gewissen Selbstverständlichkeit in das neue, größere Europa hineinwuchs. Aber dennoch gilt: Frankreich war nicht irgendein Land unter anderen, es war ein Schlüsselland für uns! Deutschland-Frankreich, das war nicht nur die Überwindung einer jahrhundertelangen Erbfeindschaft. Deutschland-Frankreich, dass stand nicht nur dafür, dass aus Feinden Freunde werden können. Deutschland-Frankreich, das war auch ein Schritt heraus aus der alten, ein wenig verzopften Bundesrepublik! Frankreich, das war Jean-Paul Sartre, Serge Gainsbourg und André Gride, Jean-Louis Trintignant, Jeanne Moreau. Frankreich, das war Neugier, Offenheit und Freiheit. Und Frankreich, das war ein Land, in dem man Gleichgesinnte fand, junge Europäer, die ähnlich dachten, die die Welt verändern wollten wie wir. Unser Herz schlug links, es schlug für Willy Brandt. Wir wollten Neues ausprobieren, mehr Demokratie wagen. Das Adenauer-Deutschland war für uns schon fast ferne Vergangenheit. Und unsere Hoffnung war, dass die jungen Franzosen sich auf den gleichen Weg machen wie wir.
Heute weiß ich: Europa verdankt auch weitsichtigen Konservativen wie Konrad Adenauer und Charles de Gaulle viel. Sie wussten, wie mächtig die Fluten des Nationalismus sind. Sie wussten, dass es hohe Deiche und eine nicht nachlassende Aufmerksamkeit braucht, um diese gefährlichen Springfluten abwehren zu können.
Aber Europa, das ist mehr als ein Deich gegen die dunklen Mächte der Vergangenheit. Europa war für mich damals als junger Mann und ist bis heute viel mehr: Die Hoffnung, dass es uns gemeinsam gelingt, eine bessere Zukunft zu bauen. Ja, es ist richtig, wer Europa verstehen will, der muss über einen Soldatenfriedhof gehen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit! Europa, das ist auch die Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaft, auf sozialen Aufstieg, auf Offenheit, Toleranz und Solidarität.
Wer Europa aus der gegenwärtigen Krise herausführen will, braucht deshalb mehr als Deichbauerkunst. Er braucht einen Bauplan für die Zukunft, Phantasie für Neues, Mut zur Veränderung. Und ich würde mir wünschen, dass das unsere Botschaft heute ist: Wir stehen zusammen. Und wir schauen nach vorn!
- Ich freue mich, dass es im letzten Jahr unsere beiden Parlamente waren, die wichtige Anstöße gegeben haben, wie ein richtiger Weg aus der Krise aussehen kann.
- Ich denke an die Ergänzung des Fiskalpakts um Impulse für Wachstum und Beschäftigung.
- Ich denke an unser Eintreten für die Besteuerung der Finanzmärke.
- Ich denke an das Thema Jugendarbeitslosigkeit, das wir auf die europäische Agenda gesetzt haben! Wir dürfen es nicht zulassen, dass es in Europa Regionen gibt, in denen über 50% der Jugendlichen ohne Ausbildung und Beschäftigung sind!
- Und schließlich: Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Europa ohne parlamentarische Kontrolle und klare politische Verantwortung ein Irrweg ist. Ja, es ist wahr, für den europäischen Weg nach vorn gibt es keine Blaupause. Aber es gibt einen Kompass, und der heißt Demokratie!
Ich erinnere mich noch gut an den 40. Jahrestag des Elysee-Vertrages. Damals stand Deutschland an der Schwelle einer großen Reform. Wir galten als der „kranke Mann Europas“. Und Frankreich ging es verhältnismäßig gut. Wir haben damals aus Frankreich keine Belehrungen gehört, sondern Worte der Ermutigung, des Vertrauens, der Solidarität. Ich würde mir wünschen, dass dies auch jetzt wieder so ist, wo Frankreich vor der Aufgabe der Erneuerung steht. Frankreich ist ein starkes Land, mit großartigen Menschen, guten Ideen und verantwortlichen Politikern. Meine klare Botschaft an euch: Wir stehen an eurer Seite, wir glauben an euren Erfolg – ihr könnt, bei den großen Aufgaben, die vor euch stehen, auf die Unterstützung eurer deutschen Freunde bauen!
Ein letztes Wort zu dem, was im Augenblick im nördlichen Afrika geschieht. Frankreich hat mutig gehandelt und sich in Mali einem ungehinderten Vormarsch der Islamisten entgegengestellt. Unsere Gedanken sind mit den französischen Soldatinnen und Soldaten, die ihr Leben in einem gefährlichen Einsatz aufs Spiel setzen. Und das tun sie nicht nur für Frankreich, auch nicht nur für die Menschen in Mali. Sondern weil sie die Ausbreitung der islamischen Herrschaft in der südlichen Sahelzone etwas entgegensetzen. Das ist unser gemeinsames Interesse. Deshalb verstehe ich, dass Frankreich bei dieser Aufgabe nicht allein gelassen werden will. Und wenn Frankreich jetzt logistische Unterstützung erwartet, damit afrikanische Streitkräfte möglichst bald selbst vor Ort sein können, um den Schutz Malis vor islamischer Übernahme zu gewährleisten, dann sollten wir diese Unterstützung leisten. Das Gleiche gilt für die Ausbildung der malischen Armee und Initiativen, die eine dauerhafte Befriedung der Region – auch durch wirtschaftliche Entwicklung – zum Ziel haben. Bis dahin kann es eine langer Weg sein.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde,
50 Jahre sind eine lange Zeit. Aber wenn ich nach vorn schaue, sage ich: Eigentlich fangen wir gerade erst an.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit