So wird der heutige Gipfel kein Jubelgipfel sein können, aber er wird auch nicht der Gipfel einer gescheiterten Politik in den letzten Jahren sein. Er muss ein Gipfel der nüchternen Analyse sein, ein Gipfel, der die gemachten Erfahrungen mit den Partnerländern Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und der Ukraine aufarbeitet und der zeigt, dass man gelernt hat, dass - salopp gesagt - eine Kleidergröße allein nicht passt, sondern dass es notwendig ist, Bedingungen zu entwickeln, die auf die Partnerländer zugeschnitten sind, und mit länderspezifischen Angeboten zu arbeiten.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Der heutige Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Riga findet vor einem Hintergrund statt, in dem der Frieden nicht gesichert und die Gefahr einer neuen Spaltung in Europa nicht gänzlich gebannt ist. Es ist gleichzeitig ein Hintergrund verbunden mit einer Hoffnung - mit der Hoffnung, dass es drei Monate nach der Erklärung der Präsidenten von Frankreich, Russland, der Ukraine und der Bundeskanzlerin trotz einzelner Waffenstillstandsverletzungen nun zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen und der dazugehörigen Maßnahmen, also zu einem friedlichen Prozess der Lösung des Konflikts kommt.
Das ist von zentraler Bedeutung für die Menschen, das ist von zentraler Bedeutung für die notwendigen Reformen und die Stabilität in der Ukraine, und es ist auch eine wesentliche Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Östlichen Partnerschaft und der Entstehung eines neuen Vertrauens. Es geht letztlich darum, das friedliche Zusammenleben in unserem gemeinsamen europäischen Haus zu sichern.
So wird der heutige Gipfel kein Jubelgipfel sein können, aber er wird auch nicht der Gipfel einer gescheiterten Politik in den letzten Jahren sein. Er muss ein Gipfel der nüchternen Analyse sein, ein Gipfel, der die gemachten Erfahrungen mit den Partnerländern Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und der Ukraine aufarbeitet und der zeigt, dass man gelernt hat, dass - salopp gesagt ‑ eine Kleidergröße allein nicht passt, sondern dass es notwendig ist, Bedingungen zu entwickeln, die auf die Partnerländer zugeschnitten sind, und mit länderspezifischen Angeboten zu arbeiten. Und es gilt, noch deutlicher zu machen, dass die Kooperationspolitik nicht gegen einen Nachbarn gerichtet ist, sondern spürbar auf gute Nachbarschaft ausgerichtet ist.
Dafür gibt es gute Gründe. Georgien, Moldau und die Ukraine haben inzwischen ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet. Aserbaidschan, Armenien und Belarus streben das nicht an. Die letzten beiden wurden Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion gemeinsam mit Russland, Kasachstan und Kirgisistan. Genau damit könnten sie wichtige Bindeglieder bei einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen Russland und der EU sein. Alle Länder haben das Recht, ihre Wege und Formen der Zusammenarbeit mit anderen Ländern oder von Zusammenschlüssen frei und selbst zu bestimmen.
Genauso gehört zur guten Nachbarschaft, mit den Nachbarn über die damit verbundenen Entwicklungen zu reden. Die jetzigen Gespräche zwischen EU und Russland über die Wirkungen des mit der Ukraine abgeschlossenen Assoziierungsabkommens gilt es von beiden Seiten konstruktiv zu nutzen. Es gilt zu realisieren, wie bestimmte Beziehungen der Partnerländer zum großen Nachbarn Russland ausgeprägt sind. Trotz der sehr kritischen Lage gehen noch immer 25 Prozent des ukrainischen Exports nach Russland, 33 Prozent in die EU. Da bestehen Verbindungen und Verflechtungen im Energiebereich, im gesellschaftlichen, sprachlichen und medialen Bereich.
700 000 Beschäftigte aus Moldau arbeiten in Russland. Die Russische Föderation ist Moldaus größter bilateraler Handelspartner. Die europaorientierte und von den Kommunisten gestützte Regierung befindet sich angesichts eines Bankenskandals im Moment in einer sehr schwierigen Situation. Aber man spürt in der Bevölkerung, dass ein Teil die Kooperation mit Russland und dass ein anderer Teil eine enge Kooperation mit der Europäischen Union will. Tausende von Moldauer machen inzwischen Gebrauch von der Visaliberalisierung.
Die georgische Regierung hat gerade erst wieder eine Umbildung hinter sich und ist bemüht, ihren europäischen Kurs zu halten. Gleichzeitig bangen die Menschen um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze und sehen auch die engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland. Nicht zu unterschätzen sind auch die Verbindungen der Kirchen untereinander.
In Armenien kommen 60 Prozent der Direktinvestitionen aus Russland, 2 Millionen armenische Gastarbeiter sind dort tätig. Durch den ungelösten Berg-Karabach-Konflikt wahrt Russland seine Einflüsse auf Armenien und auf Aserbaidschan. Die Menschenrechtslage in Aserbaidschan ist schwierig, und das Land ist derzeit wohl eher selektiv an einer Zusammenarbeit im energie- und wirtschaftspolitischen Bereich interessiert.
Schließlich ist Belarus, Gründungsmitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion, einer der engsten und von Russland abhängigsten Partner. Gleichwohl hat das Land im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland eine sehr konstruktive Rolle gespielt. Von erheblicher Bedeutung sind hier aber Verbesserungen der innenpolitischen und menschenrechtlichen Lage sowie die dringend notwendige Freilassung der politischen Gefangenen, unter denen auch der ehemalige sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat Nikolai Statkevich ist.
Dieser Ausschnitt aus der gesamten Vielfalt der Situation in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und ihren Verhältnissen zeigt deutlich, wie wichtig die Einbeziehung Russlands in die Gestaltung dieser Nachbarschaftspolitik ist. Ich teile die Einschätzung, die hierzu gerade im April dieses Jahres in einem Papier der Stiftung für Wissenschaft und Politik geäußert wurde:
Die EU muss sich außerdem bemühen, in dem Gesamtgeflecht ihrer Beziehungen dafür zu sorgen, dass in dem Verhältnis zwischen Russland und dessen Nachbarn sowie zwischen den Nachbarn untereinander Verträglichkeit, Transparenz und Stabilität herrscht.
Einen guten Rahmen hierfür bietet das Bekenntnis der Staats- und Regierungschefs aus der Minsker Erklärung vom 12. Februar 2015 zur Version eines gemeinsamen humanitären und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien der OSZE. Diese Verantwortung gilt es, einzulösen, für alle, auch für Russland, um neues Vertrauen zu schaffen.
Aber es gilt auch, Perspektiven für die Partnerländer aufzuzeigen, den Weg in die Europäische Union zu gehen. Dazu bedarf es konsequenter Arbeit. Polen hat dafür 15 Jahre gebraucht. Schneller können wir gute Voraussetzungen für die Visaliberalisierung mit den Partnerschaftsländern und auch mit Russland schaffen, damit der humanitäre Raum mit der Begegnung von Menschen im friedlichen Miteinander ausgefüllt werden kann. Deswegen ist der Erfolg von Minsk für uns alle so wichtig.