In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag plädiert Niels Annenaußenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für eine  Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer. Das Mandat leiste einen Beitrag zur Stabilisierung der Region und sei außerdem ein Schritt gegen die zunehmende Ausbreitung der Terrormiliz IS ist, die die Fragilität in Libyen ausnutze, um ihren Machtbereich zu vergrößern.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich glaube, es ist uns allen bewusst, wie sehr uns die Krisen im Nahen und Mittleren Osten hier bei den Debatten im Parlament und in der Öffentlichkeit beschäftigen. Längst haben die Kriege in Syrien und im Irak zu einer regionalen Instabilität geführt. Und Libyen - das Land, über das wir heute hier reden - spielt dabei schon aufgrund seiner Größe, aber auch seiner geografischen Lage eine zentrale Rolle.

Wir alle kennen die Ausgangsposition. Es gibt zwei Parlamente und zwei Regierungen bzw. zwei Machtzentren. Und in der Mitte befindet sich - wenn man das so sagen darf - die Terrormiliz IS. Das ist eine Situation, die für die internationale Staatengemeinschaft auch deswegen nur sehr schwer zu bewältigen ist, weil Herr Gaddafi nach den vielen Jahrzehnte seiner Diktatur - anders als es in vergleichbaren Ländern der Fall war - letztlich keine staatlichen Strukturen hinterlassen hat. Die Situation ist also fragil. Aber ich glaube, man kann schon feststellen: Es hat Fortschritte in Libyen gegeben. Das wurde nicht zuletzt durch den Einsatz des VN-Sondergesandten erreicht. Das ist, wie Sie alle wissen, ein deutscher Diplomat, Martin Kobler, dem ich an dieser Stelle für seine herausragende Arbeit noch einmal ganz herzlich danken möchte.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ihm gelungen, eine Einheitsregierung zu stabilisieren und dafür zu sorgen, dass sie von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt und unterstützt wird. Ich glaube zwar, dass es ein Fortschritt ist, es ist aber keine Garantie dafür, dass wir auf diesem Weg weitergehen können. Die Kollegen der Linken haben es sich ja zur Angewohnheit werden lassen, zu erklären, wir seien der Ansicht, die Mandate, über die wir hier diskutieren, seien quasi so eine Art Blaupause für die Lösung der Konflikte. Darum geht es hier nicht, sondern es geht um ein Element der Stabilisierung. Wir wissen, dass die Situation fragil ist, dass wir Herrn as-Sarradsch und seine Regierung in Tripolis unterstützen müssen. Diese Ausbildungsmission ist eben ein Element davon. Ich glaube, dass es deswegen richtig ist, sie hier zu unterstützen. Ich darf auch darauf hinweisen, dass es eine Bitte des Präsidialrates bzw. eine explizite Anfrage auch an uns gegeben hat, dieses zu tun.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Das war aber bestellt! - Heike Hänsel (DIE LINKE): Welche demokratische Legitimation hat der?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe es schon erwähnt: Die Terrormiliz IS nutzt die Fragilität des Landes, um ihren Machtbereich in der Region um Sirte auszudehnen. Ja, es ist richtig - Sie alle haben das der Presse entnehmen können -: Es gibt militärische Erfolge beim Kampf gegen den IS. Dennoch kann man nicht davon sprechen, dass die Lage schon entspannt sei.

Es ist natürlich klar, dass auch hier die Operation Sophia allein nicht ausreicht. Sie allein wird - der Staatssekretär hat darauf hingewiesen - auch nicht ausreichen, um die Schleuserkriminalität zu bekämpfen. Aber sie leistet einen Beitrag, und sie hat auch eine abschreckende Funktion. Auch deswegen begrüßen wir das Mandat.

Meine Damen und Herren, ich möchte auf einen Aspekt der Rede von Herrn Dr. Neu hinweisen. Sie haben hier ja so eine Form der Verschwörungstheorie - dabei ging es um Stichworte wie „NATO“, „Raumkontrolle“, „Geopolitik“ und „Hinterhofpolitik“ - in den Raum gestellt.

(Heike Hänsel (DIE LINKE): Das ist keine Verschwörungstheorie, das ist eine Analyse!)

Ich will in diesem Zusammenhang ganz bewusst darauf hinweisen - das ist schon interessant -, dass alle 15 Mitglieder des Sicherheitsrats, auch Russland, der entsprechenden Resolution zugestimmt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Es ist mir nicht bekannt, dass Russland eine NATO-Operation zur europäischen Kontrolle des europäischen Hinterhofs legitimieren würde. Das ist ein wenig verwunderlich und unterstreicht, glaube ich, dass es sich bei dem, was Sie vorgetragen haben, geschätzter Herr Kollege, im Wesentlichen um Propaganda handelt.

(Heike Hänsel (DIE LINKE): Von wem reden Sie jetzt?)

Es ist auch deswegen bemerkenswert, dass Russland zugestimmt hat, weil wir wissen, dass es eine ganz besondere Geschichte mit Libyen gibt. Die damalige Resolution, die den Militäreinsatz von NATO-Mitgliedstaaten legitimiert hat, ist sehr in der Kritik ‑ wie ich finde, durchaus zu Recht ‑ und wird von der russischen Seite bis heute als eine Art Missbrauch einer solchen Legitimation betrachtet.

(Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Sie wollten mit bomben!)

Trotzdem hat Russland dieses Mal zugestimmt, weil ‑ davon gehe ich jedenfalls aus ‑ es im Interesse Russlands ist, dass diese fragile Region stabilisiert wird. Dass wir das gemeinsam tun, ist gut. Das zeigt übrigens auch, dass es sich lohnt, mit Russland über so schwierige Fragen zu reden. Es scheint doch so zu sein, dass sich die Mühe manchmal lohnt (Beifall bei der SPD) und dass man in einigen Bereichen kooperative Lösungen mit Russland trotz all der Probleme, die wir haben, erreichen kann.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Annen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Neu?

Niels Annen (SPD):

Das mache ich, Frau Präsidentin.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Bitte schön.

Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE):

Herr Annen, Russland und China haben sich 2011 bei der Sicherheitsratsresolution darauf verlassen, dass der Luftraum gesperrt wird. Man weiß heutzutage, dass die NATO dieses Mandat genutzt hat, um einen Regime Change durchzuführen. Nun haben Russland und China wieder einmal einer Sicherheitsratsresolution im Vertrauen darauf, dass diese Mission eine EU-Mission bleiben wird, zugestimmt.

Können Sie definitiv ausschließen, dass die NATO daran nicht teilnehmen wird? NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat schon massiv angeboten, dass das auch eine NATO-Mission werden könnte. Können Sie das ausschließen?

Niels Annen (SPD):

Herr Kollege Neu, ich finde es jedenfalls erstaunlich, dass Sie hier offensichtlich die Position Russlands einnehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr bemerkenswert!)

Ich bin mir aber sicher, dass der russische NATO-Botschafter schon selber in der Lage ist, die Position seines Landes vorzutragen.

Ich will aber gerne zu einem Punkt etwas sagen. Auch ich bin der Meinung, dass die damalige Resolution in einer Art und Weise ausgelegt worden ist, die der Legitimation der Vereinten Nationen nicht geholfen hat. Ich bin ein großer Anhänger der relativ neuen UN-Norm der sogenannten Schutzverantwortung, Responsibility to Protect.

(Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Wir nicht!)

Ich glaube schon, dass wir sehr kritisch auf das schauen müssen, was damals geschehen ist. Sie sprechen von einer NATO-Operation. Es haben sich aber nicht alle NATO-Staaten daran beteiligt. Ich darf vielleicht für diejenigen, die uns hier zuhören, deutlich machen: Deutschland hat sich an dieser Operation damals nicht beteiligt, so wie andere Länder auch. Ich glaube, das ist eine klare Antwort auf Ihre Frage. - Vielen Dank.

Ich will in der verbleibenden Zeit noch auf einen zweiten Staat eingehen, der als nicht ständiges Mitglied des Sicherheitsrates dieser Resolution zugestimmt hat. Ich rede über Ägypten, ein Land, das ‑ ich bin kein Diplomat, aber ich will doch versuchen, mich diplomatisch auszudrücken ‑ eine sehr ambivalente Rolle in Libyen spielt. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass etwa 1 300 Kilometer Grenze aus Sicht Kairos natürlich ein dramatisches Sicherheitsrisiko darstellen, eine Grenze zu einem Land, das im Chaos zu versinken droht.

Trotzdem haben wir die einseitige Unterstützung von General Haftar als nicht besonders konstruktiv wahrgenommen. Das haben wir mit den ägyptischen Kollegen natürlich diskutiert. Umso bemerkenswerter ist es, dass es auch hier eine Zustimmung und zumindest deklaratorisch eine Unterstützung gegeben hat. Insofern haben wir eine legale politische internationale Grundlage, die von allen Staaten, die zurzeit im Sicherheitsrat vertreten sind, mitgetragen wird.

Ich hoffe sehr, dass das eine Botschaft an diejenigen ist, die sich mit Herrn Kobler zusammen um eine politische Lösung für Libyen bemühen. Der Aspekt der Seenotrettung ‑ auf den hat Herr Staatssekretär Brauksiepe hingewiesen ‑ liegt auch uns am Herzen. Aber ich wollte diese Gelegenheit nutzen, um auf die politischen Zusammenhänge hinzuweisen.

Ich glaube nicht, dass wir uns selber helfen würden, mit der Verabschiedung dieses Mandatsantrages jetzt quasi die Botschaft zu verbreiten, das Thema Libyen wäre damit abschließend von uns behandelt worden. Es ist ‑ ich kann das nur wiederholen ‑ ein Baustein unserer Politik, unsere Antwort auf eine Krise, die uns direkt angeht, auch aus humanitärer Verantwortung. Das Mandat ist ein wichtiger Baustein, und deswegen unterstützen wir diesen Antrag.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)