Dr. Sascha Raabe (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Warum verhandeln wir eigentlich ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, wenn wir uns im Rahmen der Welthandelsorganisation, der WTO, doch eigentlich vorgenommen hatten, einen multilateralen, weltweit gültigen Abschluss zu Fragen des gerechten und fairen Handels zu erarbeiten?
Leider ist es so, dass die sogenannte Doha-Entwicklungsrunde, die sich insbesondere zum Ziel gesetzt hatte, die Marktzugänge für Entwicklungsländer zu verbessern, an die Wand gefahren wurde, vor allem von der Europäischen Union und den USA, und gescheitert ist. Die Frage der Agrarsubventionen ist dort nie richtig angegangen worden. Man hat die Märkte in Afrika und in vielen Entwicklungsländern durch Dumping zerstört. Bis heute leisten die USA noch Baumwollsubventionen, was westafrikanische Bauern schädigt. Jetzt, nachdem man die WTO-Runde an die Wand gefahren hat, sagt man: Die WTO taugt nichts. Jetzt müssen wir ein bilaterales Abkommen schließen. – Das ist eigentlich sehr schade. Ich bin allerdings jemand, der sagt: Jetzt müssen wir schauen, welche Chancen die bilateralen Abkommen, die weltweit immer häufiger geschlossen werden, bieten. Das gilt übrigens sowohl für Entwicklungsländer als auch für Arbeiter in Deutschland und weltweit.
Eine Chance, die ein bilaterales Abkommen zwischen der EU und den USA bietet, ist, dass man sich nun mit der Frage der Sozialstandards und der Kernarbeitsnormen beschäftigt. Ich bin in diesem Bereich seit über elf Jahren tätig und weiß, dass eine Beschäftigung mit diesem Thema in der WTO sehr schwer durchsetzbar ist. Das liegt daran, dass die Regierungen der Entwicklungsländer Angst haben, dass es sich dabei um ein Mittel zu Protektionismus handelt. Ich sage dazu: Wir machen keine Handelsabkommen für Regierungen und Eliten, sondern für alle Menschen, die hart arbeiten. Es muss deshalb in Deutschland und weltweit so sein, dass jeder Arbeiter von seiner Hände Arbeit leben kann. Ich bitte Sie deshalb alle um Unterstützung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das Abkommen zwischen der EU und den USA ist deshalb so wichtig und auch weltweit bedeutsam, weil, wenn wir hier über die Hälfte des weltweiten Bruttoin‑(B) landsprodukts und über ein Drittel des weltweiten Handelsvolumens verhandeln, das natürlich Standards setzt, die dann auch für andere Handelsabkommen, zum Beispiel solche, die die EU derzeit mit Indien und anderen Entwicklungs- und Schwellenländern verhandelt, von Bedeutung sind. Wir können den USA daher nicht durchgehen lassen, dass sie bisher nur zwei von acht ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert haben.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)
Die Kernarbeitsnormen – das sollten diejenigen, die sich damit nicht im Detail auskennen, wissen – haben den Charakter von universellen Menschenrechten. Das sind nicht irgendwelche deutschen Arbeitsrechte, die wir dort eins zu eins umsetzen wollen. Das sind selbstverständliche Menschenrechte, zu deren Einhaltung sich fast alle auf der ganzen Welt verpflichtet haben.
Als vor zwei Wochen der EU-Handelskommissar Karel De Gucht und der US-Handelsbeauftragte Michael Froman in Berlin waren, habe ich Herrn De Gucht gefragt: Fordert denn die EU von den USA ganz konkret, dass diese acht ILO-Kernarbeitsnormen umgesetzt werden? Er hat mir geantwortet: Wissen Sie, Herr Raabe, wir dürfen da als EU gar nicht so mit dem erhobenen Zeigefinger agieren; denn selbst einige EU-Mitgliedstaaten hätten, so Herr De Gucht, die ILO-Kernarbeitsnormen noch nicht ratifiziert. – Das war eine klare Falschaussage vom EU-Handelskommissar.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sehr gut!)
Denn alle 28 Mitgliedstaaten der EU haben alle acht (C) ILO-Kernarbeitsnormen unterzeichnet. Es erschüttert mich schon, dass ein EU-Handelskommissar, der sich mit diesem Thema eigentlich auskennen und es leidenschaftlich verfolgen müsste, nicht weiß, wovon er redet. Das macht mir schon Angst, und insbesondere auch – Herr Heider, da muss ich Sie in der Tat korrigieren –, mit welcher Arroganz er mit den Sorgen und Ängsten der Bürger umgeht.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])
Auch wenn noch nicht komplett feststeht, wie das Abkommen aussehen wird, muss man es ernst nehmen, wenn sich Bürgerinnen und Bürger in der CampactKampagne dagegen aussprechen. Es geht nicht an, zu sagen: Das sind die Interessen von 500 000 Menschen, ich vertrete 500 Millionen EU-Bürger. – Wer hat den De Gucht denn gewählt? Er vertritt gar niemanden; er ist überhaupt nicht gewählt worden. Deshalb hoffe ich – darüber würde ich mich freuen –, wenn Martin Schulz als Kommissionspräsident als Allererstes diesem arroganten EU-Handelskommissar den Stuhl vor die Tür setzt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das kann er gar nicht! Das muss man auch wissen, wenn man so daherredet!)
Wir müssen wissen, dass selbst Somalia und Myanmar mit drei ratifizierten ILO-Kernarbeitsnormen noch besser dastehen als die USA. Wenn wir nicht darauf drängen, dass diese Kernarbeitsnormen umgesetzt werden – das haben auch der Kollege Klaus Barthel und andere gesagt –, führt das bei Wegfall der Zölle dazu, dass zum Beispiel Opel und andere Autohersteller eventuell dazu verleitet werden, Teile der Produktion von Rüsselsheim und anderen deutschen Produktionsstandorten in die USA zu verlegen. Die werden sich sagen: Wir müssen uns dann nicht mehr mit Gewerkschaften und Betriebsräten herumärgern.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)
Das können wir im Interesse der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht zulassen. Wir wollen nicht, dass Menschen, die in den Autofabriken hart arbeiten, unter Druck geraten. Wir wollen aber auch nicht, dass uns dann die Inder und andere sagen: Wieso fordert ihr immer nur von Entwicklungs- und Schwellenländern die Einhaltung der Kernarbeitsnormen ein, fordert das aber nicht einmal von den USA ein?
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)
Deswegen sage ich: Menschenrechte sind überall gültig. Sie gelten auch für die USA.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sehr gut! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch für Russland gelten die!)
Wir können nur dann einem Abkommen zustimmen, wenn diese Kernarbeitsnormen in ihm verbindlich verankert sind, meine sehr verehrten Damen und Herren!
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] und Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es reicht auch nicht, wenn es nur in einem Kapitel „Wolkenkuckucksheim“ bzw. in einer Absichtserklärung in dem Sinne: „Wir wünschen uns, dass alle Partner das umsetzen“, enthalten ist. Vielmehr muss das auch im Zuge eines allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus hinterlegt werden, damit Beschwerden überprüft werden können. Am Ende sollte auch die Sanktion drohen, solch ein Abkommen auszusetzen. Dann werden sich auch die US-Unternehmen genau überlegen, ob sie nicht lieber einen Betriebsrat zulassen, statt Milliardenverluste zu haben. Ich glaube, dass das auch fair ist. Die Wirtschaft wird von diesem Abkommen profitieren. Auch die Arbeitnehmer auf beiden Seiten des Atlantik können profitieren – aber eben nur dann, wenn es fair und gerecht ist. Die SPD wird nicht zur Verfügung stehen, wenn nicht auch die Arbeitnehmerrechte in den USA auf den entsprechenden internationalen Stand gebracht werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zum Schluss noch auf ein weiteres Thema zu sprechen kommen, nämlich auf die Auswirkungen eines solchen Abkommens auf die Länder, die dort nicht begünstigt sind. Herr Heider hat hier die Bertelsmann-Studie zitiert. Darin heißt es leider auch:
Die großen Verlierer einer Eliminierung der Zölle sind Entwicklungsländer. Diese verlieren ... dramatisch an Marktanteilen durch das neue Abkommen. Es trifft besonders die armen Länder. In afrikanischen Ländern können teils ProKopf-Einkommensverluste von bis zu 4 Prozent drohen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Entwicklungsländer in der Lage sind, auch ihre Produkte möglichst zoll- und barrierefrei in diesen neuen Markt zu liefern. Es ist ganz wichtig, dass sie keine Verluste erleiden.
Neben dem Abbau der Zölle gehört natürlich dazu – dies ist für die Weiterentwicklung der Entwicklungsländer wichtig –, dass wir den Entwicklungsländern dabei helfen, diesen Handel auch betreiben zu können. Im Augenblick haben die LDCs – die ärmsten Entwicklungsländer – zwar zollfreien Zugang, nur können sie ihn kaum nutzen, weil sie weder Fabriken noch Häfen oder Straßen haben, um ihre Waren in die EU zu liefern. Deswegen – meine Kollegen aus der SPD haben das schon oft gehört – ist es wichtig, dass wir auch unsere internationalen Verpflichtungen erfüllen und für die Entwicklungshilfe endlich 0,7 Prozent unseres Bruttonationaleinkommens ausgeben,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Tiefensee [SPD]: Ceterum censeo!)
damit alle Entwicklungsländer die Chance haben, an einem fairen Handel teilzunehmen, und allen Menschen auf der Welt, in Deutschland wie auch in Afrika, gedient ist. In diesem Sinne sage ich im Hinblick auf die nächsten Haushaltsberatungen: Lassen Sie uns die Mittel dafür kräftig erhöhen, und lassen Sie uns ein faires Handelsabkommen zwischen der EU und den USA abschließen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU] und Klaus Ernst [DIE LINKE])