Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Minister Heil,
ich finde, es ist ein gutes Signal, dass sich der Bundesminister die Debatte hier anschaut. Es geht um den Arbeitsmarkt Ost. Und auch wenn uns der Antrag bekannt vorkam, liefert er doch eine wichtige Erkenntnis, nämlich dass die ostdeutschen Beschäftigten im Durchschnitt tatsächlich deutlich weniger verdienen und auch deutlich länger arbeiten als Beschäftigte in Westdeutschland und dass ein Drittel der ostdeutschen Beschäftigten im Niedriglohnsektor arbeitet. Sie benennen auch die geringe Tarifbindung als zentrales Problem, und in der Sache, stimme ich, stimmt die SPD Ihnen natürlich absolut zu. Wir müssen die Tarifbindung unbedingt stärken; wobei sich die SPD noch bisschen mehr vorstellen kann als das, was in Ihrem nicht so ausführlichen Antrag steht. Sie finden vieles dazu in unserem Wahlprogramm. Hubertus Heil spricht wirklich bei jeder Gelegenheit die Schaffung eines Bundestariftreuegesetzes als notwendige Maßnahme an, und wir als SPD sehen das ganz genauso.
(Beifall bei der SPD)
Und ja, wir müssen aufpassen, dass in westdeutschen Konzernzentralen nicht wieder vermehrt Entscheidungen gegen ostdeutsche Standorte getroffen werden. Wir erwarten – das hat der Arbeitsminister von Sachsen, Martin Dulig, formuliert –, dass man auch in schwierigen Zeiten zur Verantwortung für alle Standorte steht. Wir müssen noch selbstbewusster artikulieren: Der Osten ist nicht der Reservekanister des Westens. Es kann nicht sein, dass, wenn es wirtschaftlich eng wird, eine Konzentration auf Westdeutschland stattfindet, um dort die Standorte zu sichern. Allerdings stört mich an Ihrem Antrag das leider ein bisschen typische Schwarz-Weiß-Denken; das werden Sie vielleicht auch noch von anderen Rednern aus anderen politischen Ecken hören. Ja, wir haben einen Mangel an Mitbestimmung; aber die Behauptung, dass durch die Wiedervereinigung gute, also demokratische Mitbestimmungsstrukturen aus der DDR verschwunden wären, ist doch ziemlich verwegen.
(Beifall bei der SPD)
Und: Ja, die Treuhand hat sehr viele Fehler gemacht, und es ist unbedingt notwendig, dass wir das kritisch aufarbeiten und dass wir über die Politik und auch die Interessen, die da zum Zuge gekommen sind, sprechen. Aber dass viele DDR-Unternehmen auch einfach nicht überlebensfähig waren, das sollte man vielleicht auch nicht komplett ausblenden.
(Beifall bei der SPD)
Ich finde es aber vor allen Dingen schade und auch irgendwie total erstaunlich, dass in Ihrem Antrag von den Beschäftigten als Akteure so gar nichts zu spüren und zu lesen ist. Dabei ist es doch eigentlich bemerkenswert und richtig toll, dass gerade im Schatten der Pandemie so viele Beschäftigte, gerade in Ostdeutschland, für höhere Löhne, für mehr Rechte und für ihren Standort gekämpft haben.
(Beifall bei der SPD)
Es gab 80 Streiks im Osten. Heute findet ein NGG-Aktionstag in Weißenfels zum Thema „Fleischindustrie bei Tönnies“ statt; die IG Metall streitet für gleiche Arbeitszeiten in Ost und West und fordert ein Anpassungsgeld. Hier entsteht eine neue gesellschaftliche Bewegung; ich würde es fast einen neuen Arbeitnehmerfrühling nennen. Der Osten ist selbstbewusster geworden. Es wird, glaube ich, in der Rückschau ganz stark unterschätzt, was die Massenarbeitslosigkeit und die einseitige Macht der Unternehmer in den letzten 30 Jahren mit den Beschäftigten im Osten gemacht haben. In den 90er-Jahren waren alle einfach nur froh, wenn sie ihren Job behalten konnten. Sie haben eine Art Verzichtsbündnis mit ihren Chefs geschlossen: Ich behalte meinen Job, und ich fordere auch nichts – nicht höhere Löhne, keine besseren Arbeitsbedingungen; keinen Betriebsrat. – De facto ist vielen Beschäftigten damals der Zahn gezogen worden. Viele haben ihr Selbstbewusstsein verloren und manche auch ihren Stolz. Das hat konkrete Folgen. Viele verdienen deswegen weniger. Dass jeder dritte Ostdeutsche im Niedriglohnbereich arbeitet, ist eine Folge genau dessen. Manche kommen mit ihrem Einkommen nur gerade so über die Runden; im Alter droht Altersarmut. Genau für diese Menschen, für diese Aufbaugeneration, haben wir die Grundrente durchgesetzt.
(Beifall bei der SPD)
Jetzt kommt eine neue Generation nach, die diese Ungerechtigkeit, die unterschiedlichen Löhne, nicht mehr duldet. Viele davon sind junge Frauen, und sie sagen: Wir streiken, wir streiten für höhere Arbeitslöhne und bessere Arbeitsbedingungen. – Das ist der richtige Weg. Das ist auch viel effektiver, als mit Pegida um den Block zu rennen und so den Frust über die Politik zu artikulieren; denn für die Höhe der Löhne sind die Beschäftigten selbst verantwortlich.
(Beifall bei der SPD)
Wir als SPD stehen an der Seite dieser mutigen Beschäftigten. Wir flankieren, indem wir die Fleischindustrie reguliert haben – Grüße noch mal nach Weißenfels!, – (Beifall bei der SPD) indem wir einen Mindestlohn eingeführt haben – ja, er muss steigen; aber es ist gut, dass wir ihn haben –, indem wir für mehr Tariftreue kämpfen werden, indem wir Menschen unterstützen, die Betriebsräte gründen wollen. Dafür bringen wir noch in dieser Legislatur das Betriebsrätemodernisierungsgesetz auf den Weg.
(Beifall bei der SPD)
Insofern: Daumen hoch für alle mutigen Beschäftigten in Ost und in West, die sich für ihre Arbeitsbedingungen einsetzen. Vielen Dank