Land Grabbing stellt heutzutage ein zentrales Problem der Nahrungsmittelversorgung dar. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Landnahme muss eingedämmt werden um für mehr Nahrungsmittelsicherheit zu sorgen.

Dr. Sascha Raabe (SPD):
Noch immer liegt die größte entwicklungspolitische Herausforderung in der weltweiten Bekämpfung von Hunger und Armut. Aktuell leiden über 900 Millionen Menschen an Hunger. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Zum einen führen die stetig wachsende Weltbevölkerung und die veränderten Ernährungsgewohnheiten – vorwiegend der Menschen in den asiatischen Schwellenländern – zu einer Bedarfszunahme von Lebensmitteln. Zum anderen tragen der vermehrte Anbau von Bioenergieträgern, die durch Erosion und Versalzung unwirtschaftlich gewordenen Flächen für die Landwirtschaft und die durch den Klimawandel hervorgerufenen Naturkatastrophen zunehmenden Ernteausfälle zu einer Verringerung der fruchtbaren Landflächen und Produktionsmengen von Nahrungsmitteln bei. Die diesjährigen Ernteausfälle in Russland und Pakistan bestätigen diese Entwicklung.
Zum einen führen alle diese Faktoren zu einem erhöhten Bedarf an begrenzten Ressourcen wie Lebensmitteln und pflanzlichen Energieträgern, zum anderen wird fruchtbares Land zu einem noch kostbareren Gut. Begehrte Güter rufen Spekulanten auf die Tagesordnung, die versuchen, sich am Bedarf knapper Güter zu bereichern. Leider ist das nicht nur an den Finanzmärkten der Fall, sondern auch an den zur Ermittlung des Preises für Grundnahrungsmittel zuständigen Warenterminbörsen. Die Nahrungsmittelkrise im Frühjahr 2008 war ein erster großer Vorbote dessen, was zunehmend bei der Entwicklung von Nahrungsmittelpreisen und damit bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln zu beobachten sein wird. Finanzspekulanten an den Warenterminbörsen, die kein wirkliches Kaufinteresse am Produkt haben, versuchen durch kurzfristige Käufe und Verkäufe mit der Preisentwicklung von Nahrungsmitteln den großen Reibach zu machen. Das ist verwerflich und ethisch nicht zu vertreten. Daher haben wir als SPD-Bundestagsfraktion mit einem Antrag – ich meine Drucksache 17/3413 – gegen diese Spekulationen ein Zeichen gesetzt. Aber es sind nicht nur die unverantwortlichen Spekulationen an den Warenterminbörsen, die es zu kontrollieren und einzudämmen gilt. Gleiches gilt auch für die Spekulationen mit Land und der großflächigen Landnahme in den Ländern des Südens. Die Welthungerhilfe stellt in einem Bericht fest: „Bis 2030 müsste die heute verfügbare landwirtschaftliche Fläche um 515 Millionen Hektar wachsen, um eine ausreichende Produktion von Agrar-, Energie- und Forsterzeugnissen zu sichern.“ Das entspräche ungefähr der Hälfte der Fläche Europas. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung versuchen staatliche Akteure, vor allem aber private Investoren aus Industrie- und Schwellenländern, sich mit langfristigen Pacht- oder Kaufverträgen große Agrarflächen in Entwicklungsländern zur Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln und Energiepflanzen zu sichern. Fast 90 Prozent der Investitionen im Bereich Land Grabbing wird von privaten Kaufinteressenten getätigt.
Zwar hat es schon immer ausländische Landpacht oder Landkäufe gegeben – neu sind jedoch Ausmaß und Geschwindigkeit dieses Landerwerbs. Laut einer Studie von FAO/IFAD wurden allein seit 2004 in nur fünf afrikanischen Ländern Vereinbarungen über mehr als 2,5 Millionen Hektar Land abgeschlossen. Schätzungen des International Food Policy Research Institut, des IFPRI, gehen davon aus, dass innerhalb der letzten fünf Jahre Verkäufe und Verpachtungen von 15 bis 20 Millionen Hektar landwirtschaftlich nutzbarer Fläche in Entwicklungsländern getätigt wurden. Doch diese Einschätzung erscheint recht konservativ. Aktuell laufende Studien der Weltbank und anderer Organisationen deuten darauf hin, dass es bereits weit großflächigere Landakquise gibt als angenommen. Die im Oktober 2008 von
der Nichtregierungsorganisation GRAIN veröffentlichte Liste mit über 100 Fällen von käuflicher Landnahme dürfte bereits deutlich überholt sein.
Mit ein Grund für diese rasante Entwicklung sind die auf den Finanzmärkten als Investment getätigten Land Deals. Die Erwartung steigender Renditen bei Investitionen in Land scheint Anleger zu locken, die auf den Kaufpreis spekulieren. Schon jetzt werden erste Investmentfonds aufgelegt, die Agrarflächen kaufen und durch die zunehmende Landverknappung auf die Wertsteigerung der jeweils erworbenen Flächen spekulieren. Es wird somit auf Kosten von Menschenleben spekuliert. Denn das perfide dabei ist: Zielländer der Investoren sind insbesondere die Länder, in denen die Bevölkerung vorwiegend selbst von der Landwirtschaft lebt, gleichzeitig die Versorgung mit Nahrungsmitteln immer kritischer und aufgrund der Entwicklungen durch den Klimawandel immer schwieriger wird. Länder wie Sudan oder Äthiopien gehören zu den größten Empfängern des UN-Welternährungsprogramms. Gleichzeitig jedoch werden hier große Teile fruchtbaren Bodens verkauft. Der Großteil der angebauten Produkte ist jedoch für den Export bestimmt. Auf dem Binnenmarkt finden sich die Produkte nicht wieder und tragen damit auch nicht zur Wertschöpfung im Ursprungsland bei.
Aber nicht nur der Export der Ware stellt langfristig ein Problem für die dort lebende Bevölkerung dar. Oftmals werden beim Erwerb der Landflächen Landrechte der lokalen Bevölkerung missachtet; die Einbindung oder eine Beteiligung der ansässigen Dorfgemeinschaften oder Kleinbauern findet so gut wie nicht statt. Zumeinen wird dabei durch den Anbau großflächiger Monokulturen unter dem Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden das ursprüngliche Ökosystem aus dem Gleichgewicht gebracht; dadurch ist die Existenz vieler einheimischer Pflanzen bedroht. Zum anderen werden vorwiegend Ländereien erworben, bei denen eine Wasserversorgung problemlos möglich ist. Durch den Kauf oder die Pacht von Land gehen auch die an die Flächen gebundenen Entnahme- und Nutzungsrechte für Wasser an die Investoren über, oder die entsprechenden Rechte werden mitverpachtet. Damit erweitert sich das Problem der Landverknappung zunehmend auch auf die nutzbaren Wasserbestände.
Das aufgezeigte Szenario verdeutlicht, wie schwierig es ist, durch die rapide Zunahme von Land Grabbing Hunger und Armut in der Welt erfolgreich zu bekämpfen. Dem unkontrollierten Landkauf muss der Riegel vorgeschoben werden. Der vorliegende Antrag stellt daher nicht zu Unrecht die besondere Bedeutung des Menschenrechts auf Nahrung in den Vordergrund. Das ist eine richtige und wichtige Forderung, die ich so mittrage. Ebenso verhält es sich mit dem im Antrag enthaltenen Passus bezüglich der Stärkung ländlicher kleinbäuerlicher Strukturen.Was ich im vorliegenden Papier allerdings schmerzlich vermisse ist die Einbeziehung aller relevanten Dimensionen, die es beim Thema Land Grabbing zu beachten gilt. Neben der menschenrechtlichen Komponente, sind es vor allem Bedingungen sozialer und umweltpolitischer Natur. Auch die rechtliche Bindung von Investoren an die Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards fehlt. Der Kauf von Landflächen muss umfassender an bestimmte Kriterien geknüpft werden. Menschenrechte sind dabei die wesentlichen, aber nicht die einzigen Rechte, die es zu schützen gilt.
Ich sehe das Phänomen Land Grabbing darüber hinaus als ein Puzzleteil im Themenfeld der ländlichen Entwicklung. Hier gehört es angesiedelt und in ein Konzept integriert, das die Probleme der ländlichen Entwicklung umfassend beleuchtet und versucht, das Problem an der Wurzel zu packen. Nur so haben wir eine Chance, gegen das menschenverächtliche Vorgehen vieler Investoren erfolgreich anzukämpfen.
Trotz aller negativen Seiten des Landkaufs, muss versucht werden die richtigen Steuerungsinstrumente zur Verfügung zu stellen, um die positiven Effekte der Investitionen in Land zu nutzen. Uns muss es auf internationaler Ebene gelingen, die Mitspracherechte und Beteiligungen der betroffenen Bevölkerung rechtlich so auszugestalten, dass vor allem die lokalen Produzenten von der Zusammenarbeit profitieren. Lösungsansätze die in diese Richtung gehen, gilt es weiterzuentwickeln.