Rede von Lars Klingbeil zur Operation Atalanta am 17.12.2009 im Deutschen Bundestag
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Lassen Sie mich zu Beginn etwas sagen, was mir persönlich sehr wichtig ist: Egal ob wir, der Deutsche Bundestag, wie in der vergangenen Sitzungswoche über die Verlängerung der Mandate von ISAF und OEF oder wie heute von Atalanta und Althea entscheiden, egal wie stark der jeweilige Einsatz im Fokus des öffentlichen Interesses steht, egal ob wir für oder gegen die Verlängerung dieser Einsätze stimmen, eines sollte dieses Hohe Haus einen – ich sage das bewusst unter dem Eindruck der gestrigen Debatten –: der Respekt, die Wertschätzung und die Unterstützung für unsere Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien, die wir gemeinsam in solch schwere Auslandseinsätze schicken.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
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Wir alle haben eine Verantwortung wahrzunehmen, gegenüber der Öffentlichkeit, aber auch bei Debatten hier im Haus. Das hohe Gut der Parlamentsarmee können wir gar nicht hoch genug schätzen. Es ist unsere Verpflichtung als Abgeordnete, mit dem hohen Gut der Parlamentsarmee verantwortungsvoll umzugehen, dieses Prinzip zu stärken und zu verteidigen.
Bei einer Parlamentsarmee gehört es dazu, dass wir Abgeordnete nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden. Gerade deshalb haben wir das Recht und – ich betone – auch die Pflicht, alle Informationen einzufordern und dort, wo wir nicht ausreichend informiert wurden, aktiv zu werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Minister zu Guttenberg, vor diesem Hintergrund will ich in aller Deutlichkeit sagen: Ich bin von Ihrem gestrigen Versuch enttäuscht, das Hohe Haus in seiner gemeinsamen Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten zu spalten; das lassen wir nicht zu. Wir Abgeordnete stehen gemeinsam zu unserer Verantwortung; wir stehen hinter unseren Soldatinnen und Soldaten, egal ob sie in Kunduz oder am Horn von Afrika im Einsatz sind.
Die Sozialdemokratie wird ihrer Verantwortung auch dadurch gerecht, dass sie heute der Verlängerung des Atalanta-Mandats zustimmen wird. Dieser Einsatz ist nicht frei von Kritik; aber ich sehe ihn als notwendig an. Die humanitäre Situation in Somalia ist noch immer katastrophal; wir dürfen nicht wegsehen. Deswegen ist es richtig, dass wir begonnen haben, zu handeln. Atalanta ist ein Garant dafür, dass Hilfslieferungen die leidende Bevölkerung erreicht haben und die Situation auf der See stabilisiert wurde.
Die Piraterie hat allerdings kein Ende genommen. Deswegen müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden. Lassen Sie uns also aufhören, zivile und militärische
Maßnahmen gegeneinanderzustellen. Der Militäreinsatz verschafft Luft zum Handeln, wenn es darum geht, zivile Maßnahmen zu ermöglichen; die militärische Präsenz schreckt ab und dämmt ein. Zur Wahrheit gehört auch, dass die organisierte Piraterie nicht in die Opferrolle gesteckt werden darf. Wo Kriminalität begangen wird, muss sie konsequent und schnell bekämpft werden.
Natürlich ist auch klar: Militärische Maßnahmen sind nicht die Lösung des Problems der Piraterie, erst recht nicht im Hinblick auf die Herausforderungen in Somalia. Ziel muss es sein, die Grundlage für eine friedliche Existenz in der Region zu schaffen. Deswegen brauchen wir eine ernsthafte politische Strategie, die Somalia eine Perspektive aufzeigt. Der Kampf gegen Hunger muss durch eigenständige Entwicklung ermöglicht werden.
Der Aussöhnungsprozess in Somalia muss aktiv begleitet werden. Die Grundlagen für staatliche Strukturen in Somalia sind zu schaffen. Nur ein solch umfassender Ansatz kann dazu führen – das will ich betonen –, dass die somalische Bevölkerung eigene Verantwortung übernehmen kann.
(Beifall bei der SPD)
Wir müssen mit den Anrainerstaaten an einer regionalen Sicherheitsstruktur arbeiten. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Anrainerstaaten aktiv an der Piratenbekämpfung beteiligen und dass sie auch aktiv daran beteiligt sind, wenn es darum geht, die Entwicklung Somalias voranzutreiben. Militärisches Engagement ist kein Ersatz für Staatlichkeit und die innere Entwicklung Somalias. Deshalb ist zu begrüßen, dass die spanische Regierung angekündigt hat, während ihrer EU-Ratspräsidentschaft eine Initiative zu ergreifen, die einen umfassenden Sicherheitsbegriff beinhaltet. Ich betone es noch einmal: Das militärische Engagement muss dazu führen, dass sich die Staaten der Region ihrer Verantwortung stellen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich intensiv für die Schaffung eines internationalen Seestrafgerichtshofs einzusetzen, damit eine Verfolgung der Piraten stattfinden kann.
(Beifall bei der SPD)
Wenn Straftaten begangen werden, muss sichergestellt sein, dass rechtsstaatliche Verfahren stattfinden können und auch Konsequenzen haben. Auch die Reedereien
müssen wir stärker an ihre Verantwortung erinnern.
Der Atalanta-Einsatz bedeutet auch, dass wir deutschen Unternehmen helfen, indem wir zivile Schifffahrts- und Handelswege sichern, aber das darf kein Freifahrtschein für diese Unternehmen sein. Deswegen müssen wir unsere Erwartungen an die Reedereien klar und deutlich formulieren. Lassen Sie uns an die Reedereien appellieren: Ihr habt selbst an eurer Sicherheit mitzuarbeiten, mit ausreichend technischen Maßnahmen, mit ausreichend Personal und vor allem dadurch, dass ihr euch an die vorgegebenen Routen und auch an die Konvoiplanung haltet. Alle haben eine Verantwortung, wenn es darum geht, der Piraterie entgegenzutreten.
Deswegen müssen sich alle an die vereinbarten Spielregeln halten.
(Beifall bei der SPD)
Wie meine Vorredner gestern und heute weise ich darauf hin, dass wir diese Mission noch optimieren können. Wir haben mit OEF, Active Endeavour, Atalanta und vielen nationalstaatlichen Missionen eine Parallelität an Einsätzen, die wir besser koordinieren müssen. Wir fordern deswegen die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass zumindest eine ständige Planungskonferenz aller beteiligten Seestreitkräfte und internationalen Akteure installiert wird, um eine Verbesserung der Koordination zur Bekämpfung der Piraterie zu erreichen.
Die SPD-Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Ich bitte Sie um die Unterstützung für unseren Entschließungsantrag. Nutzen Sie in der Regierung die breite Mehrheit hier im Parlament, aber auch international, um Atalanta in eine umfassende Sicherheitsstrategie einzubetten. Nur so kann die Piraterie bekämpft werden, nur so kann ihr der Nährboden entzogen werden, und nur so eröffnen wir Somalia eine Perspektive.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)