Sehr geehrte/r Frau Präsidentin/Herr Präsident,
Werte Kolleginnen und Kollegen,

Grundlage unserer heutigen Debatte ist die Entwicklung in Aserbeidschan und der dazu eingebrachte gemeinsame Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen.

Aserbaidschan vollzieht seit seiner Unabhängigkeit eine betont westlich orientierte Außenpolitik und hat enge und vielfältige Beziehungen zur Europäischen Union. Seit 2009 verläuft der Großteil dieser Zusammenarbeit im Rahmen der Östlichen Partnerschaft. Diese Form der europäischen Nachbarschaftspolitik zielt auf eine weitreichende Annäherung zwischen den Partnerländern und unterstützt dort umfassende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen.

Seit dem Jahr 2010 wird über ein Assoziierungsabkommen mit dem Ziel einer vertieften partnerschaftlichen Kooperation verhandelt. Innerhalb der EU ist Deutschland einer der wichtigsten Partner für Aserbeidschan. Für die Weiterentwicklung und Vertiefung der Beziehungen und die weitere Stabilität Aserbaidschans ist aus unserer Sicht aber eine Intensivierung der Aktivitäten für eine umfassende Modernisierung erforderlich. Dies gilt insbesondere im politischen und gesellschaftlichen Bereich.

Am 16. Oktober 2013 finden die Präsidentschaftswahlen statt. Amtsinhaber Ilham Alijev, der schon die Wahlen von 2003 und 2008 gewonnen hatte, tritt zum dritten Mal an. Dies ist nach zweimaliger Wahl für ihn nur möglich, weil durch ein Referendum 2009 die Amtsbegrenzung des Präsidenten aufgehoben wurde. Im internationalen Beobachterkreis geht man davon aus, dass er auch diesmal wiedergewählt wird.

Das Präsidentenamt in Aserbeidschan ist geprägt von weitreichenden Vollmachten. So ernennt und entlässt das Staatsoberhaupt den Ministerpräsidenten und die Minister, die allein ihm verantwortlich sind. Dem Parlament gegenüber muss er sich nicht rechtfertigen, ja er kann es sogar auflösen. Und er kann Rechtsverordnungen erlassen, hat das Vorschlagsrecht für die Ernennung aller Richter und setzt die Verwaltungschefs der 66 Provinzen ein.

Die Nationalversammlung wird als ein faktisch machtloses Einkammerparlament mit 125 Abgeordneten, die nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt werden, eingeschätzt. Hier hat die Regierungspartei „Neues Aserbaidschan (YAP) mit 72 Sitzen die Mehrheit.

Die Erfahrungen der letzten 20 Jahre sowie die stattgefundenen Wahlen zeigen auch vor dem Hintergrund von Wahlbeobachtungsmissionen, dass es de facto in diesen beiden Jahrzehnten keine freien und unabhängigen Wahlen gegeben hat. Wir sehen es sehr kritisch, dass weder in den Bereichen Demokratie noch Rechtsstaatlichkeit in der zurückliegenden Zeit wirklich nennenswerte Fortschritte erfolgt sind, oder das nachhaltige Schritte in diese Richtung erkennbar gewesen wären. Leider sehen wir mit Sorge zunehmend einen autoritären Kurs der aserbaidschanischen Regierung mit systematischer Unterdrückung der Opposition. Bei der Präsidentschaftswahl 2008 und auch bei der Parlamentswahl 2010 gab es schwerwiegende Verstöße gegen die internationalen Standards. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierte erhebliche Unregelmäßigkeiten und Manipulationen vor, während und nach den Wahlgängen. Dies gilt insbesondere für die Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die Behinderung der unabhängigen Berichterstattung und die Benachteiligung von oppositionellen Kandidatinnen und Kandidaten.

Die von Präsident Alijev 2009 durchgesetzte Möglichkeit zur unbegrenzten Verlängerung seiner Amtszeit ist als schwerer Rückschlag für die Demokratisierung Aserbaidschans zu werten.

Die internationale Gemeinschaft ist also aufgerufen, sich vor den anstehenden Wahlen frühzeitig darum zu bemühen, dass demokratische Verfahren strikt eingehalten und durch die OSZE überwacht werden. Leider verstärken sich nämlich auch die Anzeichen dafür, dass der Status der OSZE herabgestuft werden soll, um ihr das Mandat zur Wahlbeobachtung im Oktober zu entziehen.

Aserbaidschan benötigt für eine umfassende Modernisierung eine selbstbewusste und vielfältige Zivilgesellschaft. Doch auch hier müssen wir feststellen, dass sich die Menschenrechtslage in den letzten Jahren weiter verschlechtert hat. Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind stark eingeschränkt, und regierungskritische Kundgebungen werden nicht genehmigt. Proteste werden häufig gewaltsam aufgelöst, die Teilnehmer verhaftet und in verkürzten Verfahren zu längeren Haftstrafen verurteilt. Immer häufiger trifft es vor allem Jugend- und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten. Mit großer Sorge sehen wir auch Berichte aus dem Land, die uns über Misshandlungen und Folter von Inhaftierten, leider auch mit Todesfolge, informieren.

Nichtregierungsorganisationen (NGO’s) und oppositionelle Parteien haben große Schwierigkeiten bei ihrer Registrierung, was zu faktischer Arbeitsunfähigkeit führt. Seit dem 1. März 2013 müssen nach dem sogenannten „Grant-Gesetz“ inländische NGO’s jede Förderung über 200 Manat (entspricht ca. 200 €) bei den staatlichen Finanzbehörden anzeigen. Und sie dürfen nur von registrierten Organisationen Gelder empfangen. Da aber die meisten internationalen Akteure nach wie vor nicht registriert sind, ist eine effektive zivilgesellschaftliche Aktivität nahezu unmöglich.

Im weltweiten Vergleich in der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen steht Aserbaidschan auf Platz 162 von 179. Fernseh- und Radiosender werden vom Staat umfassend kontrolliert. Behörden behindern Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Arbeit. Häufig werden sie mit willkürlichen Verhaftungen und Misshandlungen bedroht, massiv bedrängt, ihre Ausrüstung beschlagnahmt oder gar zerstört. Ebenso kommt es zu Verurteilungen in unter Vorwänden begründeten, politisch motivierten Prozessen.

Entscheidend für die politische und langfristige wirtschaftliche Modernisierung Aserbaidschans ist die Unabhängigkeit des Justizwesens, sowohl bei der Auswahl der Richter wie auch bei der Urteilsfindung. Für ein souveränes, berechenbares und transparentes Rechtssystem sind umfassende rechtsstaatliche Reformen dringend erforderlich.

Die notwendige ökonomische Modernisierung sowie eine breitere Aufstellung seiner Wirtschaft kann Aserbaidschan aus eigener Kraft alleine nicht leisten. Unterstützung ist hier geboten, denn wir sind über verschiedenste Kooperationen verbunden.

Für die EU gehört das Land zu den bedeutendsten Lieferanten und wichtigsten Transitländern fossiler Rohstoffe und ihre Mitgliedstaaten sind seine wichtigsten Handelspartner und Abnehmer von Exportgütern. Immer noch setzt Aserbaidschan jedoch einseitig auf Abschöpfung von Gewinnen aus dem Rohstoffexport statt auf Nachhaltigkeit. Viele Industrieanlagen sind marode, die Infrastruktur veraltet, ganze Industriezweige liegen brach. Die mangelnde Bekämpfung von struktureller Korruption und Klüngelwirtschaft behindern die wettbewerbsorientierte Weiterentwicklung der Wirtschaft und die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich.

Auch in der Bevölkerung ist eine zunehmende Unzufriedenheit mit der aktuellen Lage zu spüren. Das Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystem in Aserbaidschan bedarf dringend einer grundlegender Reform. Hier herrscht ebenfalls Korruption statt sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Von den Einnahmen aus den Rohstoffexporten profitiert vor allem ein kleiner Kreis autokratischer Eliten. Die Bevölkerung hat so gut wie nichts davon. Die wachsenden privaten Bildungsangebote kann kaum jemand bezahlen und die Qualität der öffentlichen Bildung sinkt. Die Gesundheitsversorgung ist für den Großteil der Bevölkerung mangelhaft.

Schließlich ist der andauernde Konflikt mit Armenien um Berg-Karabach eine große Belastung für jegliche Modernisierungsbemühungen. Das manifestiert sich durch die massive Aufrüstung und die laufende Kriegsrhetorik der Konfliktparteien. Aus unserer Sicht gilt hier: Nur die Erarbeitung einer langfristigen Friedenslösung, die Aserbaidschan und den Menschen in der Region Berg-Karabach gerecht wird, kann den Konflikt lösen. Der jahrelange Stillstand der Verhandlungen gibt jedoch zu Befürchtungen Anlass, dass die Bereitschaft zur Konfliktlösung auf beiden Seiten eher unzureichend hierfür ist.

Der derzeitige politische Kurs der aserbaidschanischen Regierung steht leider dem Ausbau der Zusammenarbeit mit der EU im Weg. Denn auch nach dem 2001 erfolgten Beitritt Aserbaidschans zum Europarat bleiben Zweifel an der Respektierung und Umsetzung der Werte, die in der dortigen Satzung festgeschrieben sind. Das Land muss sich, wie alle anderen auch, messen lassen an der Gewährleistung von Grund- und Menschenrechten sowie der Einhaltung von demokratischen und rechtsstaatlichen Standards. Eine weitere Annäherung an die europäische Wertegemeinschaft kann es daher nur mit eingehenden politischen Reformen und der aktiven Bereitschaft zum gesellschaftlichen Wandel im Land geben.

Im bilateralen wie europäischen Dialog müssen wir dies deutlich entschiedener einfordern. Und die Kräfte in Aserbaidschan, die sich zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten bekennen, verdienen unsere Unterstützung durch die stärkere Förderung des grenzüberschreitenden Austauschs.

Wir haben in unserem gemeinsamen Antrag 18 konkrete Forderungen an die Bundesregierung formuliert, die zu einer umfassenden Modernisierung und Respektierung der Menschenrechte in Aserbeidschan beitragen sollen. Darunter sind unter anderem:

Das gemeinsame Vorgehen der Mitgliedstaaten der EU bei Maßnahmen zur Behebung rechtsstaatlicher Defizite sowie Schritte zur Demokratisierung und Stärkung der Zivilgesellschaft.

Dazu gehört auch das gemeinsame Drängen, dass die aserbaidschanische Regierung bereits ausgehandelte Teile des Assoziierungsabkommens mit der EU einhält bzw. umsetzt. Gemeinsam müssen wir Aserbaidschan auf seine mit der Mitgliedschaft im Europarat und in der OSZE übernommenen Verpflichtungen hinweisen; das gilt auch für die Durchführung einer Langzeit-Wahlbeobachtungsmission bei den bevorstehenden Wahlen.

Neben einer bilateralen und internationalen Kooperation zur Förderung der Pressefreiheit müssen wir uns auf höchster politischer Ebene für die sofortige Freilassung und Rehabilitierung inhaftierter Medienvertreterinnen und -vertreter und aller politischen Gefangenen einsetzen.

Und wir sollten unsere Besorgnis über die zunehmende Inhaftierung von Jugend- und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, die Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie über die Misshandlung durch Staatsbedienstete noch deutlicher ausdrücken.

Desweiteren sollte Aserbaidschan mehr Mittel in die öffentliche Bildung investieren, die Korruption hier ernsthaft und gezielt bekämpfen und die Qualität insgesamt für alle steigern. Studierende, die wegen ihres Eintretens für europäische Werte zwangsexmatrikuliert wurden, sollten innerhalb der EU Studienmöglichkeiten und Stipendien erhalten.

Zur Förderung intensiverer Kontakte der aserbeidschanischen Bevölkerung mit EU-Bürgern plädieren wir auf europäischer Ebene für eine Lockerung der Visabestimmungen, um insbesondere den zivilgesellschaftlichen Austausch und die Begegnungen mit den Demokratien Europas zu fördern. Natürlich bleiben Sicherheitsinteressen dabei beachtet. Schon jetzt sollten jedoch bei der Visavergabe von den deutschen Auslandsvertretungen vorhandene Spielräume des geltenden EU-Rechts offensiv genutzt werden.

Den wirtschaftlichen Fortschritt wollen wir durch die Förderung von Alternativen zum Export fossiler Rohstoffe, den Ausbau erneuerbarer Energien und die Erhöhung der Energieeffizienz unterstützen, mit Kooperationsprojekten sowie Wissens- und Technologietransfer. Und auch in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit muss entschiedener auf Fortschritte im Bereich der Menschenrechte, bei der Demokratisierung sowie der Rechtsstaatlichkeit gedrängt werden.

All dies würde Aserbaidschan und die Europäische Union näher zusammenbringen und der friedlichen, demokratischen Entwicklung zum Vorteil der Menschen im südöstlichen Teil unseres Kontinents dienen.