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Manfred Zöllmer (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wirtschafts- und Währungsunion hat viele Väter: Giscard d'Estaing, Helmut Schmidt, Helmut Kohl,
François Mitterrand, um nur einige zu nennen. Sie hat die Idee verbunden, die wirtschaftliche Integration in Europa mit einem einheitlichen Währungsraum zu vollenden. Dahinter stand die Vision einer politischen Union, einer gemeinsamen Währung als Ausdruck einer kollektiven europäischen Identität. Die währungspolitische Integration in Europa ist Schritt für Schritt vorangekommen.
Die Einführung des Euro war ein Glücksfall, auch für Deutschland;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

denn der Euro war und ist ein Hort der Stabilität. Ohne ihn müssten wir jetzt über völlig andere Krisenszenarien in Europa sprechen, als wir es jetzt tun. All dies – Integration, Einführung des Euro – ist von den Linken, damals noch PDS, konsequent bekämpft und abgelehnt worden. Gilt das jetzt eigentlich noch? Sie formulieren in Ihrem Antrag: „Die Europäische Währungsunion ist bedroht.“ Jetzt wollen Sie offenkundig das, was Sie vorher vehement bekämpft haben, retten, nach dem Motto: Wir wissen nicht, was wir wollen, aber das mit ganzer Kraft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Griechenland hat über einen sehr langen Zeitraum massiv über seine Verhältnisse gelebt. Es gibt eine große Wettbewerbsschwäche des Landes. Griechenland steht vor dem Problem, sein exorbitantes Haushaltsdefizit zu finanzieren. Griechenland hat ein fiskalisches Problem. Lieber Kollege Schlecht, es ist im Übrigen wirklich aberwitzig, die deutsche Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt als Ursache dieser Probleme zu bezeichnen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liest man den Antrag der Linken, so findet man überhaupt nichts zu der Verantwortung Griechenlands, seine Probleme zuerst selbst zu lösen. In Ihrem Antrag fordern Sie des Weiteren, die EZB, also die Europäische Zentralbank, solle Staatsschuldtitel entsprechend der Praxis in den USA erwerben dürfen, um damit Haushaltsfinanzierung zu betreiben. Ich sage Ihnen ganz klar: Das geht gar nicht.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Richtig!)

Wir wollen aus der Stabilitäts- keine Inflationsunion machen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen Defizite abbauen – das sage ich auch in Richtung CDU/CSU und FDP –, im Übrigen auch in Deutschland. Schauen Sie sich das einfach einmal an. Die griechische Krise zeigt, dass das System des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes überprüft werden muss. Was ist zu tun? Griechenland hat einen glaubwürdigen Haushaltsplan vorgelegt, der schnell umgesetzt werden muss. Griechenland braucht dringend ein funktionierendes und gerechteres Steuersystem,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

ein System, das sicherstellt, dass auch die Besserverdienenden sich an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen. Griechenland braucht dringend entschiedene Maßnahmen gegen die grassierende Korruption. Wir brauchen Wahrheit und Klarheit über die Zahlen. Es darf nicht wieder passieren, dass Eurostat sozusagen hereingelegt wird, dass Entscheidungen auf einer völlig falschen Datengrundlage getroffen werden. Wir brauchen darüber hinaus ein entschiedenes Vorgehen gegen die Spekulanten, die in dieser Situation Griechenland und auch andere Länder weiter destabilisieren wollen. Wir brauchen im Euro-Raum eine stärkere Koordination der Wirtschaftspolitiken; denn eine nationale Zinsund Wechselkurspolitik steht nicht mehr zur Verfügung. Wir müssen aber auch darüber nachdenken, wie wir ein System der Bereitstellung von Notfallliquidität schaffen, das den strikten Grundsatz des No-bail-out – Artikel 125 des EU-Vertrages – nicht außer Kraft setzt, sondern durch ein Notfallsystem ergänzt wird. Das ist entscheidend.

(Beifall bei der SPD)

Nun schauen wir uns einmal an, wie die Bundesregierung in dieser Situation agiert hat. Statt beruhigend zu wirken, wurde Öl ins Feuer gegossen.

(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt wird es falsch! – Dr. Volker Wissing [FDP]: Bis dahin war es richtig! So hätte es weitergehen können!)

– Nein, das ist völlig richtig. – Uns wurde ein besonderes Schauspiel der Regierungskunst vorgeführt. Es kam der Vorschlag der Kanzlerin, man möge unbotmäßige Mitglieder der Währungsunion einfach hinauswerfen.

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wer sagt das?)

Gut, darüber kann man nachdenken, aber nicht laut, wenn man deutsche Bundeskanzlerin ist. Mit wem ist dieser Vorschlag eigentlich abgestimmt worden? Wie soll das durchgesetzt werden? Welche Verbündeten gibt es? Viele Fragen, auf die die Regierung keine Antwort hatte.

In der Süddeutschen Zeitung hieß es nur: „Abfuhr für Merkel“. Jean-Claude Trichet von der EZB sagte, er werde solche „absurden Hypothesen“ nicht kommentieren. Dann gab es den nächsten Akt, den man überschreiben kann mit „Schäuble gegen Merkel“ oder „Merkel gegen Schäuble“, wie auch immer. Der Bundesfinanzminister hielt es für „blamabel“, wenn der Eindruck entstünde, die EU könne sich nicht selbst helfen. Er war der Meinung, der IWF sei zu stark amerikanisch dominiert und bei Hilfe durch den IWF könnten die Amerikaner in die Haushaltspolitik der EU-Länder eingreifen. Dann gab es die Befürchtung, dass die Unabhängigkeit der EZB möglicherweise beeinträchtigt sei. Das waren substanzielle, fundamentale Bedenken, und der Bundesfinanzminister hatte deshalb einen anderen Vorschlag gemacht, nämlich den eines EWF.

Auf einmal kam die Kehrtwende um 180 Grad, Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Nun soll es doch der IWF sein. Ich sage sehr deutlich: Das wäre eine Möglichkeit; denn der IWF hat in Lettland, Ungarn und anderen Ländern bereits geholfen. Lieber Kollege Schlecht, die Linke lebt ja größtenteils in den 80er-Jahren – auch Sie; das haben Sie hier deutlich gemacht –; aber Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass sich der IWF unter Strauss-Kahn deutlich verändert hat. Er ist nicht mehr der neoliberale Teufel, der er früher in der Tat einmal war.

Liebe Bundesregierung, was war das für ein blamables Schauspiel, das insgesamt hier gegeben wurde!

„Merkel brüskiert EU-Partner“, titelte die Financial Times Deutschland. Dieses Agieren der Bundesregierung ist der Situation nicht angemessen, passt aber nahtlos in die bisherige Performance, die die Bundesregierung hier abgegeben hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)