Sascha Raabe macht in seiner Rede deutlich, dass der Antrag der Regierungsfraktionen zum Erreichen der Milleniumsziele mit Hilfe der deutschen Wirtschaft unzureichend ist. Wachstum alleine sei nicht entscheidend für die Entwicklung in Entwicklungsländern. Anstatt soziale Kernelemente der Entwicklungsarbeit miteinzubeziehen, setzt der Vertrag allein auf PPPs (Public Private Partnerships). Doch ein überwiegender Teil der PPP Mittel fließen jedoch laut Ministerium meistens in Schwellenländer und nicht in die am wenigsten entwickelten Länder.

Dr. Sascha Raabe (SPD):

„Entwicklung durch Wachstum“ – bereits der Titel des vorliegenden Antrags belegt erneut die stark wirtschaftszentrierte Auffassung von Entwicklungszusammenarbeit, der die Koalitionsparteien folgen. Die in dem Antrag aufgeführten Punkte bestätigen einmal mehr, dass das Engagement der Fraktionen der CDU/CSU und FDP rein darauf zielt, Außenwirtschaft und Investitionen zu fördern, woraus in diesem Verständnis automatisch Entwicklung resultiert. Der Antrag ignoriert sämtliche sozialen Kernelemente, für die wir uns seit Jahren im Bereich der deutschen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit starkgemacht haben. Wir lehnen den Antrag daher entschieden ab; schließlich sind wir doch in der entwicklungspolitischen Debatte längst entscheidende Schritte weiter.
Meine Kritik darf an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden. Ich erachte es grundsätzlich als richtig, dass die Privatwirtschaft durch ihre Investitionen in Entwicklungsländern positiv zur Entwicklung beitragen kann.
Meine Fraktionskolleginnen und -kollegen sehen das genauso. Doch Wachstum alleine reduziert Armut nicht; dieser Ansatz greift schlicht zu kurz. Die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt können nur von einem breitenwirksamen inklusiven Wachstum mit guten Arbeitsplätzen und fairen Löhnen profitieren.
Wir haben während unserer Regierungszeit die sogenannten Public Private Partnerships eingeführt und stets befürwortet. Wir erkennen die Vorteile, die diese Partnerschaften in Entwicklungsländern haben können. Hier liegt unsere Position nicht weit von der Koalitionsmeinung entfernt. Kapital und Investitionen privatwirtschaftlicher Unternehmen können Arbeitsplätze schaffen und damit die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Menschen in diesen Ländern verbessern. Aus meiner Sicht ist dieser Punkt unstrittig.
Doch ich sage bewusst: Sie können die Situation verbessern. Von einem Kausalzusammenhang oder einem Automatismus zu sprechen, ganz nach dem Motto „Eine Investition schafft Arbeitsplätze und bringt damit Entwicklung“, missachtet die realen Gegebenheiten. Ich lehne daher diese Linearität entschieden ab. Mit der Errichtung von Produktionsstandorten alleine ist es längst nicht getan. Nur nachhaltiges und breitenwirksames inklusives Wachstum kann zu einer nachhaltigen Etablierung von Entwicklungsstandards und -strukturen beitragen. In dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP allerdings bleibt der Aspekt der Nachhaltigkeit nahezu völlig außen vor, worüber ich mich sehr stark wundere.
Mehr als fraglich ist für mich, warum Aspekte der Unternehmensverantwortung eine derart untergeordnete Rolle spielen beziehungsweise völlig ignoriert werden. Im Feststellungsteil heißt es:
Deutschland ist ein erfolgreicher Akteur auf den globalen Märkten, der sich weltweit für die Verbesserung von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards einsetzt.
Hier wird also vorausgesetzt, dass jedes deutsche Unternehmen, das in Entwicklungsländern unternehmerisch tätig ist, die genannten Standards wahrt. Das ist leider schlichtweg falsch. Zwar gibt es viele deutsche Unternehmen, die sich freiwillig etwa den OECD-Leitsätzen zur Unternehmensverantwortung verschrieben haben und durchaus faire Arbeitsbedingungen bieten. Aber leider gibt es auch deutsche Unternehmen, die die Arbeiter mit Niedriglöhnen vor Ort ausbeuten und Umwelt- und Gesundheitsstandards nicht einhalten. In vielen Ländern Afrikas sind Investitionen im Rohstoffsektor beispielsweise nicht Segen, sondern Fluch.
Bei privatwirtschaftlichem Engagement in Entwicklungsländern geht es nicht um das Ob. Darüber besteht schließlich Konsens. Vielmehr geht es um das Wie, und das spart der vorliegende Antrag völlig aus. Die eigentliche Fragestellung, die wir an Unternehmen herantragen müssen, ist: Orientieren Unternehmen, die in Entwicklungsländern investieren, ihr Engagement an sozialen Normen? Begleichen sie die Arbeit der Menschen dort mit fairen Löhnen? Tragen sie dazu bei, dass durch die Zahlung gerechter Steuern Strukturen sozialer Sicherung aufgebaut und etabliert werden können? Bieten sie ihren Angestellten und deren Familien einen Basisschutz? Halten sie sich an Antikorruptionsvereinbarungen, um Geklüngel mit den Landesregierungen zu vermeiden? Verpflichten sie sich auf die Einhaltung menschenrechtlicher Grundsätze? Begünstigen sie damit die Entwicklung in den ärmsten Ländern der Welt langfristig, sodass auch die nachkommenden Generationen davon profitieren?
Diese vielen Fragen lässt der Antrag unbeantwortet, was auf dessen Eindimensionalität zurückzuführen ist. Wir brauchen kein reines Wachstum in Entwicklungsländern. Wir brauchen ein breitenwirksames, inklusives Wachstum, das die genannten Aspekte einbezieht.
An dieser Stelle komme ich wieder auf den Titel des Antrags zurück. „Der Beitrag der deutschen Wirtschaft zum Erreichen der Millenniumsziele“ lautet der Beisatz. Ein Versprechen, das zunächst sehr vielversprechend klingt. Doch weit gefehlt: Über die Nennung hinaus finden die Millenniumsziele so gut wie keine Erwähnung mehr im Text. So steht unter Punkt 3 im Feststellungsteil:
Außenhandel und Investitionen deutscher Unternehmen sind förderlich für das Erreichen der Ziele der deutschen Entwicklungspolitik, die sich eng an den Millenniumszielen der Vereinten Nationen orientiert.
Die Millenniumsziele müssen bis 2015 erreicht sein, doch noch – das ist keine Neuigkeit – sind wir in vielen Punkten weit davon entfernt, die Maßgaben einzuhalten. Die Betrachtungsweise, dass durch verstärkte Außenhandelsförderung quasi automatisch die Millenniumsziele erreicht werden können, verfehlt die Realität. Hier brauchen wir konkrete Konzepte und keine Allgemeinplätze.
Grundsätzlichster Punkt meiner Kritik ist jedoch einer, der im Grunde allen anderen übergeordnet ist. Folgt man der eingangs beschriebenen kausalen Argumentation, nach der Investitionen zu Wachstum und somit zu Entwicklung führen, wird der Wille deutscher Unternehmen, in Entwicklungsländern zu investieren, vorausgesetzt: eine Annahme, die sehr stark zu bezweifeln ist. Bereits in der Fragestunde am 28. September 2011 hat uns das Ministerium dargelegt, dass der überwiegende Teil der PPP-Mittel in Schwellenländer und nicht in die am wenigsten entwickelten Länder fließt. Wir bräuchten also Konzepte, wie mehr private Investitionen, die zu einem breitenwirksamen inklusiven Wachstum mit guten Arbeitsplätzen zu fairen Löhnen führen, in den ärmsten Entwicklungsländern getätigt werden. Dazu ist Ihr Antrag unbrauchbar. Deshalb lehnen wir ihn ab.