Die Idee eines Euro-Parlaments ist für viele Abgeordnete in Straßburg ein Reizwort. Doch das zu Unrecht. Denn mit der alten Idee einer dritten Kammer aus nationalen Parlamentariern
hat der Vorschlag nichts zu tun. Europäische Demokratie ist undenkbar ohne das Europäische Parlament. Aber: Die EU wächst weiter, sie differenziert sich vermutlich noch stärker aus. Und vor allem in der Euro-Zone bedarf es einer verbindlichen Koordinierung und Abstimmung der nationalen Politiken. Es besteht die Gefahr einer Spaltung. Dennoch ist ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten immer noch besser als ein Europa des Stillstands.
Die öffentliche Aufmerksamkeit Europas richtet sich nach wie vor auf die Gipfeltreffen der Exekutive. Europapolitische Vorstöße und Befreiungsschläge werden vor allem von den Staats- und Regierungschefs erwartet. Aber das kann doch nicht allen Ernstes ein demokratieverträgliches Entscheidungsmodell für das Europa des 21. Jahrhunderts sein! Große Entscheidungen erfordern öffentliche Debatten und eine stabile demokratische Legitimation.
Genau daran krankt es aber. Derzeit wuchert ein wildes Geflecht nationaler und europäischer Maßnahmen und Überwachungsmechanismen. Solange aber die Gelder für Bürgschaften und Hilfspakete in erster Linie aus nationalen Steuermitteln zur Verfügung gestellt werden, kann die parlamentarische Legitimation nicht allein durch das Europäische Parlament wahrgenommen werden.
Die Staats- und Regierungschefs haben im Schatten der Krise eine exekutivlastige Politik der Hinterzimmer geschaffen. Das geht zulasten der Gemeinschaftsorgane, insbesondere der Kommission und des Europäischen Parlaments. Warum setzen die Parlamentarier der "Kreativität" der Regierungen eigentlich keine eigenen Ideen entgegen? Die Alternativen lauten doch nicht Europäisches Parlament oder nationale Parlamente, sondern "Räterepublik" oder Europa der Parlamente.
Ein Euro-Parlament müsste sich paritätisch aus Europaabgeordneten und nationalen Parlamentariern der Euro-Staaten zusammensetzen. Aus der Mitte der EU-Kommission wählen sie einen europäischen Finanzminister, der die nationalen Haushalte überwacht. Das Euro-Parlament beschließt politische Leitlinien für die Budgets der Euro-Staaten - beispielsweise Korridore für die Besteuerung von Unternehmen, Mindeststandards für die Gesundheitsversorgung, die Altersvorsorge sowie das Bildungs- und Betreuungssystem. Bei Verstößen gegen die Haushaltsdisziplin beschließt das Euro-Parlament auf Vorschlag des EU-Finanzministers Sanktionen.
Dies wäre eine neue Qualität europäischer Integration, die eben nicht rein intergouvernemental verliefe. Neben die Währungsunion könnte endlich eine echte, parlamentarisch kontrollierte Wirtschafts-, Fiskal- und Sozialunion treten. Auch Mitgliedstaaten, die derzeit den Euro noch nicht eingeführt haben, wären eingeladen, mehr Demokratie in Europa zu wagen.
Es ist richtig: Ein solches Modell wäre ganz schön kompliziert. Aber das sollte uns die Demokratisierung Europas allemal wert sein.
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