Für Heiko Maas ist diese Frage eindeutig: Facebook hat es nicht geschafft, seiner Verantwortung auf der eigenen Plattform nachzukommen. Nach Monaten hin und her, runden Tischen mit Unternehmensvertretern, Vereinbarungen über Selbstverpflichtungen zwischen Staat und Wirtschaft hat der Justizminister genug. Mit dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG) will er Betreiber sozialer Netzwerke durch scharfe Regelungen und hohe Bußgelder zu schnelleren Reaktionen auf strafbare Inhalte zwingen.

Doch ist fraglich, ob das Ziel damit erreicht wird. Der Gesetzentwurf aus dem Ministerium wurde auf breiter Front kritisiert, etwa von Experten, deren Einschätzungen scheinbar schlicht übergangen wurden, und sogar aus dem eigenen Haus. Es gibt Bedenken, das Gesetz könnte zur Einschränkung der Meinungsfreiheit führen, da die Netzwerke wohl lieber zu viele als zu wenige Inhalte löschen würden, um Gesetzesverstöße um jeden Preis zu meiden. Auch die europarechtliche Vereinbarkeit scheint nicht abschließend gesichert. Der Bundestag hat nach Überarbeitung das Gesetz nun beschlossen.

Doch unabhängig von den Problemen des konkreten Gesetzes – ist das Eingreifen des Staates in dieser Angelegenheit überhaupt gerechtfertigt? Darf es Unternehmen zur Beihilfe bei der Durchsetzung geltenden Rechts zwingen? Die intuitive Antwort wäre wohl: Nein. Doch der Schein trügt, der digitale Raum ist ein völlig neues, mit vergangenen Entwicklungen kaum vergleichbares Phänomen. Neu ist, dass ein privates Unternehmen einen quasi-öffentlichen Raum bereitstellt. Diese Feststellung ist ein entscheidender Schritt, denn plötzlich überschneiden sich private und staatlich-hoheitliche Verantwortung. Denn dass der Staat Verantwortung für öffentlichen Raum trägt, ist unbestritten.

Es treffen gesellschaftliche Welten aufeinander

Nun ein Blick auf den derzeitigen Zustand in den Netzwerken. Dass in Teilen der Bevölkerung ein gewisses extremistisches Gedankengut vorhanden ist, ist längst erwiesen. Oft wird dabei verzerrend von „Stammtischparolen“ gesprochen. Entscheidend ist, dass derartige, meist unüberlegte Gedanken nur im kleinen, privaten Kreis äußert werden. Mit Facebook und Co. haben sich jedoch die Reichweite von Meinungen und die Möglichkeiten des Austauschs multipliziert. Die wenigsten nehmen die Plattformen dabei als öffentlichen Raum wahr. Einmal gepostet, ist ein Gedanke manifestiert, und die Reaktionszahlen schießen durch die Decke. Es treffen gesellschaftliche Welten aufeinander, Menschen in verschiedensten Lebenssituationen. Verschiedene Umgangsformen führen zu schweren Kommunikationsfehlern.

Dass dieses Phänomen eine völlig neue Herausforderung ist, steht außerfrage, es entbindet die Netzwerkbetreiber aber nicht von ihrer Verantwortung. Kommen sie dieser nicht nach, obwohl sie allein schon finanziell problemlos in der Lage wären, muss der Staat Rahmenbedingungen setzen. Diese müssen Unternehmen zum einen zu einer angemessenen Moderation des Umgangs im digitalen Raum anhalten, zum anderen aber auch gewährleisten, dass die Meinungsfreiheit durch zu scharfe Fristen nicht eingeschränkt wird. Im Falle des NetzDG gibt es also noch Nachholbedarf. Zu betonen ist aber auch, dass die digitale Gesetzgebung erst am Anfang steht und vor allem durch zivilgesellschaftlichen Druck erst angestoßen wurde.

Selbstverständlich sollte eigentlich sein, dass zuallererst jeder und jede Einzelne für einen respektvollen zwischenmenschlichen Umgang Verantwortung trägt, sei es in der Schule, bei der Arbeit, am Stammtisch oder eben in sozialen Netzwerken. Erst danach sind die Betreiber und an letzter Stelle der Staat ordnungspolitisch verantwortlich.