Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Als vor zehn Jahren die rot-grüne Bundesregierung die Strukturprobleme auf dem Arbeitsmarkt anpackte, gab es vier Millionen Arbeitslose und eine weitere Million Menschen, die in Beschäftigungsmaßnahmen „geparkt“ waren. Heute hat sich die Zahl der Arbeitslosen fast halbiert. Die vermeintliche Schönwetterlage auf dem Arbeitsmarkt ist aber nur die Ruhe vor dem Sturm.

Im Zuge der demografischen Entwicklung und einer stärker auf Wissen basierenden Wirtschaft wird der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften steigen und das Arbeitskräfteangebot insgesamt zurückgehen. Während die Arbeitsmarktpolitik Jahrzehnte lang vom Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit geprägt war, droht uns nun ein gespaltener Arbeitsmarkt – mit Fachkräftemangel auf der einen und Langzeitarbeitslosigkeit sowie prekärer Beschäftigung auf der anderen Seite.

Recht auf Weiterbildung

Die Antwort auf diese Herausforderung muss eine investive Arbeitsmarktpolitik sein, mit einer neu zu schaffenden Arbeitsversicherung. Die Arbeitsversicherung soll – ergänzend zu den Leistungen der bisherigen Arbeitslosenversicherung – die Risiken von beruflichen Übergängen und Erwerbsunterbrechungen besser absichern und gleichzeitig Chancen für Neuanfänge und berufliches Fortkommen eröffnen. Denn immer seltener üben Menschen denselben Beruf ein Leben lang am selben Ort und für dasselbe Unternehmen aus. Die traditionelle Arbeitslosenversicherung, die nachsorgend statt präventiv ansetzt, kann viele dieser neuen Risiken nicht mehr ausreichend absichern.

Kern einer solchen Arbeitsversicherung soll ein Recht auf Weiterbildung und damit verbunden das Recht auf Freistellung sowie Entgeltfortzahlung in der Qualifizierungsphase sein. Das ergibt nur Sinn, wenn die Finanzierung solide ist: Zunächst wird ein Teil des Beitrags der Arbeitslosenversicherung angespart. Hinzu kommen muss eine Ko-Finanzierung, die je nach Einzelfall von Arbeitgebern, durch tarifliche Fonds, die Beschäftigten selbst oder auch aus Steuermitteln erbracht wird. Mit einer so organisierten, neuen Arbeitsversicherung kann Arbeitslosigkeit entgegen gewirkt werden, bevor sie entsteht.

Keine Frage: diese Vorsorge wird Geld kosten, aber diese Investitionen wären eine gute Anlage. Denn sie werden helfen, Arbeitslosigkeit zu verhindern, vielen Menschen den sozialen Aufstieg zu ermöglichen und so den drohenden Fachkräftemangel im Keim zu ersticken. Vor allem wird sie helfen, dass Menschen stabile Erwerbsbiografien und gute Einkommen haben. Das ist der beste Schutz vor Altersarmut. Die Debatte über die Sicherung des Rentenniveaus muss auch vorsorgende Elemente wie die Arbeitsversicherung mit einbeziehen.

Flexibilisierung der Arbeit

Neben der Arbeitsversicherung ist eine flexiblere Arbeitszeitpolitik notwendig. Nur wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über ihre Arbeitszeiten und ihr Arbeitszeitvolumen souveräner bestimmen können, gelingt die Balance von Arbeit und Leben. Das nützt den Unternehmen wie auch den Beschäftigten. So sind dann auch Phasen der Weiterqualifizierung möglich. Das gilt ganz besonders für diejenigen, die in der „Rushhour“ ihres Lebens stecken. Menschen, die zwischen 25 und 50 Jahre alt sind und neben Karriere und Familiengründung immer häufiger auch die Pflege Angehöriger bewältigen.

Beschäftigte sollen es leichter haben, ihre Ansprüche auf Teilzeit oder – umgekehrt – die Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit durchzusetzen. Das Instrument von „Zeitguthaben“ hat sich in vielen Unternehmen zur Flexibilisierung der Arbeit bewährt. Es hilft, Konjunktureinbrüche ohne Entlassungen zu überbrücken und ermöglicht individuelle Phasen der Arbeitsreduzierung. Mit einem verbindlichen rechtlichen Rahmen könnten auch Beschäftigte in kleineren Betrieben oder beim Arbeitsplatzwechsel von Zeitguthaben profitieren.

Deutschlands Weiterbildungsinfrastruktur muss dafür einen gewaltigen Qualitätssprung nach vorne machen und ausgebaut werden. Die Bausteine dafür sind vorhanden: Deutschland hat gute Berufsschulen. Da die Zahl der Berufsschülerinnen und -schüler aus demografischen Gründen stetig zurückgeht, können sie verstärkt für Bildung in der zweiten Lebenshälfte genutzt werden.

Geld, Zeit und Infrastruktur

Die drei Säulen Geld, Zeit und Infrastruktur, die eine investive Arbeitsmarktpolitik ausmachen, lassen sich nicht von heute auf morgen errichten. Schritt für Schritt muss die Arbeitslosenversicherung deshalb weiterentwickelt werden. Dabei kann jetzt schon aus den Erfahrungen der Tarifpartner gelernt werden. Der Tarifvertrag zur lebensphasengerechten Arbeitszeit in der Chemischen Industrie Ostdeutschlands etwa sieht Fonds vor, die es ermöglichen, die Arbeitszeit von Beschäftigten in belastenden Arbeitssituationen und bestimmten Lebensphasen zu verringern. Neue Brücken am Arbeitsmarkt baut man nicht über Nacht, aber es lohnt sich für alle.