1. Wie hat sich die Krise entwickelt?
Die aktuelle Eurokrise steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie ist nach der weltweiten Bankenkrise 2007/2008 und dem ebenfalls globalen Wachstumseinbruch 2008/2009 die dritte Welle der Krise. Was auf den Finanzmärkten begann, hat zuerst die Realwirtschaft mitgerissen und erfasst jetzt als Schulden- und Spekulationskrise die Staaten.
Wegen der hohen Ausgaben zunächst zur Bankenrettung und dann zur Konjunkturstützung sowie durch massive Steuerausfälle haben sich viele Staaten in den letzten Jahren zusätzlich verschulden müssen. Dies traf besonders geschwächte Staaten wie Griechenland, die bereits zuvor einen hohen Schuldenstand, eine wenig wettbewerbsfähige Wirtschaft und eine stark negative Handelsbilanz aufwiesen. Die dritte Welle der Finanz- und Wirtschaftskrise entblößt auf dramatische Weise die Instabilität des europäischen Wirtschaftsraums, die durch die großen wirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone entsteht. Am schwächsten Glied riss die Kette: So musste Griechenland bereits unmittelbar nach der Lehman-Pleite im Herbst 2008 eine Herabstufung seiner Kreditwürdigkeit durch die Rating-Agenturen hinnehmen. Eine massive Verschärfung erfuhr das Griechenland-Problem dann im Herbst 2009, nachdem die neugewählte sozialdemokratische Regierung Papandreou öffentlich machte, dass die Vorgängerregierungen die tatsächlichen Defizite des Landes durch Scheingeschäfte und Datenfälschungen auch gegenüber der EU in großem Umfang verschleiert hatten. Die massive Korrektur der griechischen Finanzdaten setzte eine sich immer schneller drehende Spirale aus Rating-Abwertungen, Zinssteigerungen auf griechische Anleihen und spekulativen Geschäften auf den Kreditausfall in Gang, die im März dieses Jahres die drohende Zahlungsunfähigkeit des Landes zur Folge hatte.
In dieser Situation fasste der EU-Gipfel am 25. März den Beschluss, Griechenland gegebenenfalls zu helfen, spezifizierte aber weder konkrete Maßnahmen noch Zeitpunkt und Umfang der möglichen Hilfe. Insbesondere die Bundesregierung verwies monatelang darauf, dass Griechenland keine Hilfe beantragt habe, dass kein Entscheidungsbedarf bestehe und konkretere Festlegungen sogar schädlich seien. Auf europäischer Ebene aber hatte Merkel einer entsprechenden Entscheidung schon längst zugestimmt.
Diese unklare Lage fachte die Unruhe auf den Märkten weiter an. Neben Griechenland gerieten nun weitere Eurostaaten mit hohem Verschuldungszuwachs wie Portugal, Spanien oder Irland in den Strudel steigender Zinsen auf Anleihen und litten unter steigenden Refinanzierungskosten an den Märkten. Die weiter steil ansteigenden Refinanzierungskosten für Griechenland machten schnell klar, dass das Land im April keine Anleihen mehr zu vertretbaren Zinsen würde platzieren können – Griechenland forderte am 23. April Beistand von EU und IWF. Ein 110-Milliarden-Euro-Rettungspaket wurde geschnürt, an dem sich Deutschland mit Kreditbürgschaften von 22,4 Milliarden Euro über drei Jahre beteiligt.
Die zögerliche und langwierige Entscheidungsfindung führte zu einer Verstärkung des Misstrauens gegenüber der Fähigkeit der EU, mit dem Verschuldungsproblem der Mitgliedstaaten angemessen umzugehen. Es begann eine Spekulation gegen den Euro, die am Nachmittag des 7. Mai und am 8. Mai zu einem Absturz des Eurokurses gegenüber dem US-Dollar führte.
In dieser Situation beschloss der Deutsche Bundestag am 7. Mai die Griechenland-Hilfe. Wenige Stunden nachdem führende Politiker der schwarz-gelben Koalition auf kritische Fragen der SPD beteuerten, es sei nun „kein Cent mehr“ erforderlich, musste die Regierung Merkel schon einem vielfach größeren Rettungspaket zustimmen. Die Details dieses großen Euro-Rettungspaktes wurden von Samstag, dem 8. Mai, bis in den frühen Montagmorgen hinein von den EU-Finanzministern ausgehandelt.
Der Bundestag wurde über die Ergebnisse dieser Verhandlungen am Montag, dem 10. Mai, erstmals offiziell informiert. Die von den Finanzministern vereinbarte Schaffung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus wurde schon am 11. Mai formell beschlossen, noch bevor der Bundestag den Verordnungsvorschlag zugesandt bekommen hatte. Damit wurde das Recht des Bundestages zur Stellungnahme gemäß Art. 23 Abs. 3 GG verwehrt. Eine Mitwirkung des Europäischen Parlaments wurde durch die Wahl der Rechtsgrundlage (Artikel 122 Abs. 2 AEUV, siehe unten) ebenfalls ausgeschlossen.
2. Welche Rolle spielte die Bundesregierung bei der Entwicklung der Krise?
Die Bundesregierung hat wegen interner Differenzen zwischen Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble sowie aufgrund parteipolitischer Rücksichtnahme auf die Landtagswahl in NRW den europäischen Entscheidungsprozess seit Beginn dieses Jahres behindert und verzögert.
Schäuble hatte die umfassendere Dimension des Problems erkannt und mit seinem Plädoyer für einen Europäischen Währungsfonds schon vor dem EU-Gipfel im März ein Gesamtkonzept zum Umgang mit dem europäischen Verschuldungsproblem in Aussicht gestellt. Es ließ allerdings die Dringlichkeit der Lage völlig außer Acht. Denn ein solcher Fonds konnte für den Fall Griechenland keine Lösung bieten. Die Kanzlerin bremste die Überlegungen ihres Finanzministers ebenso aus wie sie die Notwendigkeit kurzfristiger Maßnahmen leugnete. Allen Entwicklungen an den Finanzmärkten zum Trotz hoffte Merkel, eine Diskussion über einen deutschen Hilfsbeitrag über den Zeitpunkt der NRW-Wahl hinausschieben zu können.
Die internationalen Beobachter sind sich einig: Kanzlerin Angela Merkel hat mit ihrem wochenlangen Taktieren in der Griechenlandfrage die Gefährdung der gesamten Eurozone mit herauf beschworen und die Rettung der gemeinsamen Währung viel teurer gemacht als nötig. Zudem hat sie Deutschlands Position in Europa geschadet. Sie hat den Eindruck erweckt, die Rettung des Euro – und damit letztlich auch der europäischen Einigung insgesamt – habe mühsam gegen den Widerstand Deutschlands durchgesetzt werden müssen. So hat sie Deutschland in die Isolation geführt und wurde dann von den Ereignissen und den Entscheidungen anderer Regierungen überrollt.
3. Woraus besteht das Euro-Rettungspaket, das am 9./10. Mai beschlossen wurde? Welchen Anteil muss Deutschland tragen?
Das Euro-Rettungspaket stützt sich auf die Ausnahmevorschrift in Art. 122 (2) des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV, „Lissabon-Vertrag“): Voraussetzung der Maßnahmen sind demnach außergewöhnliche Ereignisse, die sich der Kontrolle der EU-Mitgliedsstaaten entziehen. Der Rettungsschirm für den Euro umfasst 750 Milliarden Euro und besteht im Kern aus drei Instrumenten, mit denen Staaten des Euroraums geholfen werden kann, um eine drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden:
- Bis zu 60 Milliarden Euro direkter Kredithilfen durch den EU-Haushalt als Gemeinschaftsinstrument, das die EU-Kommission verwaltet. Dazu hat der Rat der Finanz- und Wirtschaftsminister (ECOFIN) am 11. Mai eine Verordnung beschlossen, die schon in Kraft ist.
- Bis zu 440 Milliarden Euro Kredithilfen durch eine Finanzierungsgesellschaft (SPV = „special purpose vehicle“, dt. „Zweckgesellschaft“), die von den Eurostaaten (nicht von der EU selbst) neu zu gründen ist, Geld aufnehmen und an hilfsbedürftige Eurostaaten weiter reichen kann. Dabei wird die Geldaufnahme des SPV anteilig von den Euro-Mitgliedstaaten garantiert. Zum deutschen Anteil daran heißt es in der Kabinettvorlage des BMF vom 10. Mai: „Für die Bundesrepublik Deutschland errechnet sich aus der oben genannten intergouvernmentalen Vereinbarung ein maximales Garantievolumen von 123 Milliarden Euro. Bei unvorhergesehenem und unabweisbarem Bedarf kann die Garantieermächtigung mit Einwilligung des Haushaltsausschusses um 20 Prozent überschritten werden.“ Also ergibt sich ein Bürgschaftsvolumen für Deutschland von bis zu 147,6 Milliarden Euro.
- Bis zu 250 Milliarden Euro zusätzlicher Beistandskredite des IWF.
Viele Fragen zur Gründung, Steuerung und Arbeitsweise der speziellen Finanzierungsgesellschaft sind offen. Das Kabinett hat zwar am 11. Mai den Gesetzentwurf für eine Gewährleistungsermächtigung beschlossen und will ihn am 19. Mai in erster Lesung in den Bundestag einbringen. Ein Vertragsentwurf für die Zweckgesellschaft, der – so Staatssekretär Jörg Asmussen (BMF) vor dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages am 12. Mai – nicht durch die Europäische Kommission, sondern von den Mitgliedsstaaten selbst verhandelt werden muss, liegt jedoch nicht vor und wurde vom Kabinett nicht behandelt. Dennoch soll das Parlament nach dem Willen der Bundesregierung schon am 21. Mai abschließend über die Kreditermächtigung entscheiden.
Aus der Unterrichtung des Haushaltsausschusses wurde deutlich, dass die Bundesregierung auf dem Europäischen Rat am 7. Mai von der Entwicklung überrascht wurde und nicht vorbereitet war. Die Vermutung liegt nahe, dass Grundlage der Entscheidung Blaupausen zur Eurokrise waren, die seit Februar und März existierten, damals von der Bundesregierung blockiert und vor der deutschen Öffentlichkeit verborgen wurden. Denn in zwei Tagen wären Kommission und Rat wohl kaum in der Lage gewesen, so weitreichende Beschlüsse auszuarbeiten und vorzulegen, einschließlich einer präzise ausformulierten Verordnung für den ersten Teil des Pakets.
Auch dies spricht für die Isolation der Bundesregierung und die daraus folgende Schwäche Deutschlands in Europa. Laut Auskunft des BMF, hätten lediglich die Niederlande und Malta allenfalls in Ansätzen die deutsche Position unterstützt. Alle anderen Mitgliedsstaaten seien für den Europäischen Stabilitäts-Mechanismus gewesen, wohl aber in Form von Euro-Bonds, die direkt durch die EU-Kommission emittiert würden. Die Zweckgesellschaft scheint also der einzige deutsche Beitrag gewesen zu sein. Und gerade sie ist vollkommen ungeklärt.
Fazit: Die Bundesregierung hat in der Eurokrise mehrfach ihre Informationspflicht gegenüber dem Deutschen Bundestag verletzt. Die Regierung Merkel hat das Parlament hingehalten und getäuscht. Sie hat das Recht des Bundestages verletzt, vor europäischen Rechtssetzungsakten Stellung zu nehmen. Schon im Falle des Griechenland-Rettungspaketes folgte auf die Verschleppung eine überhastete Beschlussfassung des Parlaments. Auch jetzt soll der Bundestag wieder genötigt werden, auf unzureichender Informationsgrundlage eine Entscheidung von immenser Tragweite zu treffen.
4. Worin besteht die Rolle der EZB im Rahmen des Rettungspakets?
Unmittelbar hat die Europäische Zentralbank (EZB) als unabhängige Institution keine Rolle im Rettungspaket für den Euro. Sie hat sich allerdings bereit erklärt, die Rettungsbemühungen der EU und der Mitgliedsstaaten dadurch zu unterstützen, dass sie abweichend von ihrer bisherigen Politik Staatsanleihen betroffener EU-Staaten aufkauft, so deren Kurse stützt und damit die Zinsen niedrig hält. Die EZB hat bereits unmittelbar nach der Entscheidung der EU-Finanzminister am 10. Mai mit solchen Ankäufen begonnen.
5. Wie real ist die Gefährdung des Euro?
In der Eurozone lag die durchschnittliche öffentliche Neuverschuldung im Jahr 2009 – gemessen am BIP – bei 6,3 Prozent. Das entsprach dem Zehnfachen des Defizits im letzten Vorkrisenjahr 2007 und dem Doppelten der Obergrenze des Maastrichtvertrages. Der Schuldenstand in der Eurozone – wiederum gemessen am BIP – stieg allein zwischen 2007 und 2009 von 66 auf 79 Prozent, in der Tendenz weiter stark ansteigend. Insofern hat die Besorgnis über die öffentlichen Haushalte in Europa einen realen Hintergrund.
Andererseits kann mit dieser Situation nicht der galoppierende Vertrauensverlust der letzten Wochen erklärt werden, denn die Defizitzahlen und ihre Entwicklung sind allen Marktteilnehmern seit längerem bekannt. Verändert hat sich angesichts der Zähigkeit im Entscheidungsprozess der EU und der internen Zerstrittenheit über die Griechenlandhilfe offenbar die Einschätzung der Märkte, inwieweit ein dauerhaft tragfähiger Umgang mit diesen Defiziten gestaltet werden kann. Ein Grund für diese veränderte Einschätzung ist mit Sicherheit die Schwierigkeit der Eurozone, sich auf gemeinsame Strategien zu einigen. Auch die Bilder von Streiks und Gewalt in Griechenland mögen zur Skepsis beigetragen haben.
Diese veränderte Beurteilung der Lage, nicht die Lage selbst, führte nun offenbar zur massiven Spekulation gegen den Euro, die dann zum Kurssturz am 7./8. Mai geführt hat.
Das beispiellose Rettungspaket für den Euro hat nach der Beschlussfassung offenbar zunächst die sich selbst verstärkende Spekulation gestoppt. Um den Euro wieder in ein wirklich sicheres Fahrwasser zu bringen, wird es aber darauf ankommen, neben den Kreditgarantien des Rettungspakets wirksame Maßnahmen sowohl zur Bekämpfung der Spekulation wie auch zur Verbesserungen der Haushaltssituation in allen Mitgliedstaaten umzusetzen. Die notwendige Haushaltskonsolidierung umfasst dabei nicht nur Einsparungen, sondern auch Einnahmeverbesserungen, wie dies sowohl die griechische als auch jetzt die portugiesische Regierung beschlossen hat.
Die Entwicklungen der letzten 10 Tage bestätigen mit aller notwendigen Klarheit die Position der SPD-Bundestagsfraktion: Eine reine Kreditermächtigung reicht nicht aus, um die Eurokrise nachhaltig zu bekämpfen. Wir müssen an die Wurzel der Krise gehen, schädliche Finanzmarktprodukte verbieten, Spekulationen wirksam eindämmen und die Finanzmarktakteure substantiell und dauerhaft an den Kosten der Krise beteiligen, so dass auch die Konsolidierung der staatlichen Haushalte gelingen kann. Wir fordern daher die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die sowohl kurzfristige Finanzgeschäfte eindämmen als auch Einnahmen für öffentliche Aufgaben sichern kann.
6. Wie funktioniert die Spekulation gegen den Euro?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, auf fallende Kurse von Wertpapieren oder von Währungen wie dem Euro zu spekulieren.
Eine Möglichkeit sind so genannte „Leerverkäufe“. Spekulanten machen ein Termingeschäft: Sie verkaufen eine bestimmte Menge an Euro, die sie noch gar nicht besitzen, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft und erwartungsgemäß zu einem geringerem als dem aktuellen Kurs. Das Signal an die Märkte: Wir rechnen damit, dass der Kurs bis zum Fälligkeitszeitpunkt noch niedriger sein wird, als der von der Option garantierte Kurs. Die Spekulanten könnten sich dann am Markt billig Euros verschaffen und zum zuvor festgelegten Kurs sofort weiterverkaufen. Die Differenz wäre ihr Gewinn. Wenn nun in großen Stil solche Wetten auf fallende Kurse abgeschlossen werden, entsteht für bisherige Euro-Anleger ein Verkaufsdruck, um dem offenbar breit erwarteten Kursverfall zuvor zu kommen. Das Angebot an Euros steigt bei tendenziell konstanter oder sogar sinkender Nachfrage. Folge: Der Kurs sinkt tatsächlich, die Spekulation hat sich selbst erfüllt.
Eine andere Möglichkeit ist der Kauf sogenannter „credit default swaps“ (CDS), eigentlich Zahlungsausfallversicherungen auf in Euro emittierte Staatsanleihen. Werden solche Papiere in spekulativer Absicht von Käufern nachgefragt, die damit gar kein Zahlungsausfallrisiko abzusichern haben, weil sie keine Anleihen halten, steigt insbesondere für schwächere Eurostaaten der Preis für ihre Schuldenfinanzierung am Markt. Die Anleger, die sich mit CDS gegen den Kreditausfall absichern wollen, verlangen einen höheren Zins, um die gestiegenen Versicherungskosten bzw. das durch sie zum Ausdruck kommende höhere Risiko abzudecken. Folge: Je höher der Preis der CDS umso höher die Zinskosten der Emittenten und umso so höher die Wahrscheinlichkeit, die vorhandene Schuldenlast tatsächlich nicht mehr schultern zu können. Auch hier der gleiche Effekt einer sich selbst erfüllenden Wette.
Um die Märkte auf die beschriebene oder vergleichbare Weise bewegen zu können, müssen die Spekulanten riesige Summen für ihre Ausgangswetten einsetzen. Nur so entsteht eine glaubwürdige Markterwartung. Der größte Teil dieser Summen muss von den Spekulanten selbst geliehen werden, deshalb ist ein allgemein niedriges Zinsniveau eine wichtige Nebenbedingung der Spekulation. Billiges Geld befeuert spekulative Geschäfte. Genau das ist wegen der Folgen der noch nicht endgültig überwundenen Finanz- und Wirtschaftskrise aber gegeben: Weltweit bieten Notenbanken Niedrigzinsen, um Banken und Konjunktur zu stützen – das ist neben der Verschuldung der Staaten durch die Rettungskosten der zweite direkte Zusammenhang mit den vorausgegangenen Wellen der Krise.
7. Was können wir gegen die Spekulation tun?
Unsere Enthaltung bei der Abstimmung zur Griechenland-Rettung haben wir mit konkreten Forderungen zur strikteren Finanzmarktregulierung und zur Bekämpfung der Spekulation begründet. In dem von uns zur Abstimmung gestellten Entschließungsantrag fordern wir unter anderem:
- Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die auch nach Ansicht des IWF zur Dämpfung der Spekulation beiträgt, indem sie jede Transaktion verteuert und damit die Hürden erhöht, oberhalb derer sich Finanzwetten und Spekulationsgeschäfte erst lohnen.
- Die Regulierung von Rating-Agenturen weiter zu verbessern und die Gründung einer Europäischen Rating-Agentur entweder in öffentlich-rechtlicher Organisationsform oder – analog der deutschen Börsen – mit teilweise öffentlich-rechtlicher Aufgabenwahrnehmung zu befördern. Um Interessenkonflikte auszuschließen, sind künftig zwischen Rating-Agenturen und Finanzmarktakteuren, deren Produkte sie bewerten, alle sonstigen geschäftlichen Verbindungen zu unterbinden.
- Spekulative Geschäfte mit Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps) unverzüglich, möglichst bis zum 1. Juli 2010, zu verbieten. Rechtlich durchsetzbare Kreditausfallversicherungen soll künftig nur noch abschließen und besitzen dürfen, wer tatsächlich Eigentümer der jeweiligen Kreditforderung ist.
- Leerverkäufe in Deutschland unverzüglich bis zum 1. Juni 2010 zu verbieten und sich für ein europaweites Verbot einzusetzen. Finanzmarktakteure können und müssen künftig andere, deutlich weniger spekulative Instrumente mit gleicher ökonomischer Zielsetzung in Anspruch nehmen.
- Den so genannten „graue Kapitalmarkt“ zu regulieren und zu beaufsichtigen. Der Markt für Derivate muss über europäische Clearingstellen und Handelsplattformen erfolgen, die wirksam reguliert werden. Künftig darf kein Finanzmarkt, kein Finanzmarktakteur und kein Finanzmarktprodukt ohne Regulierung, Aufsicht und Haftung bleiben.
- Sich im Europäischen Rat dafür einzusetzen, dass für Verbriefungen ein signifikanter Selbstbehalt eingeführt wird, höher als die 5 Prozent, die im Entwurf der Richtlinie der Europäischen Kommission vorgeschlagen werden.
- Den Anleger- und Verbraucherschutz in Europa weiter zu verbessern (z. B. durch die Einführung eines „Finanz-TÜV“).
8. Was muss sonst noch zur Flankierung des Rettungspakets passieren?
Das Rettungspaket verändert mit einem Schlag und grundlegend die Architektur der Europäischen Währungsunion (EWU) und wird damit weitreichende Konsequenzen auch für den weiteren Kurs der europäischen Einigung haben.
Der Kern der bisherigen Maastricht-EWU, die no-bail-out-Klausel, wird unmittelbar nach der noch ganz als Einzelfall behandelten Griechenland-Hilfe nun faktisch außer Kraft gesetzt. An ihre Stelle tritt zumindest für die kommenden Jahre ein System gegenseitiger finanzieller Verantwortung für die von den Einzelstaaten eingegangenen finanziellen Verpflichtungen.
Die Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten der EU wird wegen des neu geschaffenen Haftungsverbundes künftig in sehr viel größerem Maßstab Gegenstand einer gemeinsamen europäischen Verantwortung sein. Sie muss sich in rechtlichen und institutionellen Veränderungen der EU abbilden. Dies gilt insbesondere auch angesichts der Tatsache, dass erstmals auch die EU selbst Stützungskredite an einzelne Eurostaaten vergeben können soll.
Unsere ebenfalls bereits in der Griechenland-Entschließung enthaltenen weitergehenden Forderungen treten daher noch stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit:
- Eine bessere Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union durchzusetzen und diese um einen Frühwarnmechanismus für Krisen mit möglicherweise systemischen Auswirkungen zu ergänzen. Zudem ist die Europäische Union in die Lage zu versetzen, künftige Krisen rasch und selbständig zu lösen. Dazu ist ein Nothilfeplan zu entwickeln, der insbesondere wirksame Instrumente enthalten muss, um überschuldete Staaten einem geordneten und raschen Restrukturierungsverfahren zuzuführen.
- Den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu bekräftigen und in seiner Funktion zu stärken, insbesondere die zuständigen europäischen Institutionen in die Lage zu versetzen, wirksame Maßnahmen ergreifen zu können, die für eine effektivere Überwachung der Haushalts- und Finanzpolitik der Euro-Staaten notwendig sind. Hierzu ist in einem ersten Schritt das europäische Statistikamt EUROSTAT mit mehr Durchgriffs- und Weisungsrechten gegenüber den nationalen Statistikämtern auszustatten und der Europäische Rechnungshof zu stärken.
9. Droht jetzt eine große Inflation?
Keine Frage: Mit den Beschlüssen zum Euro-Rettungspaket wird deutlich, dass die bestehenden Stabilitätsmechanismen der Eurozone nicht ausgereicht haben. Die Staaten haften künftig gegenseitig für ihre Defizite, die EZB finanziert durch den Kauf von Staatsanleihen erstmals die Verschuldung einzelner Staaten. Es besteht die Befürchtung, dass wegen der übermäßigen Defizite und des Ankaufs von Staatsanleihen durch die EZB eine Inflationsgefahr entstehen könnte.
Aber: Eine große Inflation ist nicht zwingend und auf absehbare Zeit auch sehr unwahrscheinlich. Anders als im Rahmen der vorangegangenen Finanzkrise wird die EZB nach eigener Ankündigung mit dem Ankauf von Staatsanleihen ihre Liquiditätsversorgung des europäischen Bankensystems nicht ausweiten. Offenbar will sie im gleichen Umfang, wie sie jetzt Staatsanleihen am Markt kauft, andere Vermögenswerte aus ihrer Bilanz abgeben, so dass keine zusätzliche inflationäre Liquiditätsschwemme auf den Märkten entsteht.
Aber selbst wenn sich das Kreditangebot durch die Rettungsmaßnahmen ausweiten würde: Momentan sind überall in Europas Industrie noch unausgelastete Kapazitäten, z. B. die Kurzarbeit in Deutschland. Vom zusätzlichen Kreditangebot stimulierte zusätzliche Güternachfrage würde daher nicht schnell zu Preissteigerungen führen, sondern zunächst einmal zur Beseitigung unausgelasteter Kapazitäten.
Ein entsprechender Befund zeigt sich zurzeit in den USA, wo die Zentralbank (FED) im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise massiv ihr Liquiditätsangebot ausgeweitet hat und eine faktische Nullzinspolitik gefahren ist. Wegen der gleichzeitig ansteigenden Arbeitslosigkeit infolge der Wirtschaftskrise und einer entsprechenden Unterauslastung der Kapazitäten ist bislang kein inflationärer Schub in den USA erkennbar.
Nicht wenige Experten sehen gegenwärtig sogar eine Deflation, also das genaue Gegenteil einer Inflation, als das größere Risiko an, insbesondere wenn es durch umfassende schockartige Reduktionen der öffentlichen Ausgaben zu spürbaren Nachfrageausfällen auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten käme und so die ohnehin schwache Wirtschaft in vielen Ländern weiter geschwächt wird. Japan befindet sich seit dem Platzen einer Immobilienblase Anfang der 1990er Jahre in einer solch deflationären Lage, die auch die großzügigste Geldpolitik der japanischen Zentralbank nicht in ihr Gegenteil verkehren konnte.
Auf längere Sicht wird es wichtig sein, dass die EZB auch unter den neuen Rahmenbedingungen ihre an der Geldwertstabilität orientierte Politik für den Euro fortsetzt. Die jetzt erforderliche Reform der Haushaltsüberwachungs- und -koordinierungsmechanismen in der EU sind dafür eine unverzichtbare Voraussetzung.
Die Finanzkrise hat die deutschen Sparer verunsichert. Ein großer Teil der Ersparnisse wurde erst einmal auf Girokonten geparkt – nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank über 149 Milliarden Euro. 69 Milliarden Euro legten die privaten Sparer bei Versicherungen an (vor allem Lebensversicherungen). In risikolose Spareinlagen flossen weitere 56 Milliarden Euro. Für Termingeld, das ohnehin nur wenig Zinsen brachte, hatten die Anleger dagegen wenig übrig. Diese Anlageform schrumpfte insgesamt um rund 124 Milliarden Euro.