Auch Sigmar Gabriel mahnte, aus der Währungskrise sei längst eine politische und wirtschaftliche Vertrauenskrise geworden. Die Schuldenkrise einzelner Mitgliedstaaten habe sich zu einer veritablen Krise der europäischen Einigung ausgeweitet. Schuld sei ein Mangel an politischer Führung und Entschlossenheit in der EU – nicht zuletzt seitens der Bundesregierung. „Vieles wäre auch für Deutschland billiger gewesen, wenn die Bundesregierung nicht so lange gezaudert und gezögert hätte,“ so der SPD-Parteivorsitzende. Fraktionschef Steinmeier wertete die Europapolitik von Kanzlerin Merkel in den vergangenen anderthalb Jahren als Beleg dafür, dass „man auch durch Nichthandeln falsch handeln kann.“
Mutige Entscheidungen nötig
In einer gemeinsamen Pressekonferenz forderten Gabriel, Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück grundlegende, mutige und über den Tag hinaus gehende Entscheidungen. Steinbrück sagte mit Blick auf den Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurozone an diesem Donnerstag: „Es ist wichtig, dass dieser Gipfel Beschlüsse fasst, die umfassend, kraftvoll sind.“
Die SPD-Politiker machten noch einmal ihre Position zu den erforderlichen Schritten deutlich, die die SPD-Bundestagsfraktion bereits im Mai 2010 und nochmals im Juni 2011 in den Bundestag eingebracht hatte:
- Die Gläubiger von Griechenland werden auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen. Im Falle Griechenlands ist eine Umschuldung unausweichlich geworden. Über die Möglichkeit, Anleihen mit einem Abschlag vom Nennwert zurückzukaufen, kann das Land eine erhebliche Entlastung von untragbaren Zinskosten realisieren. Gleichzeitig muss dafür gesorgt werden, dass sich die davon betroffenen Banken und Versicherungen refinanzieren können.
- Notwendig ist eine limitierte Gemeinschaftshaftung der gesamten Euro-Zone für die Anleihen ihrer Mitglieder. Sie ist erforderlich, um auf Dauer eine Beruhigung der Finanzmärkte zu bewirken. Über intelligente Modelle kann ein Teil der Schuld gemeinschaftlich besichert werden, während exzessive Verschuldung weiter im nationalen Risiko verbleibt.
- Den betroffenen Staaten muss eine Perspektive für das Wiedererstarken ihrer Wirtschaft gegeben werden. Notwendig ist ein Europäisches Modernisierungs- und Wachstumsprogramm. Ohne Unterstützung durch die Europäische Union wird Griechenland nicht auf die Beine kommen. Und ohne eine solche Unterstützung werden die Menschen in Griechenland die unvermeidlichen harten Einschnitte nicht akzeptieren.
Außerdem fordert die SPD die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Sie trägt dazu bei, spekulative Finanzgeschäfte einzudämmen, gewährleistet aber vor allem auch, dass der Finanzsektor einen Beitrag zur Bewältigung der Krise leistet, an der viele Marktteilnehmer lange gut verdient haben. Außerdem muss endlich die Regulierung der Finanzmärkte beherzt angegangen werden.
„Umschuldung plus Investitionen“
Aus Sicht der SPD ist klar: Ohne eine grundlegende Perspektive werden wieder nur die Symptome der Krise bekämpft, nicht aber ihre Ursachen. Die harten Sparprogramme in den von gravierender Überschuldung betroffenen EU-Mitgliedstaaten sind unausweichlich. Die Haushaltsführung von Ländern, die Hilfen der Euro-Staaten in Anspruch nehmen, muss strenger überwacht werden.
Eine wirklich tragfähige Konsolidierung der öffentlichen Finanzen braucht aber auch eine Entlastung von untragbaren Zinsaufschlägen und eine wirtschaftliche Innovations- und Wachstumsperspektive. In den Krisenländern muss die Hoffnung auf solides wirtschaftliches Wachstum und die damit verbundenen Arbeitsplätze zurückkehren. Das berühmte „Licht am Ende des Tunnels“ ist Voraussetzung dafür, die jetzt mit erheblichen Härten verbundenen Sparprogramme in den betroffenen Ländern durchzusetzen und das Vertrauen der Bevölkerungen in ihre demokratischen Regierungen und in Europa als Ganzes wiederherzustellen.
„Umschuldung plus Investitionen“ müsse deshalb der Weg sein, um Wachstumsprozesse in Gang zu sezten, so SPD-Fraktionschef Steinmeier. Eine Finanztransaktionssteuer könne zur Finanzierung von Investitionen herangezogen werden.
Mehr statt weniger Europa
„Wir brauchen mehr statt weniger Europa. Auf Dauer kann eine Währungsunion nicht ohne eine enge Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen funktionieren,“ schreiben Gabriel und Steinmeier in einem Brief an Partei und Fraktion. Die Zeit des Wegduckens, der Vernebelung von Tatsachen, der Verschleppung von Entscheidungen und der Umgehung des Parlaments müsse ein Ende haben. „Wir brauchen tragfähige Lösungen, die über den Tag hinaus Bestand haben und ein starkes, unzweideutiges Signal für die Zukunft der europäischen Einheit geben.“
Jetzt gelte es, in Europa Entscheidungen zu treffen, die „schwierig und unpopulär“ sind, so Parteichef Gabriel. Die SPD sei aber bereit, daran mitzuwirken und auch schwierige Entscheidungen in der Öffentlichkeit zu vertreten.