Die Mitglieder des Ethikrats Peter Dabrock (evangelischer Sozialethiker), Wolfram Höfling (Verfassungsrechtler), Ilhan Ilkilic (muslimischer Rechtsmediziner), Leo Latasch (Arzt jüdischen Glaubens) und Reinhard Merkel (Rechtsphilosoph) haben in Impulsreferaten strafrechtliche, religiös-kulturelle, medizinische und ethische Aspekte der Beschneidung in den Blick genommen und im Plenum zur Diskussion gestellt.

Laut einer epd-Meldung (evangelischer Pressedienst) hält die Ethikrat-Vorsitzende Christiane Woopen sogar einen schnellen Kompromiss zwischen allen Mitgliedern für möglich. Dieser werde Regeln für die traditionelle Praxis von Juden und Muslimen enthalten, soll sie im Anschluss an die öffentliche Sitzung gegenüber Medienvertreter_innen geäußert haben. Als Beispiele habe sie eine Pflicht zur Aufklärung der Eltern und zur Einwilligung beider Eltern sowie Richtlinien zur fachgerechten Anwendung genannt.

Leo Latasch, der seit 2012 Mitglied des Ethikrates ist, erklärte laut epd, dass er sich Regeln, insbesondere zur Schmerzminderung bei Säuglingen vorstellen könne. Im jüdischen Glauben wird Jungen acht Tage nach der Geburt die Vorhaut entfernt. Laut Latasch sei die Beschneidung für Angehörige des jüdischen Glaubens das höchste Rechtsgebot.

Ebenso habe sich Ilhan Ilkilic für diese Praxis ausgesprochen. Im Gegensatz zum älteren jüdischen Glauben sei der Zeitpunkt der Beschneidung nicht festgelegt. Danach werde sie bis zur Geschlechtsreife, üblicherweise zwischen dem achten und zehnten Lebensjahr vorgenommen.

Eindeutig gegen Beschneidung habe sich laut epd nur der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel ausgesprochen. Er soll es als bizarr bezeichnet haben, wenn Religionsgemeinschaften eine Definitionsmacht darüber hätten, wann und wie sie einen Körper von Personen verletzten könnten. Gleichwohl gebe es eine „weltweit singuläre Pflicht gegenüber allen jüdischen Belangen“, ergänzte er. Im Konflikt zwischen dem körperlichen Eingriff und der Verpflichtung gegenüber dem Judentum entstehe ein „rechtspolitischer Notstand“. Einem auf die praktischen Details gerichteten Kompromiss des Ethikrats könne auch er deswegen zustimmen, sagte Merkel. Er regte an, nur geschulte Beschneider oder Ärzte für Beschneidungen zuzulassen sowie die Anwesenheit eines Anästhesisten und eine ausführliche Elternaufklärung zur Pflicht zu machen.

Der Verfassungsrechtler Wolfram Höfling mahnte an, die Diskussion um die Beschneidung ernst zu nehmen. Sie sei eine Stellvertreterdebatte über die Rechte von Religionsgemeinschaften sowie Rechte von Kindern allgemein. „Es ist keine Komikerdebatte“, sagte Höfling mit Verweis auf eine Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie hatte erklärt, Deutschland mache sich zur „Komikernation“, wenn der Staat Beschneidung verbiete.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, warnte vor der Sitzung des Ethikrats vor einem „Angriff auf die jüdische Identität“. Das Kölner Urteil, das die religiöse Beschneidung als Körperverletzung bewertet hatte, irritiere ihn „angesichts der Geschichte und unserer deutschen Geschichte mit dem Judentum schon sehr“, sagte er dem epd.

Peter Dabrock rief dazu auf, Verständnis für die „fremde Religiosität“ von Judentum und Islam aufzubringen. Dafür warb auch der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber, der dem Ethikrat ebenfalls angehört.

Dankbar für die Diskussion und die „überraschenden praktischen Konsequenzen“, worüber man im Ethikrat einen Konsens herstellen könnte, zeigte sich der stellvertretende Ethikratsvorsitzende Wolf-Michael Catenhusen (Staatssekretär a.D., SPD). Er wies in der Debatte darauf hin, dass sich für ihn nicht die Frage der Strafbarkeitsart stelle. Doch man könne nicht wegdiskutieren, dass es um die körperliche Unversehrtheit und das Wohl des Kindes gehe. „Eingriffstiefe und die Folgen des Eingriffs“ seien nach bestem Wissen und Gewissen zu minimieren, sagte Catenhusen. Die Gesellschaft habe sich in den vergangenen Jahren gewandelt, sie sei sensibler und zurückhaltender geworden, „nicht nur bei der Frage der Gewalt, sondern auch bei der Frage eines Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit ihres Kindes, die wir auch bei der Intersexualität diskutiert haben.“ Heute würde die Mitbestimmung/Selbstbestimmung des Kindes ins Zentrum gerückt. Auch Catenhusen sprach sich für eine intensive gesellschaftliche Debatte mit allen beteiligten Kräften aus.

Resigniert äußerte sich Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde Bamberg und Medizinerin Antje Yael Deusel gegenüber epd. Sie glaube nach dem Beschneidungsurteil „nicht mehr so ganz an ein normales jüdisches Leben in Deutschland“.

Auf der Webseite des Deutschen Ethikrates können Sie sich die Aufzeichnung der gesamten Debatte anhören.

Die SPD-Bundestagsfraktion will die Debatte mit allen Beteiligten intensiv führen, um eine gute Lösung zu finden: Im Sinne der Kinder, der Eltern und deren Glauben. Dafür sprechen sich die politisch Verantwortlichen der SPD-Fraktion aus: Dagmar Ziegler und Christine Lambrecht (beide stellv. Fraktionsvorsitzende), Burkhard Lischka (rechtspolitischer Sprecher), Kerstin Griese (Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften) und Marlene Rupprecht (Kinderbeauftragte). Aydan Özoguz (Integrationsbeauftragte) begrüßte das Signal, das vom Ethikrat ausgesandt wurde. Zum ersten Mal hätten in dieser Debatte Fachleute an einem Tisch zusammengesessen und ihre jeweils fachlichen Argumente ausgetauscht. "Die Emotionalisierung, welche Grausamkeiten durch die Beschneidung durchgeführt werden, verwundert dann doch. Denn gut ein Drittel der Weltbevölkerung, die es unmittelbar betrifft, hat dies bisher nicht so definiert. Eine Debatte, in der Außenstehende über andere Kulturen und Religionen urteilen, droht immer das Signal auszusenden, dass andere Kulturen minderwertig seien. Und das erschwert die Akzeptanz für gemeinsame Lösungen," sagte Özoguz

Seit dem Urteil des Landgerichts Köln, das im Juni dieses Jahres veröffentlicht wurde und die religiöse Beschneidung als Körperverletzung gewertet hatte, herrscht bei Juden und Muslimen Rechtsunsicherheit. Der Bundestag hatte die Bundesregierung deshalb am 19. Juli aufgefordert, bis zum Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Beschneidung unter Berücksichtigung bestimmter rechtlicher und medizinischer Auflagen erlauben solle. Seitdem hat die öffentliche Debatte weiter an Fahrt aufgenommen.

Hintergrundinformationen zum Deutschen Ethikrat:
Die Ethikrat-Vorsitzende Christiane Woopen ist seit April in ihrem neuen Amt. Sie und ihre Stellvertreter Peter Dabrock (evangelischer Theologe) und Jochen Taupitz (Medizinrechtler) sind seit 2001 Mitglieder des Ethikrates. Der stellvertretende Ratsvorsitzende Wolf-Michael Catenhusen (Staatssekretär a.D., SPD) gehört diesem Gremium seit 2008. 13 der insgesamt 26 Mitglieder hatte der amtierende Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bereits zum 11 April 2012 neu in den Ethikrat berufen, die aktuelle Mitgliederliste können Sie hier nachlesen.