In Deutschland gehen die Zahlen der Organspender seit 2012 zurück. Im vergangenen Jahr sank die Spenderzahl auf einen Tiefpunkt. Gleichzeitig warten mehr als 10.000 Menschen auf ein Spenderorgan. Für viele von ihnen geht es um Leben und Tod.

Die Ursachen für die niedrigen Zahlen sind vielfältig. Als großes Problem gelten die Prozesse in den Krankenhäusern. Deshalb hat die Koalition – unabhängig von der Orientierungsdebatte – schon ein Gesetz für bessere Bedingungen in den Krankenhäusern auf den Weg gebracht. Eine bessere Organisationsstruktur und höhere Vergütung für die Kliniken sollen dazu führen, dass potenzielle Organspender besser identifiziert werden.

Allerdings gehen viele Abgeordnete davon aus, dass strukturelle Verbesserungen allein nicht ausreichen. Sie sprechen sich für eine Systemänderung in der Organspende aus. Da die Frage nach Organspende eine grundlegende ethische Frage ist, hat der Bundestag das wichtige Thema in einer offenen Orientierungsdebatte diskutiert.

Doppelte Widerspruchslösung

Derzeit müssen Menschen aktiv zustimmen, wenn sie nach einem Hirntod ihre Organe spenden wollen. Ein Vorschlag für eine grundlegende Systemänderung – die sogenannte doppelte Widerspruchslösung – sieht vor, dieses Prinzip umzukehren. Jeder Mensch wäre damit Organspender, es sei denn, er oder sie hat zu Lebzeiten einer Organspende widersprochen. Als doppelte Sicherheit hätten zudem die Angehörigen die Möglichkeit, einer Organspende zu widersprechen. Die Befürworter dieser Lösung versprechen sich dadurch einen deutlichen Anstieg der Spenderzahlen und verweisen auch auf Länder wie Spanien oder Frankreich, in denen es drei bis viermal so viele Spender auf eine Million Einwohner gibt wie in Deutschland.

„Wir müssen verhinderbares Leid verhindern, die Widerspruchslösung kann das leisten“, sagte dazu der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach in der Debatte. Es gehe nicht darum, dass damit irgendjemand zur Organspende gezwungen werde. Und jeder, der sich gegen eine Organspende entscheide, bleibe weiterhin möglicher Empfänger. „Aber jeder muss sich mit der Frage beschäftigen.“ Das sei angesichts von 10.000 Menschen auf den Wartelisten nicht zu viel verlangt.

So sieht es auch die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Sabine Dittmar: „Mit allen bisherigen Maßnahmen sind wir gescheitert“, sagte sie. Deshalb sei es dringend geboten, dass jeder Einzelne eine Entscheidung treffe und dokumentiere. „Die Menschen aufzufordern, diese Entscheidung zu treffen, ist ein zumutbarer Baustein, um die Spenderzahlen zu erhöhen.“

Verpflichtende Entscheidung

Die Gegner sehen in der Widerspruchslösung hingegen einen zu starken Eingriff in die persönliche Freiheit des Einzelnen. Zudem fürchten sie, dass die Skepsis gegenüber der Organspende dadurch zunehmen könnte.

„Wir brauchen mehr Organspenden, aber der Staat kann so etwas nicht verordnen“, sagte die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese. Es sei dann keine Spende mehr, sondern eine Organabgabe. „Organspende heißt, dass man sich entscheidet zu helfen, es ist ein Geschenk.“ Vorzuschreiben, dass pauschal alle Organspender seien, gehe zu weit und missachte das Selbstbestimmungsrecht in einer ganz zentralen Frage. Kerstin Griese plädiert deshalb für eine verpflichtende Entscheidungslösung. „Alle Bürgerinnen und Bürger sollten sich – zum Beispiel bei der Ausstellung oder Verlängerung ihres Personalausweises – fragen lassen müssen, ob sie Organspender werden.“

Auch die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sprach sich gegen eine Widerspruchslösung aus: „Es kann nicht sein, dass wir bei der Weiterverarbeitung all unserer Daten die Zustimmung zur gesetzlichen Voraussetzung machen, aber bei einem so wichtigen Thema wie der Organspende einfach eine Zustimmung als gegeben ansehen.“ Man dürfe auch nicht glauben, dass mit einer Widerspruchslösung alles geregelt sei und die Zahlen automatisch steigen würden. „Entscheidend für die Organspenderzahlen ist die Organisation in den Krankenhäusern“, betonte sie.

In der Orientierungsdebatte im Bundestag ging es noch nicht um konkrete Entscheidungen. Verschiedene Abgeordnete planen fraktionsübergreifende Anträge, so genannte Gruppenanträge, über die der Bundestag dann abstimmen soll. Eine Entscheidung soll bis Mitte 2019 fallen.

Gero Fischer