Vor einem Jahr begann in Tunesien der Aufstand gegen Diktatur, Unterdrückung und Unrecht. Nach der anfänglichen Begeisterung über den „arabischen Frühling“ hat sich vielerorts Ernüchterung eingestellt und die weitere Entwicklung hin zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist unklar. Der internationale Tag der Menschenrechte soll an die vielen mutigen Menschen in der arabischen Welt erinnern, erklärt Christoph Strässer.

 

Welch ein Jahr für die Menschenrechte. Vor einem Jahr begann in Tunesien der Aufstand gegen Diktatur, Unterdrückung und Unrecht. Die Demonstrierenden in Tunesien und bald auch in Ägypten forderten Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und ein Leben in Würde. Ihr Ruf wurde zum Weckruf auch für die Menschen in anderen arabischen Staaten, die sich ebenfalls von ihren autoritären Herrschern befreiten wie in Libyen und im Jemen oder zumindest politische und soziale Zugeständnisse erzwangen wie in Marokko, Jordanien oder im Oman.

 

Nach der anfänglichen Begeisterung über den "arabischen Frühling" hat sich vielerorts Ernüchterung eingestellt. Noch ist unklar, ob sich in den einzelnen Ländern die politische Lage tatsächlich hin zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten entwickelt. In Ägypten beispielsweise wird härter als zu Mubaraks Zeiten gegen kritische Journalisten und Blogger vorgegangen, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind erneut bedroht, Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen nehmen zu. In Tunesien und Ägypten sehen Frauen - trotz ihrer wichtigen Rolle bei den Aufständen - ihre Rechte gefährdet. In diesen Tagen gilt unsere Sorge vor allem den Demonstrierenden in Syrien, wo das Assad-Regime mit brutaler Gewalt die Protestbewegung zu unterdrücken versucht.

 

Die Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens müssen selbstbestimmt ihren politischen Weg gehen. Die Mitgliedsstaaten der EU sollten sie dabei mit einem menschenrechtsorientierten Politikansatz begleiten. Hierfür muss der Westen allerdings selbst an seiner menschenrechtlichen Glaubwürdigkeit arbeiten. Der skandalöse Umgang mit Flüchtlingen und Migranten an den EU-Außengrenzen, die enge Kooperation mit menschenverachtenden Regimen wie Saudi-Arabien, die aktuellen US-Tränengas- und Munitionslieferungen an das ägyptische Innenministerium oder die soeben veröffentlichte Nachricht über ein geheimes US-Gefängnis für Terrorverdächtige in Rumänien strafen das viel beschworene westliche Wertesystem Lügen.

 

Der internationale Tag der Menschenrechte soll an die vielen mutigen Menschen in der arabischen Welt erinnern, die Polizei und Armee die Stirn boten und von denen viele ihren Einsatz mit dem Leben bezahlten. Die westlichen Regierungen soll er daran erinnern, dass die Menschenrechte die Leitlinie ihres politischen Handelns sein sollen. Nur wenn diese Linie konsequent im Innern und in der internationalen Politik befolgt wird, kann der Westen glaubwürdig von anderen Staaten die Einhaltung der Menschenrechte fordern.