Mit großer Sorge haben wir in den vergangenen Tagen die gewaltvolle Entwicklung und die fortschreitende politische Krise in Ägypten verfolgt, die gestern zur Absetzung des Präsidenten Mursi führte.

Die Massenproteste gegen den ersten demokratisch und frei gewählten Präsidenten Ägyptens und seine Politik sind verständlich und seine Absetzung war eine Folge der politischen Fehler der vergangenen Monate.

Es war der Regierung Mursi in dem Jahr seiner Amtszeit in keinster Weise gelungen, die dringenden Probleme der Ägypterinnen und Ägypter zu lösen. Die wirtschaftliche und soziale Lage für viele Millionen Menschen hat sich seit dem Beginn der Umbrüche drastisch verschlechtert. Auch stand die Regierung immer wieder wegen fehlender Wahrung der Menschen- und Freiheitsrechte in der Kritik. Von der erhofften Dividende ihrer Proteste vor zweieinhalb Jahren bleibt für die Bevölkerung kaum etwas übrig. 

Nach der Absetzung des Präsidenten durch den Militärrat bleibt die entscheidende Frage, wie es gelingen kann, Ägypten aus der Staatskrise herauszuführen und eine weitere Eskalation des Konflikts zu verhindern.

Das hängt zunächst stark von der Rolle des Militärs ab, das im besten Fall eine Schiedsrichterrolle für eine Übergangsphase übernehmen sollte. Die Armee ist gehalten ihrer Ankündigung Folge zu leisten und einen politischen Fahrplan vorzulegen, der schnell wieder zur Schaffung von demokratisch legitimierten Institutionen führt.

Wir hoffen, dass die angekündigte Übergangsregierung ehrliche und mutige Schritte hin zu einer nationalen Versöhnung unternimmt. Voraussetzung für deren Erfolg ist, dass es gelingt, was Präsident Mursi nicht erreicht hat: Alle politischen Kräfte an den Verhandlungstisch zu bringen und gemeinsam die neue Verfassung und den notwendigen Reformprozess in Angriff zu nehmen.

In dieser kritischen Situation ist auch die Bundesregierung gefordert, an alle politischen Eliten zu appellieren, in einen offenen und konstruktiven Dialog einzutreten. Dies muss unter Beteiligung der Muslimbruderschaft geschehen.

Baldige Neuwahlen sind wünschenswert, damit sich an die Absetzung des Präsidenten nicht erneut eine von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen geprägte Militärherrschaft anschließt. Trotz der besorgniserregenden Entwicklungen hat Ägypten in den vergangenen zweieinhalb Jahren auch wichtige Schritte zu mehr Demokratie unternommen. Gerade im Hinblick auf die ökonomischen und sozialen Herausforderungen braucht ein solcher Prozess einen sehr langen Atem, wie gerade wir Europäer auch unserer eigenen Geschichte wissen.