Frage: Herr Oppermann, wer ist eigentlich Ihr Lieblingsminister in der Union?
Antwort: Ich habe die Kolleginnen und Kollegen bisher nicht unter diesem Gesichtspunkt betrachtet. Lassen Sie es mich diplomatisch sagen: Ich mag sie alle gleich gern.
Klar, glauben wir sofort.
Wir arbeiten im Großen und Ganzen verlässlich zusammen. Mit Thomas de Maiziere habe ich besonders gute Erfahrungen gemacht.
Die große Koalition wird vor allem von den Parteichefs gesteuert wird, die Fraktionen sind an den Rand gedrängt – siehe Rente oder Energiewende. Nicht schön für Sie.
Das sehen Sie falsch. Gerade bei diesen beiden Gesetzen waren die Fraktionen früh und intensiv eingebunden. Bei der Rente haben am Ende die Fraktionschefs mit der Ministerin den Kompromiss gefunden. Auch die Energiewende trägt die Handschrift des Parlaments.
Aber beim Koalitionsgipfel am Montag waren Volker Kauder und Sie überhaupt erst das erste Mal dabei. Das ist doch ein Zeichen.
Ich kann Ihnen versichern: Wir Fraktionschefs konnten bis dahin unsere Entscheidungen auch ohne die Unterstützung der Parteivorsitzenden treffen (lacht).
Es dürfte Ihnen weniger Spaß bringen, dass sich SPD-Anliegen wie Rente oder Mindestlohn nicht in den Umfragen niederschlagen.
Bei der Europawahl hat es sich doch schon bemerkbar gemacht! Und vergessen Sie bitte nicht: Wir haben nun im Bund 2009 und 2013 die beiden schlechtesten Nachkriegsergebnisse erleben müssen. Die Europawahl war ein schöner Schritt vorwärts. Stück für Stück holen wir Vertrauen zurück. Hartes Holz wächst langsam.
Also lautet die Parole: Zufrieden mit 27 Prozent?
Unser Ziel lautet 30 Prozent plus x. Die Betonung liegt auf plus x.
Was trägt Sigmar Gabriel dazu bei? Derzeit weiß man nicht, was er zuerst ist: Vizekanzler, Industrie-Versteher oder Linken-Sondierer?
Sigmar Gabriel macht seinen Job richtig gut. Als Vizekanzler trägt er die Gesamtverantwortung für den guten Auftritt der SPD in der Regierung. Als Parteivorsitzender sorgt er erfolgreich für große Geschlossenheit. Und als Wirtschaftsminister macht er moderne Politik. Jetzt gilt nicht mehr „Sozial ist, was Arbeit schafft“, sondern „Sozial ist Arbeit, von der man leben kann“. Gabriel steht für die Wiederbelebung der sozialen Marktwirtschaft.
Und diesen Anspruch soll der Mindestlohn erfüllen?
Der Mindestlohn ist gerecht und ökonomisch richtig. Er stärkt die Kaufkraft und setzt eine Grenze, von der zukünftig nach oben geschaut und nicht mehr nach unten gedrückt wird. Wer sich anstrengt, muss von seiner Arbeit leben können, ohne beim Sozialamt anstehen zu müssen.
Sind Sie wirklich ganz unbeeindruckt von den Warnungen, dass die 8,50 Euro Jobs kosten werden?
Wir wollen eine Mindestlohn ohne wenn und aber. Wenn ein Unternehmen nur aufgrund von Dumpinglöhnen erfolgreich ist, hat es doch kein Geschäftsmodell. Solche Unternehmen dürfen in einer sozialen Marktwirtschaft keinen Platz haben.
Einer einzigen Berufsgruppe wollen sie nun doch entgegenkommen: den Zeitungszustellern.
Ich bedauere, dass die Zeitungsverleger es bislang nicht für nötig erachtet haben, in Tarifverhandlungen einzusteigen, wie es andere getan haben. Ausnahmen sind und bleiben rechtlich problematisch. Ich glaube aber, dass wir auch für die Zeitungszusteller eine Lösung finden können.
Kritik gibt es auch an den strikten Regeln für Praktika.
Praktika zum Reinschnuppern in Berufe während Ausbildung, Schule oder Studium müssen möglich sein, egal ob verpflichtend oder freiwillig. Praktikanten in der Ausbildung sind keine Arbeitnehmer und fallen für eine überschaubare Zeit nicht unter den Mindestlohn. Aber wir werden rigoros sein bei Ausbeutungs-Praktika, wenn die jungen Leute bereits fertig ausgebildet sind. Die Zeiten solcher billigen Arbeitskräfte sind vorbei.
Lassen Sie uns über andere Reform sprechen: die der EU. Die SPD will den Stabilitätspakt großzügiger auslegen. Warum ist mehr Geld ausgeben die Lösung in einer von Schulden zerrütteten Union?
Wir werden den Stabilitätspakt nicht aufweichen, aber wir betonen, dass der Stabilitätspakt auch ein Wachstumspakt ist. Die bestehende Flexibilität kann besser genutzt werden. Länder, die Strukturreformen verbindlich angehen, bekommen Zug um Zug mehr Zeit. Das ist deshalb aber auch eine klare Botschaft an Länder wie Frankreich und Italien: Ihr müsst jetzt endlich mit Reformen beginnen.
Diese Länder haben aber viel Zeit verstreichen lassen.
Richtig, da wurde einiges versäumt. Sowohl Francois Hollande als auch Matteo Renzi haben ein schweres Erbe von konservativen Vorgängerregierungen übernommen. Wenn EU-Staaten jetzt beherzt an Reformen herangehen, brauchen sie unsere Unterstützung. Was nicht sein darf ist, dass wir Zeit gewähren, um Reformen weiter zu verschleppen.
Ein Problem bleibt: Seit die Zinsaufschläge bei Staatsanleihen dank der EZB-Politik weggefallen sind, gibt es kein echtes Druckmittel mehr.
In Frankreich sind gerade massenhaft Wähler ins Protestlager gewechselt. Das ist doch ein Warnsignal! Wenn eine Nationalistin wie Marine Le Pen in zwei Jahren dort Präsidentin werden sollte, wäre das eine Katastrophe. Da würde die deutsch-französische Achse zerbrechen. Das darf nie passieren. Das Land muss deswegen seine ökonomischen Probleme jetzt in den Griff bekommen.
Halten Sie Jean-Claude Juncker für den richtigen Mann, um als Kommissionschef konsequent Reformen durchzusetzen?
Der neue Kommissionschef muss schleunigst eine Wachstumsagenda auf den Tisch legen. Damit weite Teile Europas wieder wettbewerbsfähig werden, brauchen wir überzeugende Konzepte aus Brüssel. Die Kommission ist in der Vergangenheit ein Kabinett der Technokraten gewesen. Statt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, hat sie sich oft im bürokratischen Kleinklein verheddert. Das muss sich ändern.
Welche Reformen in Krisenstaaten waren sinnvoll, wo wurde nur kopflos gespart?
Ein Beispiel für sinnloses Sparen ist, dass einzelne Länder nicht mehr in der Lage sind, eigenes Geld für eine Kofinanzierung aufzubringen, damit sie Mittel aus europäischen Investitionsfonds abrufen können.
Also gibt es künftig gute und schlechte Schulden?
Nein. Aber wenn strukturelle Reformen auf den Weg gebracht werden, müssen auch Investitionen und Wachstumsimpulse möglich sein, damit die Reformen nicht scheitern.
Der Wirtschaft und den Verbrauchern bei uns wäre geholfen, wenn die kalte Progression abgeschafft würde, die Lohnzuwächse zusammenschrumpeln lässt. Geht die Koalition da noch vor 2017 ran?
Wir wollen, dass die arbeitende Mittelschicht mehr von einem Lohnzuwachs im Portemonnaie behält. Sonst sinkt der Anreiz zu Arbeit und Leistung. Ganz sicher aber machen wir keine Steuersenkung auf Pump.
Also bleibt die kalte Progression bis zur Wahl 2017 erhalten?
Ich schließe nichts aus, aber Vorrang haben Investitionen in Bildung und Infrastruktur und ein Haushalt ohne Neuverschuldung. Das sind wir der jungen Generation schuldig.
Sie sprechen wie die leibhaftige Koalitionsdisziplin: Wir lassen die Finger von den Steuern, dafür haben wir in der Sozialpolitik freie Hand. Wie wollen Sie dann in der Wirtschaftspolitik wieder Profil entwickeln?
Wir müssen uns wieder auf die Grundwahrheiten besinnen. Wir können nur das verteilen, was vorher erwirtschaftet wurde. Dafür müssen wir wettbewerbsfähig bleiben und unternehmerisches Handeln fördern. Arbeitnehmer und Unternehmer müssen sich bei uns wohl fühlen und gut arbeiten können. .
Das hätte Angela Merkel jetzt auch sagen können. Konkreter?
Unser Ziel ist ein Vierklang aus Innovation, Investitionen, guter und produktiver Arbeit sowie Internationalisierung. Und wir werden zur nächsten Bundestagswahl ein intelligentes Steuerkonzept vorlegen, das Be- und Entlastungen neu justiert.
Sie attackieren derzeit auffällig oft die Linkspartei. Ohne die wird es aber doch nichts mit einer SPD-geführten Mehrheit im Bund.
Ich will, dass wir im Bund der internationalen Rolle Deutschlands gerecht werden. Da braucht man einen funktionierenden Kompass und Verantwortungsbewusstsein. Beides hat die Linke zurzeit nicht. Deswegen sind sie derzeit auch nicht regierungsfähig. Die Vernünftigen dort wissen, welche Hausaufgaben sie machen müssen.
Sie selbst wollten eigentlich lieber Minister als Fraktionschef werden. Finden Sie nun, nach einem halben Jahr im Amt, dass Sie der Richtige sind?
Das müssen andere beurteilen. Aber das Amt macht mir richtig Spaß. Ich habe gelernt, welche enormen Möglichkeiten und welche Verantwortung ich hier habe.