Die Landwirtschaft macht gerade vor allem negative Schlagzeilen: Glyphosat, Milchkrise, Kükenschreddern. Ist es ein Zufall, dass diese Themen gerade alle aufkommen?
Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind bei diesen Themen sehr viel sensibler geworden. Sie sind aufgeklärter und erwarten einen anderen Umgang mit Lebewesen bei der Frage der Tierhaltung, aber auch bei der Frage nach der eigenen Gesundheit, wenn es um Lebensmittelsicherheit geht. Gleichzeitig sind die Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft transparenter geworden, auch weil es viel mehr Informationsmöglichkeiten gibt. Insofern ist es kein Zufall, dass das öffentliche Interesse an diesen Themen wächst. Es ist eine Entwicklung, die schon seit längerem absehbar ist, die aber noch von vielen – auch vom Bauernverband – unterschätzt wird.
Die Debatte um das Pflanzengift Glyphosat wird sehr emotional geführt. Für die einen ist es hochgiftig, die anderen halten es für unbedenklich für den Menschen. Was ist es für Sie?
Für uns ist das Vorsorgeprinzip entscheidend. Das heißt konkret: Wir können nur Mittel zulassen, bei denen wir zweifelsfrei wissen, dass sie Menschen nicht schädigen. Bei Glyphosat gibt es Studien, die das Mittel für wahrscheinlich krebserregend halten. Und so lange diese Bewertung im Raum steht, können wir den Stoff nicht einfach zulassen.
Es gibt aber auch Studien, die Glyphosat als nicht gefährlich für den Menschen einstufen. Wie lassen sich die unterschiedlichen Studienergebnisse erklären?
Bei Studien kommt es immer auch auf die genaue Fragestellung an. Letztlich gibt es aber niemanden, der Glyphosat für absolut unbedenklich hält, sondern am Ende geht es um die Frage nach Dosierung und Einsatzzweck. Also wie kann man sicher mit einem Mittel umgehen, wo liegen die Grenzwerte? Darum wird derzeit gestritten. Die EU-Kommission wollte die Zulassung einfach für neun weitere Jahre verlängern, obwohl es viele Bedenken gegen das Mittel gibt. Diese Provokation hat den großen Widerstand ausgelöst. Da sich die EU-Staaten nicht einigen konnten, hat die EU-Kommission nun entschieden, Glyphosat für weitere 18 Monate zu erlauben – bis dahin soll das Krebsrisiko endgültig geklärt werden. Aus Sicht der SPD-Fraktion ist das nicht richtig. Wir wollen ein Sofortverbot bei Privatanwendungen und bei kommunalen Anwendungen sowie bei der Bahn innerorts. Gleichzeitig brauchen wir einen verbindlichen Ausstiegsplan für die Landwirtschaft, der mit einer Reduzierung beginnt und dann nach wenigen Jahren bei null liegt.
Auch die sogenannte Milchkrise beherrscht derzeit die Schlagzeilen. Die Bauern bekommen nur halb so viel Geld für den Liter Milch wie sie eigentlich bräuchten. Woran liegt es?
Es ist ein einfaches marktwirtschaftliches Prinzip: Überangebot führt zum Preisverfall. Es wird schlicht viel zu viel Milch angeboten. Der Wegfall der Milchquote hat dazu geführt, dass in Deutschland und der EU deutlich mehr Milch produziert wird als früher, das lässt die Preise sinken.
Damit stehen viele Milchbauern vor der Pleite …
Kurzfristig müssen wir hier sicher Nothilfen leisten. Aber das geht nur, wenn sich auch die Struktur ändert, so dass weniger Milch produziert wird. Das große Problem in der Tierhaltung ist die Konzentration auf eine Nutzungsart. Wir haben hochgezüchtete Milchkühe mit einer sehr geringen Lebensdauer, deren Fleisch sich aber nicht vermarkten lässt. Wir brauchen mehr Zweinutzungsrassen, bei denen sich Milch und Fleisch vermarkten lassen. Am Ende läuft alles auf eine artgerechte Tierhaltung hinaus: Mehr Fläche für die Tiere, weniger Kraftfutter, Mehrnutzungsrassen. Das führt auch zu einer Reduzierung der Milchmenge.
Das klingt nach mehr ökologischer Landwirtschaft …
Wir bekennen uns als SPD-Fraktion ganz klar zur konventionellen Landwirtschaft. Wir brauchen beides. Wir sind froh über jeden Landwirt, der ökologisch produziert, aber wir können nicht die komplette Landwirtschaft in Deutschland auf Bio umstellen. Gleichzeitig muss die Landwirtschaft nachhaltiger werden und z. B mehr auf Verbrauch und Gebrauch der Böden und eine artgerechte Tierhaltung achten.
Welche Rolle spielen die Verbraucherinnen und Verbraucher bei diesem Prozess?
Verbraucherinnen und Verbraucher haben immer Macht, weil sie über ihr Kaufverhalten das Angebot steuern können. Trotzdem sieht man hierzulande an der Biomilch, dass diese Macht begrenzt ist. Hier ist die Nachfrage schon größer als das Angebot, wir müssen also Biomilch aus anderen Ländern importieren. Das müsste nicht sein, wenn mehr Landwirte auf die Nachfrage der Verbraucherinnen und Verbraucher reagieren und auf Biomilch setzen würden. Das Problem ist, dass viele in der Landwirtschaft immer noch stark auf Export setzen. Aus unserer Sicht sollte in erster Linie auf den Markt vor der Haustür und in Europa gesetzt werden – und nicht auf den chinesischen.
Welche Möglichkeiten hat die Politik, hier einzugreifen?
Für uns als SPD-Fraktion gilt: „öffentliche Gelder nur für öffentliche Leistung“. Vor allem die EU-Förderung der Landwirtschaft muss sich auf die tatsächlich erbrachte Leistung konzentrieren und nicht mehr nur Fläche subventionieren. Im Moment bekommt ein Landwirt rund 290 Euro pro Hektar im Jahr, und zwar völlig unabhängig davon, was auf der Fläche passiert. Das ist eine völlig unsinnige Subventionsweise. Man hat keinerlei Steuerungsmöglichkeit und fördert nicht das, was die Gesellschaft am meisten braucht.
Auch beim Zukunftsprojekt #NeueLebensqualität der SPD-Fraktion geht es um das Thema Ernährung. Das Ziel ist eine gesunde, nachhaltige Ernährung, die sich alle leisten können. Was muss passieren, damit dieses Ziel erreicht wird?
Wir brauchen eine neue Debatte, die den Wert von Lebensmitteln in den Mittelpunkt rückt. Sie können nicht einfach immer billiger werden. Es gibt Lebensmittel, bei denen wir die extrem billigen Preise nicht halten können und dürfen: Milch, Schweine- oder Geflügelfleisch sind zum Beispiel viel zu billig auf dem Markt. Wenn wir so wirtschaften wollen, dass es am Ende der Landwirtschaft und den Menschen zugutekommen soll, müssen hier die Preise wieder steigen.
Heißt das, dass diese Lebensmittel zu Luxusgütern werden?
Etwas höhere Preise machen diese Lebensmittel noch nicht zu Luxusgütern. Auch ist es eine relativ junge Entwicklung, dass es jeden Tag Fleisch gibt. Wenn Lebensmittel wieder angemessene Preise haben, müssen Verbraucherinnen und Verbraucher lernen, wie man damit besser wirtschaftet. Wer zum Beispiel viele Fertigprodukte kauft, ist immer teurer dran, als jemand, der frisches Gemüse kauft und es selbst zubereitet. Oder dass man das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht als Wegwerfdatum begreifen sollte. In diesem Feld ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Wobei sich schon viele Menschen Gedanken in diese Richtung machen und damit einen Trend auslösen. Für uns als Sozialdemokratie ist wichtig: Auch Menschen mit wenig Einkommen haben ein Recht darauf, dass ihre Nahrung eine hohe Qualität hat und nachhaltig produziert wird. Vor diesem Hintergrund gehören auch Umweltschutz und gesunde Ernährung zur Frage der sozialen Gerechtigkeit.
Zum Thema Gute Lebensqualität gehört – vor allem mit Blick auf die kommenden Generationen – auch die Frage nach dem Atomausstieg. Sie haben als Mitglied der Atomkommission den jetzt vorliegenden Kompromiss mitausgehandelt: Die Unternehmen sollen in einen Fonds einzahlen, aus dem die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls bezahlt werden soll. Wie zufrieden sind Sie mit dem Verhandlungsergebnis?
Als Mitglied der Kommission habe ich den Kompromiss mitgetragen. Es ist mir allerdings nicht leicht gefallen. Wenn es nach uns gegangen wäre, dann hätten wir diesen Fonds schon vor 6 Jahren eingerichtet, als wir ihn zum ersten Mal vorgeschlagen haben, dann wäre er deutlich höher ausgefallen. Jetzt war es notwendig, das Geld zu sichern. Sonst würden im Falle der Insolvenz eines Betreiberunternehmens die Steuerzahlenden im vollen Umfang einspringen müssen. Wichtig ist für uns: Der Rückbau und die Stilllegung der Kraftwerke und die Verpackung der Atomabfälle bleiben Aufgaben der Energieversorger, da sind sie voll in der Haftung. Für die Zwischenlager und die Suche nach dem Endlager haben wir insgesamt 23,3 Milliarden Euro im Fonds. Im Ergebnis sind das 6 Mrd. Euro mehr, als die Unternehmen in ihren Bilanzen zurückgestellt haben.
Zur Person:
Ute Vogt (51) ist seit 2013 stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und zuständig für die Themen Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit sowie Ernährung und Landwirtschaft. Die Juristin ist mit der Anti-Atom-Bewegung zur Politik gekommen und seitdem hat sie das Thema nicht mehr losgelassen. Seit 1994 (mit Unterbrechung) ist die gebürtige Heidelbergerin Mitglied des Bundestages und vertritt dort heute den Wahlkreis Stuttgart I. Zwischen 2002 und 2005 war sie Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister des Innern.