Die SPD-geführten Landesregierungen im Norden fordern „verlässliche Rahmenbedingungen“ für den Ausbau der Offshore-Windkraft – heißt: verlässlich hohe Einspeisevergütungen für Strom vom Meer. Bedeutet das nicht steigende Stromrechnungen?

Steinmeier: Die Strompreise steigen durch die Planlosigkeit, mit der die Bundesregierung in die Energiewende eingestiegen ist. Der Zickzackkurs von Merkel – erst der falsche Ausstieg aus dem Atomausstieg, nach Fukushima dann der reumütige Gang zurück zum Atomausstieg, das Ganze ohne Plan und Konzept – das verunsichert die Märkte. Wir brauchen Planungssicherheit für die Unternehmen – auch die an der Küste – und eine Bremsspur bei den Energiepreisen.

Können Sie das konkretisieren: Was wären die ersten drei Maßnahmen einer SPD-geführten Bundesregierung?

Erstens den Fehler vermeiden, der in den Vorschlägen zu einer Strompreisbremse von Umweltminister Altmaier steckt – diese zerstört das Vertrauen in die erneuerbaren Energien. Zweitens eine wirksame Energiepreisbremse einführen durch eine 25-prozentige Senkung der Stromsteuer. Das nimmt aber erst mal 1,6 Milliarden Euro Preisdruck von den Stromkunden und verschafft uns Zeit, drittens, ein neues Einspeisegesetz für erneuerbare Energien zu entwickeln. Dabei muss nach meiner Auffassung die Offshore-Windkraft besondere Berücksichtigung finden.

Offshore-Windstrom ist aber – zumindest in der Anfangsphase – mit 19 Cent pro Kilowattstunde eine teure Energie, die die EEG-Umlage weiter steigen lassen wird.

Wir sollten hier keine Milchmädchenrechnung aufstellen. Offshore-Windenergie ist grundlastfähig – kann also im Unterschied zu Windkraft an Land und Solarenergie rund um die Uhr zuverlässig Strom liefern. Wenn wir das in die Rechnung einbeziehen, ist Offshore-Windkraft nicht teurer. Mann muss allerdings den Fehler vermeiden, der bei der Förderung der Solarkraft gemacht wurde und von vornherein eine Kappung bei einem bestimmten Fördervolumen vorsehen.

Mit welchen Themen wollen Sie den Rückstand in den Umfragen aufholen?

Die Bundeskanzlerin versucht, Überschriften abzukupfern. Aber am Ende können die Menschen unterscheiden, wer das Plagiat ist und wer es wirklich ernst meint. Wer will, dass die Menschen vom Lohn für ihre Arbeit leben können, der muss den Mindestlohn befürworten. Wer will, dass die Menschen in den Städten bezahlbaren Wohnraum finden, muss für die Mietpreisbremse eintreten. Wer Bildung und Ausbildung zurecht für die Schlüsselfrage unserer Gesellschaft hält, der muss das verhängnisvoll falsche Betreuungsgeld in die Mottenkiste zurückwerfen und das schöne Geld – zwei Milliarden Euro jährlich – den Städten und Gemeinden geben für gute Kindertagesstätten. Wer das alles will, muss SPD wählen.

Aber die Bundeskanzlerin, die vieles an sich abprallen lässt, ist schon Ihr Problem, oder?

Ihr Regierungsstil wird das Problem dieses Landes werden. Allen wohl und niemand weh, nirgendwo anecken – das ist keine Vorbereitung auf Zeiten, die auch wieder schwieriger werden können. Merkel konnte sich ins gemachte Bett legen, nachdem die Regierung Schröder die Kohlen aus dem Feuer geholt hatte. Jetzt ernten Merkel und ihre Regierung die Felder ab, auf denen sie nie gesät und nie gepflanzt haben. Das ärgert mich persönlich, zugegebenermaßen. Eine Regierung muss den Menschen etwas abverlangen, wenn es für eine gute Zukunft notwendig ist. Das traut sich Merkel nicht.

Was sind denn die unangenehmen Wahrheiten?

Wir müssen uns auf den demographischen Wandel vorbereiten. Wir haben jetzt eine Rekordbeschäftigung, die aber nicht lange halten wird. Wir werden von den über 40 Millionen Erwerbstätigen, die wir jetzt haben, bis 2030 fünf Millionen verlieren – Leute, die nicht mehr an den Werkbänken stehen, nicht mehr an den Schreibtischen sitzen, nicht mehr in die Sozialkassen einzahlen. Das erfordert neue Antworten.

Welche?

Die Bildung und Ausbildung unserer Jugend wird zum Schlüsselthema für die Gesellschaft insgesamt. Darauf müssen wir unsere verfügbaren Mittel konzentrieren. Was dazu seit einiger Zeit in der Verfassung steht – das Verbot einer Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei Schule und Bildung – muss schnellstmöglich korrigiert werden. Wenn wir mehr investieren wollen, brauchen wir hier mehr und nicht weniger Zusammenarbeit.

Die USA und andere westliche Staaten bereiten nach dem Einsatz von Giftgas im syrischen Bürgerkrieg Luftangriffe auf das Land vor. Wie beurteilen Sie das?

Syrien ist eine Tragödie. Es ist ein Bürgerkrieg mit 100 Fronten, zehntausende Menschen sind gestorben. Mit dem Einsatz von Giftgas ist eine weitere Schwelle auf dem Weg in den Abgrund überschritten. In der Tat darf die Staatengemeinschaft nicht nur zuschauen, sondern muss Grenzen setzen.

In Form eines Militärschlages?

Wenn man sich am Ende nur noch in der militärischen Logik bewegt, werden die Alternativen knapp. Es ist vieles versäumt worden. Auch der deutschen Außenpolitik ist vorzuwerfen, dass sie nie nach Möglichkeiten gesucht hat, Amerikaner und Russen zusammenzubringen, im Gegenteil: Deutschland ist gar nicht sichtbar geworden und hat durch Enthaltsamkeit an Gewicht verloren. Ich bin dafür, dass nicht nur den UN-Experten Gelegenheit gegeben werden sollte, ihre Ergebnisse im Sicherheitsrat vorzutragen, sondern vor einer Entscheidung über militärische Maßnahmen der G20-Gipfel am 5./6. September in St. Petersburg genutzt werden sollte, um sich endlich zu einer gemeinsamen Haltung zu Syrien durchzuringen. Es kann auch nicht in Russlands Interesse liegen, sich zum dauerhaften Beschützer einer zynischen syrischen Machtclique zu machen. Wenn solche Gipfeltreffen einen Sinn haben, dann doch wohl den, letzte Möglichkeiten auszuschöpfen, bevor mit Militärschlägen unwiderrufliche Fakten geschaffen werden.