Die „Ehe für alle” kommt, Rot-Rot-Grün hat sie durchgesetzt, auch aus der Union haben nach kontroverser Debatte viele Abgeordnete mitgestimmt - wie groß ist die Genugtuung bei Ihnen?

Thomas Oppermann: Ich freue mich, dass wir diesen Schritt für mehr Gerechtigkeit endlich gehen konnten. Jetzt kommt es bei der Ehe nicht mehr auf das Geschlecht an, sondern darauf, ob zwei Menschen sich binden und füreinander Verantwortung übernehmen wollen. Seit vielen Jahren gibt es im Bundestag eine Mehrheit dafür. Aber die Union hat die Entscheidung durch Koalitionsverträge verhindert. Dass es jetzt zur Abstimmung gekommen ist, hat mit einem Fehler von Angela Merkel zu tun. Sie hat die Sache zur Gewissensentscheidung erklärt und wollte so im Wahlkampf bestehen. Sie hat übersehen, dass das Fenster für Gesetzgebung noch offen war. Wir haben ihr Wahlkampf-Manöver genutzt, um reale Politik zu machen.

Auch wenn schon lange über die Gleichstellung debattiert wird: Das parlamentarische Verfahren in dieser Woche ist kurz gewesen. Im Bundestag blieben gerade einmal 38 Minuten Zeit für die Debatte. War es wirklich der Bedeutung des Themas angemessen, das Gesetz so schnell durchzupeitschen?

Davon kann wirklich keine Rede sein. Fünf Mal haben wir in dieser Wahlperiode im Bundestag darüber debattiert. Im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages lagen drei Gesetzentwürfe zur Sache. Der aus Rheinland-Pfalz war sorgfältig ausgearbeitet und entscheidungsreif. Die Union hat immer die Abstimmung verhindert und erst im letzten Moment frei gegeben. Dass sie sich jetzt über zu wenig Zeit beklagt, fällt auf sie selbst zurück.

Normalerweise sei so etwas ein Koalitionsbruch, sagt CSU-Chef Horst Seehofer.

Wenn er das so sieht, soll er doch austreten. Ich sehe es nicht so. Die SPD hat sich bis zuletzt an den Koalitionsvertrag gehalten. Das kann man von CDU und CSU nicht behaupten. Beim Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit und bei der Lebensleistungsrente hat sie den vereinbarten Kompromiss verweigert.

Angela Merkel hat erklärt, sie habe das Thema aus der parteipolitischen Auseinandersetzung heraushalten wollen. Hat die SPD die Ehe für alle nicht allein aus taktischem Kalkül forciert?

Wenn Angela Merkel das behauptet, wäre das unaufrichtig. Sie hat aus machttaktischem Kalkül gehandelt und wollte das Thema mit Rücksicht auf den großen Widerstand der Konservativen in den eigenen Reihen aus dem Wahlkampf heraushalten. Aber damit ist sie kläglich gescheitert.

Es bleibt der Eindruck, dass die SPD den Schulterschluss mit Sahra Wagenknecht von der Linken und Toni Hofreiter von den Grünen allem anderen vorzieht. Auch nach der Bundestagswahl?

Es geht nicht um Schulterschluss und schon gar nicht um Rot-Rot-Grün. Eine Gewissensentscheidung im Bundestag ist keine Koalitionsaussage. Wir wollen bei der Bundestagswahl ein starkes Ergebnis von 30 Prozent plus X. Bei der Ehe für alle sind die meisten Stimmen von der SPD gekommen. Wäre die FDP im Bundestag, hätte auch sie für die Öffnung der Ehe gestimmt.

Selbst das SPD-geführte Bundesjustizministerium war in der Vergangenheit der Auffassung, es brauche eine Grundgesetzänderung für die Ehe für alle. Warum soll das plötzlich nicht gelten?

Nach Artikel 6 des Grundgesetzes genießen Ehe und Familie den besonderen Schutz des Staates. Der Familien- und Ehebegriff in unserer Gesellschaft hat sich stark gewandelt. Das ist auch inzwischen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt. Ich bin fest überzeugt, dass die Ehe für alle hält  und bei einer Überprüfung in Karlsruhe nicht beanstandet wird.

Mit der Ehe für alle ist das Adoptionsrecht verbunden. Konservative aus der Union erklären, Kinder würden in der Erziehung auf jeden Fall Vater und Mutter benötigen. Was entgegnen Sie?

Entscheidend ist, dass die Kinder geliebt, gut versorgt und verantwortlich großgezogen werden. Natürlich ist die übliche Konstellation, dass Vater und Mutter da sind, das wird auch so bleiben. Aber für Kinder ist es allemal besser, bei einem verantwortungsvollen gleichgeschlechtlichen Paar aufzuwachsen, als etwa in einer zerrütteten Familie.

Von der katholischen Kirche kommt scharfe Kritik an der Ehe für alle. Haben Sie dafür kein  Verständnis?

Auch die Haltung der Kirchen zu Ehe und Familie hat sich im Laufe der Zeit geändert. Bei der Evangelischen Kirche sind Vertrauen, Verlässlichkeit und Verantwortung maßgeblich für eine Ehe. Für die katholische Kirche ist die Ehe ein Sakrament. Das muss man respektieren. Aber auch die katholische Kirche wird sich weiter entwickeln. Papst Franziskus hat sie bereits in vielen Bereichen auf neue Wege geführt.

Sollten gleichgeschlechtliche Ehen auch den Segen der Kirche erhalten?

Ich wünsche mir die Unterstützung der Kirchen. Der Christliche Glaube und die Öffnung der Ehe schließen sich ja nicht aus. Homosexuelle Protestanten können mancherorts bereits den kirchlichen Segen für ihre Verbindung erhalten. Das Beispiel sollte Schule machen. Ich habe allerdings Verständnis für diejenigen, die Vorbehalte haben. Ihnen sollten wir sagen: Mit der Ehe für alle wird niemandem etwas genommen, aber vielen etwas gegeben.