Das Kräftemessen der Weltelite des Sports ist vorbei, Deutschland hat Rang 6 im olympischen Medaillenspiegel belegt - haben die Sportler versagt?

Nein, nur wenn man explizit die Zielvereinbarungen mit dem Bundesinnenministerium zugrunde legt, war es ein Misserfolg. Von 86 Medaillen ist Deutschland weit entfernt geblieben. Hört man sich nun Michael Vesper, den Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) an, waren es aber gar keine richtigen Zielvereinbarungen, sondern lediglich 'abstrakte Einschätzungen' und die Medaillenziele waren angeblich auch nicht so ernst gemeint. Der DOSB ist von einer echten Bilanz meilenweit entfernt. Da findet ein Kampf um die Deutungshoheit statt. Doch man sollte die Bilanz nicht allein den Funktionären des DOSB überlassen.

Waren die Ziele schlicht zu hoch gesteckt?

Die Erwartungen der Zielvereinbarung waren teilweise völlig unrealistisch. Bei Schwimmen oder Fechten klaffen Anspruch und Wirklichkeit beispielsweise weit auseinander. Vier Jahre im voraus kann man nicht festlegen, welche Sportler welche Leistung bringen werden. Wir reden nicht über programmierbare Roboter, wir reden über Menschen.

Ansprüche herunterschrauben, Förderung verbessern - was ist zu tun?

Wir brauchen eine breite Diskussion, welches Leitbild wir dem deutschen Spitzensport geben wollen. Ist Erfolg wirklich nur Platz 1, 2 oder 3? Wir müssen definieren, welchen Leistungssport wir hier wollen. Deutschland debattiert sehr stark über effektiven Kampf gegen Doping. Wir wollen einen sauberen Sport. Wir möchten den Athletinnen und Athleten auch ermöglichen, neben dem Spitzensport auch eine berufliche Karriere zu machen. Für mich ist unter diesen Rahmenbedingungen ein erster Erfolg, wenn sich jemand für Olympische Spiele qualifiziert. Er gehört damit bereits zu den Besten der Welt. Und wenn er dann bei den Spielen noch eine individuelle Bestleistung aufstellt, war er bei Olympia erfolgreich - auch ohne einen der ersten drei Plätze. Und wenn dann doch der Sprung aufs Treppchen gelingt - um so schöner!

Ist die finanzielle Ausstattung des Spitzensports ausreichend?

Wir sollten beispielsweise über eine bessere Bezahlung von Bundestrainern reden, aber auch, an welchen Stellen Ressourcen nicht wirklich zielgerichtet einsetzt werden. Insgesamt stimmt die finanzielle Ausstattung aber: Es gibt 132 Millionen Euro aus dem Bundesinnenministerium. Es kommen weitere Summen, die nicht klar beziffert sind, für die Sportfördergruppen bei Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll hinzu. Der Leistungssport wird insgesamt mit mehr als 200 Millionen Euro gefördert. Das ist im internationalen Vergleich nicht wenig. Es wird aber auch immer Länder geben, die sehr viel mehr Sportförderung betreiben -nicht unbedingt aus Liebe zum Sport. Medaillen sollen den Glanz mancher Länder mit Defiziten im Demokratiebereich aufpolieren. Mit denen sollte man sich nicht vergleichen.

Die Ruderin Nadja Drygalla ist abgereist, nachdem bekannt wurde, dass ihr Partner zu Rechtsradikalen zählt. Welche Lehren müssen aus dem Fall gezogen werden?

Die Kommunikationsstrukturen im deutschen Sport haben total versagt. Viele wussten von den Problemen um die Sportlerin: Der frühere Dienstherr, Verantwortliche im Verein, im Landes- und Spitzenverband. Niemand hat es für nötig gehalten den Deutschen Olympischen Sportbund zu informieren, der für die Olympianominierung zuständig ist. Das ist ein Desaster. Es ist auch ein Desaster für die Athletin, ganz gleich, was man ihr vorwerfen kann. Man hätte ihr zumindest dieses mediale Trommelfeuer ersparen können.

Und sie erst gar nicht nominieren sollen?

Wenn man ihr etwas Konkretes vorwerfen kann, wäre die Nichtnominierung die richtige Entscheidung gewesen. Rechtsradikalismus hat im deutschen Team nichts zu suchen. Aber bis jetzt ist sind die Umstände nicht klar: Sie ist mit jemandem liiert, der rechtsradikalem Gedankengut anhängt. Es ist aus meiner Sicht zwar völlig unverständlich, wie man das aushält, wenn man dieses Gedankengut selbst nicht teilt. Wir wissen aber nicht, ob sie es teilt oder geteilt hat.

Das Interview führte Christian Slangen.